Hamburg. Viele Geschäfte im Hamburger Hauptbahnhof sind unter Druck. Welche Rolle spielt der Eigentümer, ein Immobilienfonds?
Eigentlich liebt Harald Saacke seinen Job. Seit 20 Jahren betreibt der Hamburger das Geschäft The Tea Embassy in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs. Gerade mal 18 Quadratmeter misst der Miniladen am Übergang zu den Gleisen 13 und 14. Im Schaufenster hat der 62-Jährige bunte Becher, exotische Teeschachteln, hübsch verpackte Süßigkeiten und Adventskalender mit Türchen drapiert. Drinnen duftet es verführerisch. 250 lose Teesorten führt Saacke, vom Früchtetee ab 4 Euro für 100 Gramm bis zum weißen Darjeeling für 25 Euro. Ein Paradies für Tee-Liebhaber.
Und für Gelegenheitskäufer, die mit dem stetigen Besucherstrom durch den Hauptbahnhof ziehen. Mehr als eine halbe Million Menschen am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. 200.000 davon in der Wandelhalle.
Hamburger Hauptbahnhof: Die Folgen der Corona-Pandemie sind hart
Bislang ein einträgliches Geschäftsmodell. Aber seit die Corona-Pandemie das öffentliche Leben massiv einschränkt, verlieren sich wie an diesem Novembervormittag oft nur noch wenige Passanten im Herzstück des Bahnhofs zwischen Glockengießerwall und Kirchenallee. „Die Pendler fehlen, die Touristen fehlen“, sagt Tea-Embassy-Inhaber Saacke.
Seit März sind seine Umsätze eingebrochen. Gerade die Hälfte der üblichen Erlöse hat er in der Tageskasse. Nachdem seit Anfang des Monats der Lockdown Light beschlossen worden ist, gehen die Zahlen wieder deutlich nach unten. Inzwischen ist Harald Saacke nicht mehr sicher, wie lange er seinen Laden noch über die Runden bringt. „Die Kosten sind gleich geblieben. Der größte Posten ist zugleich auch das größte Problem: die Miete. Aber, so der Händler, alle Bemühungen, in der schwierigen Lage einen Nachlass zu bekommen, seien abgelehnt worden.
Stofftier-Laden: „Die Lage ist eine Katastrophe“
Der Tee-Händler ist nicht der einzige in der Wandelhalle, der ums Überleben kämpft. Knapp 50 Fachgeschäfte vom Blumenladen bis zum Geschäft für Reisegepäck, Restaurants und Servicestationen gibt es in der 1991 nach einer Komplettsanierung eröffneten Einkaufsmeile auf der Nordseite des Bahnhofs. „Die Lage ist eine Katastrophe“, sagt auch Gerlinde Körber vom Stofftiergarten. Und da klingt die ganze Verzweiflung durch. Seit 29 Jahren betreibt sie den Spezialladen für Kuscheltiere aller Art mit ihrem Ehemann. „Wir versuchen alles, um die Kosten zu reduzieren“, sagt die 58-Jährige, die jetzt meistens selbst im Laden steht. Aber auch der Stofftiergarten muss für die 29-Quadratmeter-Fläche weiterhin monatlich etwa 6000 Euro Miete zahlen. Nur die Öffnungszeiten in der Wandelhalle seien inzwischen reduziert worden.
„Wir konnten Mietzahlungen für dieses Jahr stunden lassen. Das war das einzige Angebot“, sagt auch Mieter Claus Göcke. Er ist Geschäftsführer der United Souvenir GmbH, die in der Wandelhalle die Shops I love HH und Accesorios betreibt. Zurückgezahlt werden müssen die Rückstände ab Januar. Dass sich die Lage bis dahin normalisiert, glaubt inzwischen niemand mehr. „Wir werden komplett im Regen stehen gelassen“, klagt Göcke ungewöhnlich offen. Andere Mieter halten sich lieber zurück, weil sie Schwierigkeiten mit dem Vermieter befürchten.
Es gebe genug große Ketten, die Flächen gerne übernehmen würden, wird hinter vorgehaltener Hand kolportiert. Der Hilferuf der Geschäftsleute zeigt, wie ernst die Lage ist.
Wandelhalle: Gosch hat komplett geschlossen
Besonders hart betroffen sind Gastronomiebetriebe. In die Gourmet-Station im Erdgeschoss verirrt sich kaum noch ein Kunde. Bei Bäcker Allwörden, wo sonst Reisende in langen Schlangen an der Kasse stehen, haben die Mitarbeiter Zeit zwischendurch zu putzen. Fischspezialist Gosch hat seinen Betrieb komplett eingestellt. „Es lohnt sich nicht“, sagt ein Sprecher des Sylter Unternehmens. Auch Mr.-Clou-Geschäftsführer Wolfgang Vollheide klagt: „Das, was hier gerade passiert, ist ein Sterben auf Raten.“ Die Kette mit 16 Filialen vor allem auf Bahnhöfen sei darauf angewiesen, eine Hilfestellung zu bekommen. Er habe seit Monaten über die Reduzierung der Miete verhandelt. „Aber bislang tut sich nichts.“
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Center-Manager macht keine konkreten Angebote
„Die sinkenden Umsätze treffen den gesamten stationären Handel“, sagt Daniel Martens, Geschäftsführer der Wandelhalle Martens Verwaltung und Projektentwicklung, die den Betrieb der Wandelhalle managt. Martens will die Kritik der Mieter nicht so stehen lassen. „Wir sprechen mit allen“, sagt Martens. Über konkrete Lösungen sagt er nichts. Für die Wandelhalle sind die Einbrüche ein Novum. Seit knapp 30 Jahren floriert das Geschäft. Es gibt Hamburger, die die Immobilie „Goldgrube“ nennen.
