Hamburg. Stoffläden gehören zu den Gewinnern der Krise. Mit Mund-Nasen-Bedeckungen fing der Boom der Handarbeitsbranche an.

Bunt bedruckte Baumwollstoffe mit Streifen oder Blümchen, warmes Wollwalk in allen Farben des Regenbogens, Ballen mit weichem Jersey-Gewebe, dazu Knöpfe, Scheren, Nadeln, Schnittmuster und was man sonst noch so zum Nähen braucht. Es ist beeindruckend, wie viel in so einen kleinen Laden passt. „Wir haben um die 1000 verschiedene Stoffe“, sagt Franzi Schafschetzy.

Seit vier Jahren betreibt die gelernte Maßschneiderin mit ihrer Mutter den Stoffladen &Erna in Ottensen. Gerade mal 50 Quadratmeter groß ist die Verkaufsfläche in dem Souterrain-Ladenlokal. Maximal drei Kunden dürfen wegen der Corona-Auflagen gleichzeitig in den engen Räumen stöbern. Trotzdem läuft das Geschäft so gut wie nie. „Es wird mehr genäht“, sagt die Gründerin.

Trotz Corona: Immer mehr kleine Stoffgeschäfte eröffnen

Die Corona-Pandemie hat dem Handarbeitsmarkt einen ordentlichen Schub gegeben. „Das ging gleich nach dem Corona-Lockdown im Frühjahr los“, sagt Phoebe Schafschetzy-Schlegel, die im Moment genau so häufig im Laden steht wie ihre Tochter. Alle wollten plötzlich Stoffmasken als Schutz vor der Ansteckung mit dem Virus nähen oder fertige kaufen. Dafür standen sie auch vor der Tür Schlange.

Das Mutter-Tochter-Duo arbeitete Nächte durch: zuschneiden, nähen, bügeln – verkaufen. Manche Baumwollstoffe wurden knapp, vor allem die maskengeeigneten unifarbenen oder mit kleinen Mustern. Gummibänder waren phasenweise nicht zu bekommen. „Wir sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen“, sagt Schafschetzy-Schlegel. Aber in diesem Jahr ist das Plus mit 30 Prozent deutlich höher. Etwa die Hälfte davon sei dem Corona-Boom zuzurechnen. „Es gibt viele, die wegen der Masken wieder angefangen haben zu nähen und jetzt Lust haben, auch andere Sachen zu machen.“

Mahler hat 5000 Stoffe im Online-Shop

Auch Stefan Mahler registriert eine gestiegene Nachfrage. Der Inhaber von Mahler Stoffe verkauft in einem Gewerbegebiet in Hamm auf 400 Quadratmetern Stoffe. Der Stoffhandel ist stadtbekannt für hochwertige Ware. Kostümbildner, Modedesigner, Schneider und die wachsende Hobby-Nähcommunity kaufen bei dem 57-Jährigen ein. Als Großhändler hatte er auch während des ersten Lockdowns fast durchgehend geöffnet. Der Ansturm war so enorm, dass er die Mitarbeiter, die er zunächst in Kurzarbeit geschickt hatte, schnell zurückholte.

„Inzwischen hat sich die Lage wieder normalisiert“, sagt der gelernte Stoffgroßhändler, der den väterlichen Betrieb 1996 übernommen hatte. Und zwar auf hohem Niveau. Um sich gegen die wachsende Konkurrenz im Internet zu behaupten, hatte Mahler seine Ladenflächen schon vor Corona reduziert und angefangen, seinen Onlineshop auszubauen. Aus 5000 Stoffen kann man dort inzwischen wählen. „So langsam wird es ein Distributionsbereich, der spürbar wird“, sagt er und ist zuversichtlich, dass die Geschäftszahlen am Jahresende gut sind. „Es fühlt sich gesund an“, sagt er, „trotz Corona.“

Handarbeitsbranche mit Milliarden-Umsatz

Schon 2019 hatte der Markt für Handarbeitsbedarf in Deutschland leicht zugelegt. Mit einem Gesamtumsatz von 1,17 Milliarden Euro (plus 1,2 Prozent) verzeichnete der Bereich selbst gemachte Textilien nach Angaben des Branchenverbandes Initiative Handarbeit ein leichtes Wachstum. Umsatzstärkstes Segment war das Nähen. Allein mit Stoffen wurde ein Umsatz von 440 Millionen Euro erzielt, vier Prozent mehr als 2018. Branchenzahlen für das Corona-Jahr sollen im März 2021 vorliegen.

