Hamburg. Der Hamburger Schuhhändler schließt vier Filialen – die Umsätze in fast allen Segmenten sind eingebrochen.

In einem aktuellen Reklame-Video zeigt Deutschlands größter Schuhhändler Görtz eine Frau, die voller Vorfreude ein Paket auspackt. Darin sind hochhackige rote Schuhe. Sehr schick. Um den Moment länger genießen zu können, packt sie alles wieder ein und stellt den Karton erneut vor die Tür. Die Botschaft der 20-Sekunden-Sequenz: Ein Schuhkauf ist ein emotionaler Moment.

Im Corona-Herbst sehen das viele Kunden aber offenbar anders. Görtz-Geschäftsführer Frank Revermann steht im Stammhaus des Unternehmens in der Hamburger Innenstadt. „Im Moment verkaufen wir besonders viele Schnürstiefel“, sagt er und nimmt ein Modell aus dem Regal. So was Bequemes mit flachen Absätzen und einem dickem Fellfutter. Schuhe mit Herzklopf-Potenzial sehen dann doch anders aus.

Görtz-Chef: "Seit neun Monaten Krisenmanagement"

„Uns ist allen kühler als sonst. Die Menschen sind viel draußen unterwegs, gehen spazieren. Und in den Büros und Schulen sind ständig die Fenster auf“, erklärt Revermann die Nachfrage. Görtz hat reagiert. Das praktische Schuhwerk gibt es in allen Varianten – auch in Neonfarben und mit fröhlichen Blümchen. Und für Männer und Kinder. „Wir würden gerne wieder mehr elegante Damenschuhe verkaufen“, sagt der Görtz-Chef. Aber High Heels liegen in der Krise wie Blei im Regal: Es gibt kaum Bedarf in Zeiten von Homeoffice, geschlossener Restaurants, verschobener Partys.

Die Corona-Krise trifft den Schuhhandel hart. Marktbeobachter rechnen für 2020 mit einem Umsatzminus im zweistelligen Prozentbereich. Auch Görtz, mit 180 Filialen vor allem im stationären Handel verankert, kämpft mit Einbrüchen – trotz Zuwächsen im Onlinegeschäft. „Wir machen jetzt seit neun Monaten Krisenmanagement“, sagt Revermann.

Die fünf Schließungswochen im Frühjahr wirken nach, auch wenn sich die Umsätze im Sommer erholt haben. „Im Oktober lagen wir sogar leicht über dem Vorjahr“, sagt er. Eine kurze Atempause. Seit Anfang November der zweite (kleinere) Lockdown in Kraft getreten ist, kommen wieder weniger Kunden in die Geschäfte. Eine Prognose für 2020? Revermann schüttelt mit dem Kopf: „Wir kommen besser durch die Krise als andere. Aber das Jahr müssen wir wirtschaftlich und emotional abhaken und positiv auf 2021 schauen.“

Görtz-Geschäftsführer ist jetzt auch -Gesellschafter

Der 51-Jährige hat in den vergangenen Monaten seine Position in der Führungsspitze deutlich gestärkt. Anfang November wurde bekannt, dass der Topmanager künftig auch als Gesellschafter über die Zukunft des Traditionsunternehmens mitentscheidet. „Ich habe viel Herzblut für Görtz entwickelt und sehe großes Potenzial nach dem Ende der Pandemie“, sagt der Kaufmann, der vorher beim Matratzenhersteller MFO und beim Modehändler Bonita tätig war.

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Künftig agiert er als geschäftsführender Gesellschafter mit Zuständigkeit für die Bereiche Vertrieb, Einkauf, Marketing, E-Commerce und Expansion. Wie hoch sein Anteilspaket ist, will er nicht verraten. „Wir haben Stillschweigen vereinbart“, sagt er und lächelt. Bisher waren 60 Prozent der Firmenanteile im Besitz der Gründerfamilie Görtz, weitere 40 Prozent hielt die Beteiligungsgesellschaft Afinum.

Neuer Görtz-Finanzchef kommt von Arko

Für Revermann ist der Schritt in die unternehmerische Verantwortung auch ein Signal. „Ein Unternehmen braucht ein Gesicht“, sagt er. Seniorchef Ludwig Görtz, langjähriger Frontmann der Schuhhandelskette, ist inzwischen 85 Jahre alt. Er sitzt weiterhin als Vertreter der Familie im Verwaltungsrat, hat sich aber aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.

„Er kommt weiterhin mehrmals in der Woche ins Büro“, sagt Revermann. Von Anfang 2021 an hat der neue starke Mann auch einen neuen Finanzchef an der Seite. Stephan Tendam, der vor fünf Jahren gemeinsam mit Revermann bei Görtz startete, verlässt das Unternehmen. Sein Nachfolger ist Tobias Volkmann, bislang beim Süßwarenhändler Arko beschäftigt.