Immobilienfonds setzt auf Gewinne
Eigentümer ist der Immobilienfonds DG Immobilien-Anlage 22. Die Tochter der Deutschen Genossenschaftsbank hatte das Hamburger Filetstück 1991 im Erbbaurecht für einen Zeitraum von 70 Jahren erworben. Bereits vor drei Jahren hatte die Fondsgesellschaft die Wandelhandel zum Verkauf angeboten. Die Anleger des geschlossenen Fonds wollten offenbar Kasse machen. Doch die Verkaufspläne wurden gestoppt, wie ein Sprecher des Fonds dem Abendblatt bestätigte – schon vor der Corona-Pandemie.
Die Gründe sind vielschichtig. Zum einen heißt es beim Wandelhallenbesitzer, dass es sich derzeit nicht lohne, Fondsanlagen zu Geld zu machen. Denn dieses Geld könne nirgendwo zu höheren Zinsen angelegt werden. Zudem sei die Erwartung an die Wandelhalle, dass sie nach wie vor wegen „guter Mieten“ Gewinn abwerfe. Corona habe zwar das Geschäft eingetrübt. Der Immobilienfonds rechnet aber mit einer Wiederbelebung der Umsätze.
Immobilienexperten über den Hauptbahnhof
Offenbar geht es längst um die Zeit nach der Krise. Der Hauptbahnhof werde seine Attraktivität als Einkaufs- und Gastronomieort zurückgewinnen, erklärten mehrere vom Abendblatt befragte Immobilienexperten. Die Tatsache, dass der Immobilienfonds die Wandelhalle nicht verkauft habe, sei ein Zeichen dafür, dass die Renditeerwartungen sehr hoch seien. In Immobilienkreisen wird auch darüber spekuliert, dass der geplante Um- und Anbau am Hauptbahnhof Auswirkungen auf die Überlegungen der Wandelhallenbesitzer haben könnte. Der Immobilienfonds könnte der Stadt Hamburg oder der Bahn ein Angebot machen, die Wandelhalle zu kaufen.
Gastro-Betriebe zahlen 300 Euro pro Quadratmeter
Den Geschäftsleuten und Gastronomen nützt das in der aktuellen Situation nichts. „Wir geben in diesem Jahr im Schnitt mehr als 50 Prozent unserer Umsätze für Miete aus. Das kann kein Unternehmen verkraften“, sagt Jens Woest. Der Hamburger ist im Hauptbahnhof gleich an drei Standorten vertreten. In der Wandelhalle betreibt er das Restaurant Sushi Supply auf 120 Quadratmetern. Die Kundenrückgänge durch die Corona-Krise machen ihm schwer zu schaffen. Und die staatlichen Überbrückungshilfen für September, Oktober und November seien noch nicht ausgezahlt. „Aber die Fixkosten mussten wir längst zahlen.“
Genaue Zahlen nennt er nicht, aber nach Abendblatt-Informationen werden im Hauptbahnhof für Gastronomiefirmen mindestens 300 Euro Miete pro Quadratmeter aufgerufen. Woest führt Appelle aus der Politik, etwa vom Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), an die Vermieter ins Feld, der gemeinsame Lösungen angemahnt hatte. Aber alle Versuche seien gescheitert. „Es gibt keine Antwort. Man stößt auf totale Ablehnung“, sagt er.
Mieten: Auch die Deutsche Bahn zeigt wenig Entgegenkommen
Besonders bitter für den Unternehmer, dessen Vater schon Mieter am Hauptbahnhof war: Auch für die Standorte Wok Express in der Osthalle und Senfbar auf dem Südsteg gebe es nur wenig Entgegenkommen. Diese Bereiche des Hauptbahnhofs werden von der DB Station & Service AG betrieben. Die Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn habe zwar für April und Mai je 50 Prozent der Miete erlassen, aber sei zu weiteren Konzessionen nicht bereit. Dass es auch anders geht, zeige der Hamburger Flughafen, wo Woest zwei weitere Betriebe führt. Dort habe man sich auf den Mix aus Mietminderungen und Mieterlass geeinigt. „Die Deutsche Bahn ist sogar komplett in öffentlicher Hand und sollte, wie von der Politik gefordert, Lösungen mit den Mietern finden“, sagt der Gastronom, der gut 50 Mitarbeiter beschäftigt.
Eine Bahn-Sprecherin erklärt auf Anfrage des Abendblatts: „Die Deutsche Bahn lässt ihre Mieter in den Bahnhöfen mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht allein.“ Aktuell werde geprüft, wie – zusätzlich zu bereits gewährten Unterstützungen – Hilfe für die betroffenen Mieter gewährt werden könne. Konkrete Optionen nannte sie nicht.
Tee-Händler befürchtet Konkurs
Im Hauptbahnhof ist die Unruhe inzwischen groß. Vor allem die kleineren Betriebe haben kaum noch Spielräume. Wandelhallen-Mieter Harald Saacke sagt: „Ich bin seit 20 Jahren ein guter Mieter. Jetzt erwarte ich ein Entgegenkommen des Vermieters.“ So könnte er sich für die nächsten Monaten eine Miete vorstellen, die sich nach den Umsätzen bemisst. „Das würde helfen.“ Einem Großteil seiner Mitarbeiter hat er schon gekündigt. „Mein Plan war nicht, dass ich im Januar Konkurs mache“, sagt er. Inzwischen ist er nicht mehr so sicher.