„Wir erwarten Zuwächse“, sagt die Sprecherin des Branchenverbandes, Angela Propst-Barjak. „Handarbeiten gewinnt an Bedeutung.“ Dabei spiele einerseits die Masken-Produktion eine Rolle, aber es werde auch mehr genäht, gestrickt und gehäkelt. „Die Menschen haben Zeit“, so die Expertin. „Viele suchen eine sinnvolle Beschäftigung mit den Händen als Gegengewicht zur virtuellen Welt.“

Mehr als 50 Fachgeschäfte in Hamburg

Der Stoffhandel war lange in der Hand von größeren Händlern, auch Warenhäuser wie früher das Alsterhaus und jetzt Karstadt haben traditionell eine große Auswahl. Mit dem wachsenden Nähtrend in einer jungen – meist weiblichen – Gesellschaft hat sich der Markt in den vergangenen Jahren gewandelt. Auch in Hamburg haben peppige neue Fachgeschäfte für Stoffe und anderes eröffnet. Sie heißen Fadengold, Fiebmatz und Frau Stoffe – und &Erna. Schätzungen zufolge sind es über die Stadt verteilt etwa ein Dutzend.

Es geht mehr um die kreative Selbstverwirklichung als um die kostengünstige Produktion neuer Kleidungsstücke. Die Handelskammer verzeichnet im Bereich Handarbeiten und Meterwaren 50 eingetragene Firmen, dazu kommen noch 75 im Nebengewerbe und 82 Geschäfte für Kurzwaren im Haupt- und Nebenwirtschaftszweig. Parallel ist der Anteil des Onlinehandels auch diesem Bereich gestiegen.

&Erna verkauft Stoffe ab zehn Zentimetern

Bei &Erna läutet die Ladenklingel, kaum dass die Schafschetzys die Tür aufgeschlossen haben. Eine Frau braucht Stoff für eine Handpuppe. Kurz darauf kommt eine andere herein, die einen Pullover für ihren Enkel nähen will. Masken werden auch immer wieder gekauft. So geht es den ganzen Tag. Gründerin Franzi Schafschetzy hatte nach der Geburt ihrer drei Kinder zunächst in einem Spielzeugladen gegenüber vom heutigen Standort als Untermieterin gestartet. Ihre Mutter Phoebe, eigentlich Erzieherin und Lerntherapeutin, war zunächst als stille Teilhaberin eingestiegen. Erna, die Namensgeberin, ist der Hund der Gründerin.

Inzwischen betreibt das Mutter-Tochter-Gespann das Geschäft zusammen. Schwerpunkte sind bio-zertifizierte Stoffe, viel Baumwolle und Wolle zu Meterpreisen zwischen 14 und 25 Euro. Synthetik gibt es kaum. Alle Stoffe werden auch in kleine Mengen ab zehn Zentimeter abgeschnitten. „Das ist für unsere Kunden wichtig“, sagt die 33-jährige Unternehmerin.

Ladenkette Der Stoff expandiert in Hamburg

Die Konkurrenz ist dabei beträchtlich. Nicht nur Ikea verkauft jede Menge Stoff zu sehr günstigen Preisen. Auch größere Läden wie die Kreativmarkt-Kette Idee führen inzwischen ein Basisangebot. Auf Expansionskurs ist auch Der Stoff aus dem niedersächsischen Nordhorn. Mit 41 Filialen, 450 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 15,5 Millionen Euro ist das Unternehmen inzwischen Deutschlands größer Stoffhändler. In Hamburg ist der Anbieter in der Hallerstraße und seit Jahresbeginn auch in Bramfeld vertreten. In Norderstedt gibt es schon seit mehr als 15 Jahren einen Standort. „Wir wollen unser Netz weiter ausbauen“, sagt Geschäftsführerin Nina Konjer, deren Vater die Firma in den 1990er-Jahren gegründet hatte.

Dabei setzen die Nordhorner auf eine Doppelstrategie. Der Stoff übernimmt inhabergeführte Geschäfte, für die es keine Nachfolger gibt, gründet selbst und betreibt einen Onlineshop mit mehr als 5000 Stoffen. „Wir merken den aktuellen Lockdown in unseren Läden, aber ich gehe davon aus, dass wir das Jahr mit einem Plus abschließen“, sagt Geschäftsführerin Konjer. Dabei hätten die Stoffhändler, die auch Kurzwaren und Nähmaschinen im Angebot haben, sogar noch mehr verkaufen können. „Aber gerade bei Nähmaschinen gibt es immer noch Lieferzeiten bis zu einem halben Jahr.“

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Auch Mutter und Tochter Schafschetzy haben wegen Lieferengpässen immer wieder Lücken im Sortiment. Nadeln und bestimmte Garnfarben sind schwer zu bekommen, teilweise auch ausverkauft. Trotzdem ist es für das kleine Familienunternehmen ein richtig gutes Jahr – zum ersten Mal voraussichtlich mit einem kleinen Gewinn. Denn auch bei den Nähkursen, wegen der Corona-Auflagen mit begrenzter Teilnehmerzahl, steigt die Nachfrage. Vor allem in den Anfängerkursen.