Hamburg. Der Spezialhändler verkauft seit 1956 an den Alsterarkaden Schmuck mit dem beliebten Stein. Seit der Corona-Krise fehlen Kunden.

Noch ist alles wie immer. Morgens um 10 Uhr schließt Birgit Hübner die Ladentür auf. Sie sieht, wie die Herbstsonne unter die runden Bögen der Alsterarkaden kriecht und es anfängt zu leuchten, wenn ein Strahl auf einen Bernstein im Schaufenster trifft. In der Auslage sind Ohrringe, Ketten, Armbänder und Ringe sorgfältig drapiert. Auch ein dicker Buddha aus dem fossilen Harz steht dazwischen. Seit mehr als 60 Jahren gibt es den Bernsteinladen in der historischen Passage in der Hamburger Innenstadt. Jetzt ist bald Schluss. „Wir schließen Ende März nächsten Jahres“, sagt Geschäftsleiterin Hübner.

Hamburgs ältestem Spezialgeschäft für Bernstein hat die Corona-Krise schwer zugesetzt. „Uns fehlen die internationalen Touristen“, sagt Eigentümer Søren Fehrn, der neben dem Laden in Hamburg noch einen weiteren in München betreibt. Kunden aus China, den arabischen Ländern und den USA machen den Hauptteil des Geschäfts aus. Seitdem die nicht mehr nach Hamburg kommen, ist der Umsatz nahezu komplett eingebrochen. Das hat sich auch nach Ende des ersten Lockdowns im April nicht geändert. „Wir sind nicht insolvent“, betont Fehrn. „Aber der Laden lohnt sich nicht mehr.“

Die Geschichte des Ladens reicht bis ins Jahr 1884 zurück

Birgit Hübner hat fast ihr ganzes Berufsleben im Bernsteinladen gearbeitet. Jetzt steht die gelernte Einzelhandelskauffrau hinter dem Verkaufstresen im hinteren Bereich. Fast jeder Fleck in dem kleinen Ladengeschäft mit knapp 30 Quadratmetern Verkaufsfläche ist voll gestellt mit Vitrinen und Schaukästen. Bernstein in jeder erdenklichen Form wird angeboten: honiggelb und grünlich dunkel, opak und klar, natur und geschliffen, mit und ohne Insekteneinschluss. Es gibt eine lange Kette aus antikem Bernstein für knapp 17.000 Euro, aber auch Ohrringe für 17 Euro. Verkauft hat die Geschäftsleiterin in den vergangenen Monaten kaum etwas. „Es gibt Tage, an denen kein Kunde in den Laden kommt“, sagt sie. „Das ist schon bitter.“

Die Firma war 1884 als kleiner Handwerksbetrieb von Friedrich Witzki in Danzig gegründet worden. Nach dem ersten Weltkrieg war der Enkel des Gründers nach München gegangen und hatte dort einen Laden am Marienplatz eröffnet. 1956 machte er die Filiale in den Alsterarkaden auf. 2004 übernahm der heutige Eigentümer Søren Fehrn das Unternehmen. Der Däne, dessen Vater die Filialkette House of Amber in seiner Heimat gründete, hatte das Geschäft mit dem „Gold der Ostsee“ weiter ausgebaut und gilt als Legende im Bernsteinhandel. 2007 verkaufte er das elterliche Unternehmen – und behielt nur die beiden deutschen Bernsteinläden.

„Als ich im Bernsteinladen angefangen haben, hatten wir in München noch eine eigene Werkstatt für Reparaturen“, erinnert sich die Hamburger Geschäftsführerin Birgit Hübner. Im Laden standen manchmal vier Verkäuferinnen gleichzeitig. Damals kamen vor allem japanische Touristen zu den Experten in den Alsterarkaden. „Bernstein war auch bei deutschen Kunden immer beliebt“, sagt die Hamburgerin. „Es war ein erschwinglicher Schmuck, den sich viele leisten konnten.“ Kunden kamen auch, um die Echtheit von Bernstein zu überprüfen oder den geerbten Familienschmuck schätzen zu lassen. Manche schreiben dem Stein, der eigentlich ein Harz von 40 Millionen Jahren alten Koniferen aus den nordeuropäischen Wäldern ist, heilende Wirkung etwa bei Atemwegserkrankungen und Rheuma zu.

Immer wieder wollen Kunden eine „Merkel-Kette“

Inzwischen ist Bernstein für viele eine Geldanlage. Vor allem die steigende Nachfrage durch chinesische Sammler hat den Preis vor einigen Jahren massiv in die Höhe getrieben. Besonders wertvoll ist gelber Bernstein, der noch roh ist oder schon sehr alt. Je nach Farbe, Form und Größe konnte man in der Hochphase vor vier Jahren für ein Gramm Bernstein bis zu 400 Euro erlösen – mehr als für Gold. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren wurde das Ostsee-Gold für eine D-Mark pro Gramm verkauft. Zeitweise setzten viele auf das schnelle Geschäft mit dem Bernstein. Das ist jetzt vorbei: Die Preise sind deutlich gesunken.

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Doch bis zum Beginn der Corona-Pandemie kamen regelmäßig chinesische Touristengruppen in den kleinen Laden in den Alsterarkaden. „Es war manchmal so voll, dass einige draußen stehen mussten“, sagt Birgit Hübner. Beliebt bei den asiatischen Kunden sind Ketten und Armbänder mit zu Kugeln oder Oliven geformtem Bernstein – zu Preisen ab 15.000 Euro. „Manche haben gleich mehre gekauft“, sagt Hübner. „Und am liebsten bar bezahlt.“ In Deutschland dagegen ist die Nachfrage durch die hohen Preise eher gesunken. Gern gekauft werden Bernsteinkettchen für Babys, die das Zahnen erleichtern sollen. In Hamburg verkauft der Großhändler Amberworld Bernstein in großer Auswahl. An- und Verkauf von Bernstein bieten unter anderem der Juwelier Sperling in der Lübecker Straße oder Bernstein Germany in Alsterkrugchaussee an.

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Birgit Hübner trägt selbst gern Bernstein-Schmuck. An diesem Tag hat sie eine Kette mit einem in Silber gefassten Stein umgelegt. In mehr als 30 Jahren im Bernsteinladen hat sie auch Prominente wie Ex-Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff oder die Schauspieler Uwe Friedrichsen und Edgar Bessen bedient. „Es gibt auch immer wieder Kunden, die in den Laden kommen und eine Merkel-Kette kaufen wollen“, sagt sie. Denn die Bundeskanzlerin hatte bei einer wichtigen Rede eine Bernstein-Kette getragen, die von Medien schon zur Glückskette hochgejazzt wurde.

Für Hübner endet mit der Schließung nicht nur ein Job. „Der Laden ist auch Heimat für mich“, sagt sie. Noch in diesem Monat, bestätigte Eigentümer Fehrn, der inzwischen meistens in Spanien lebt, dem Abendblatt, soll der Räumungsverkauf beginnen – mit Rabatten von 50 Prozent.