Hamburg. Seit 125 Jahren hilft die Bahnhofsmission in Hamburg den Bedürftigen – ein Knochenjob. Pandemie macht die Arbeit nicht leichter.

Von den leuchtend himmelblauen Containern der Hamburger Bahnhofsmission auf dem Platz vor der Kunsthalle geht eine spürbare Anziehungskraft aus. An diesem eisig kalten Novembermontag stehen die Gäste Schlange. Die Wartenden werden aus zwei Fenstern heraus von den Mitarbeitern bedient. Ein heißes Getränk ist für sie eine kleine Rettung. Sie lassen sich einen dampfenden Becher Tee oder Kaffee reichen, schlagen ihren Mantelkragen auf und gehen ihrer Wege.

„Montagmorgens staut es sich im Moment häufig“, erklärt die 18-jährige Anneke Wolf, die ihren Bundesfreiwilligendienst in der Mission leistet. Viele Bedürftige strömten dann aus den Unterkünften des Winternotprogramms, um sich bei ihnen aufzuwärmen.

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Nicht selten sind es jedoch auch ernstere Anliegen, die die Menschen dazu bewegen, die Hilfe der Bahnhofsmission in Anspruch zu nehmen. Viele von ihnen sind obdachlos, manche mittellos gestrandet. Andere benötigen Hilfe bei einem Formular, wieder andere haben einfach niemanden zum Reden. Seit nun schon 125 Jahren verrichtet die Bahnhofsmission in Hamburg ihren Dienst.

Mitarbeiter brauchen Gespür für die echten Probleme

Und der ist gefragt wie eh und je. Gerade in der Corona-Krise hätten viele Gäste eine schlechte Perspektive, sagt Axel Mangat, der die Bahnhofsmission seit zehn Jahren leitet. „Notlagen spitzen sich zu, es wird wegen der schlechten Versorgungslage auch um kleinere Dinge gekämpft.“ Da sei das Angebot der Mission, die seit 1992 durchgehend 24 Stunden geöffnet ist, besonders wichtig. „Wir sind da. Das ist, was wir können“, sagt Mangat. Als niedrigschwellige Erstanlaufstelle versorge man die Gäste, so gut es gehe, und leite sie dann an diejenigen Stellen weiter, die ihre Pro­bleme lösen könnten.

Die Container der Mission sind eine
Anlaufstelle für viele Bedürftige.
Die Container der Mission sind eine Anlaufstelle für viele Bedürftige. © Marcelo Hernandez | Unbekannt

Die Pandemie macht die Arbeit natürlich nicht gerade leichter. Während vor dem Ausbruch der Corona-Krise vier Tische im Innenraum der Mission für Einzelgespräche zur Verfügung standen, wird nun das meiste direkt am Fenster erledigt. Früher habe die Tasse Kaffee bloß den Einstieg für das Gespräch bedeutet, sagt Erika Witte, die 62 Jahre alt ist und schon seit 19 Jahren als fest angestellte Mitarbeiterin in der Bahnhofsmission arbeitet. Heute drohe manches erns­te Anliegen unbemerkt zu bleiben. Es brauche ein gewisses Gespür, um die wirklich drängenden Problemlagen zu erkennen, die dann auch weiterhin im Inneren der Räumlichkeiten besprochen werden könnten.

Dass Corona überall Veränderungen mit sich bringt, ist auch an diesem Tag sichtbar. Axel Mangat deutet auf den Schrank mit den neu angeschafften sogenannten Powerbanks. „Immer mehr Gäste brauchen eine Möglichkeit, um ihre Handys anzuschließen. In Krisenzeiten ist es besonders wichtig, an aktuelle Informationen zu kommen, weshalb viele Obdachlose ihre Handys häufiger benutzen“, sagt Axel Mangat. „Doch woher kriegen sie den Strom, wenn alles geschlossen ist?“

Es sind nicht nur freudige Erlebnisse, die die Arbeit in der Bahnhofsmission ausmachen

In den Anfängen der Hamburger Bahnhofsmission gab es zwar noch längst keine Mobiltelefone, ansonsten aber hatte man es mit ganz ähnlichen Problemen zu tun wie heute. Im Zuge von Industrialisierung und Landflucht entstand am Ende des 19. Jahrhunderts ein florierender Frauen- und Mädchenhandel, für den die allein in die Großstädte strömenden jungen Frauen leichte Opfer darstellten. Heute kämen die jungen Frauen eben nicht mehr aus Schlesien oder Pommern, sondern aus Rumänien oder Bulgarien, berichtet Dr. Eva Lindemann, die beim Trägerverein Hoffnungsorte Hamburg für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

In den vergangenen Jahren hat es in der Bahnhofsmission immer eine Weihnachtsfeier gegeben – mit Gesang, Keksen und einer gemeinsamen Andacht. Auch in diesem Jahr hätten sich bereits viele Gäste danach erkundigt, erzählt die ehrenamtliche Mitarbeiterin Monika Becker. Doch leider mache auch hierbei Corona einen Strich durch die Rechnung. „Wir überlegen, eine Andacht im Freien zu veranstalten, aber das kann natürlich nur kurzfristig entschieden werden“, berichtet Becker. Um wenigstens ein bisschen Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, plane man nun, Weihnachtstüten mit Gebäck und praktischen Alltagsgegenständen zu befüllen und zu verteilen, Apfelpunsch auszuschenken und vielleicht noch frische Waffeln zu backen.

Doch es sind nicht nur freudige Erlebnisse, die die Arbeit in der Bahnhofsmission ausmachen. Aggressives Verhalten, Beleidigungen und Spuckattacken, auch sexuelle Belästigungen sind die finsteren Begleiterscheinungen der Arbeit am Bahnhof. Axel Mangat berichtet von einer Praktikantin, die am Anfang davon ausgegangen war, dass Helfen etwas Romantisches sei. Die Arbeit in der Mission habe sie dann jedoch gelehrt: helfen sei nervenaufreibend. Umso wichtiger sei die Unterstützung, die sich die Mitarbeiter der Bahnhofsmission untereinander zuteilwerden ließen; von einem „ganz besonderen Teamgeist“ spricht etwa Anneke Wolf. Zudem brächten einem die allermeisten Gäste sowieso große Dankbarkeit entgegen – und vor allem helfe es Wolf, dass sie weiß: „Was ich hier tue, ist sinnvoll.“