Corona-Folgen: Innenstadt-Filiale öffnet erst um 11 Uhr

Das neue Spitzen-Duo muss sich auf schwierige Zeiten einstellen. In den vergangenen zwei Jahren hatte sich die Schuhhandelskette, die 2013/14 in eine wirtschaftliche Krise geraten war, mit einer umfangreichen Restrukturierung aus den roten Zahlen gekämpft. Im Bundesanzeiger lässt sich nachlesen, dass Görtz 2018 erstmals wieder einen Gewinn verbucht hat, in Höhe von 5,5 Millionen Euro. 2019 sei das Ergebnis noch etwas besser gewesen, sagt Revermann.

Der Einbruch im Zuge der Corona-Krise hat die Zukunftspläne erst mal über den Haufen geworden. Stattdessen hat Görtz ein Sparprogramm gestartet, Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und Mietnachlässe ausgehandelt. Besonders betroffen von den Umsatzeinbußen durch den Lockdown sind die großen City-Filialen. In der Spitalerstraße, wo Görtz auf vier Etagen Schuhe verkauft, liegt das Minus aktuell bei 50 Prozent, sagt Revermann. Als Konsequenz hat die Filiale die Geschäftszeiten reduziert und öffnet jetzt erst morgens um 11 Uhr.

Görtz schließt vier Filialen in Deutschland

Noch schlimmer trifft es die Schuhhäuser in Berlin, wo durch die ausbleibenden Touristen die Kundenfrequenzen eingebrochen sind. In Berlin-Mitte wird Görtz deshalb zum Jahresende zwei Filialen schließen. Bundesweit waren sogar acht Schließungen geplant. Nach Verhandlungen mit Vermietern reduzierte sich die Zahl auf vier.

Angesichts der beschlossenen Kundenbeschränkungen für Geschäfte ab 800 Quadratmetern, von denen Görtz in vielen Niederlassungen betroffen ist, fordert Revermann weitere staatliche Hilfen. Der Handel müsse beim Ausgleich der Umsatzverluste genauso behandelt werden wie Gastronomie und Hotels, sagt er ungewöhnlich offen.

Trotz starkem Online-Handel: 75 Prozent der Umsätze in Läden

Auch wenn die Online-Umsätze im Zuge der Krise um zehn Prozent deutlich gestiegen sind, setzt der Görtz-Chef auch weiter auf den stationären Handel, der für 75 Prozent der Umsätze steht. „Wir sind froh, dass wir schon 2003 mit einer eigenen Webseite gestartet sind und inzwischen ein gut vernetztes Angebot zwischen unserem Online-Shop und den Filialen bieten können“, sagt Revermann.

Mit einer Weiterentwicklung des E-Commerce-Angebots zu einem Marktplatz, bei dem Hersteller Teile ihrer Sortimente, die Görtz nicht geordert hat, einstellen können, habe sich die Zahl der Artikel auf goertz.de von 10.000 auf 20.000 verdoppelt. Das soll weiter ausgebaut werden. „Wir wollen der Schuhmarktplatz in Deutschland sein.“ Mittelfristig sollen 40 Prozent des Umsatzes im Netz erwirtschaftet werden.

2021 plant Görtz nur zwei bis drei Neueröffnungen

Parallel justiert das 1845 gegründete Unternehmen das Filialnetz weiter. Auch im Corona-Jahr sind neue Standorte dazugekommen, zuletzt in Paderborn. Zugleich testet das Unternehmen mit Room by Görtz ein neues Konzept mit Verkaufsräumen, die eher an eine Lounge mit locker verteilten Sitzmöbeln und sorgfältigen Schuhinszenierungen erinnern. „Wir wollen Schuhen mehr Raum geben“, sagt Revermann. Bislang gibt es zwei solcher Filialen in Frankfurt und Düsseldorf. Auch Hamburg steht auf der Wunschliste. „Wenn wir einen interessanten Standort finden.“

Dabei sollen digitale Lösungen wie etwas mobile Kassen auch für Kunden im Laden zugänglich werden. Dass die Menschen nach dem Ende der Corona-Einschränkungen in die Shoppingmeilen der Städte zurückkehren werden, daran glaubt Revermann fest. Trotzdem hat er die Zahl der Neueröffnungen für 2021 zusammengestrichen. „Es wird zwei bis drei neue Filialen geben.“

Hausschuhe statt High Heels

Revermann durchquert mit schnellen Schritten das Görtz-Stammhaus und steuert zielsicher auf die hinterste Ecke zu. Hier stehen Hausschuhe, bequem und warm. „Das ist im Moment das einzige Segment, das Plus macht“, sagt er und schüttelt den Kopf.

Die Schlappe für daheim ist der Schuh in der Krise. Und die Auswahl ist bereits stark dezimiert. „Wir könnten noch mehr Hausschuhe verkaufen, wenn wir mehr eingekauft hätten“, sagt Frank Revermann. Nachbestellungen sind inzwischen schwierig.