Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 8: Wie Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft am Großen Burstah durch die Krise steuert.

Es ist keine drei Wochen her, dass Janine Werth den erfolgreichsten Tag ihres Ladens Werte Freunde gefeiert hat. Die Gründerin und ihr Team hatten sich zum zweiten Geburtstag einiges ausgedacht. Es gab große Luftballons und kleine Geschenke. Schon vor der Geschäftsöffnung um 11 Uhr standen die ersten Kunden vor der Tür am Großen Burstah. Den ganzen Sonnabend herrschte Hochbetrieb mit mehr als 200 Kunden. „Wir haben Blumen bekommen, sogar einen Geburtstagskuchen“, erinnert sich Janine Werth. Es wurde auch anprobiert und verkauft. Nachhaltig produzierte Pullover und Kleider, Cremes und Seifen aus natürlichen Inhaltsstoffen. Abends waren fast 15.000 Euro in der Kasse. „Der höchste Tagesumsatz, den wir bisher gemacht haben.“

Was für ein Unterschied. Jetzt ist das Geschäft häufig leer. Am Eingang stapeln sich die unbenutzten Warenkörbe. Seit Anfang November die neuen Corona-Beschränkungen in Kraft getreten sind, kommen deutlich weniger Menschen in den Laden am Rande der Hamburger Innenstadt. „Das fing schon in der letzten Oktoberwoche an“, sagt Ja­nine Werth. Mit den steigenden Infektionszahlen seien auch die Unsicherheit und die Angst vor einer Ansteckung mit Covid-19 zurückgekehrt.

„Alle haben das gespürt.“ Die Folge für ihren Laden: ein Umsatzminus von fast 50 Prozent im Schnitt. In den ersten Tagen des November-Lockdowns waren die Umsätze besonders schlecht. „Wir lagen teilweise sogar 70 Prozent hinter unseren Planzahlen. Und das jetzt, mitten im Vorweihnachtsgeschäft“, sagt die Unternehmerin mit Sorgenfalten auf der Stirn.

Nach der Wiedereröffnung lief es gut für den Spezialladen

Bislang hatte die 41-Jährige nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie Werte Freunde durch die Krise bringen wird. Ihr Geschäft, das mehr ist als ein Job. Sondern auch ein Lebenstraum, für den sie sich mit einer halben Million Euro verschuldet hat. Direkt nach der Verkündung der Ladenschließungen während des ersten Corona-Lockdowns im März hatte sie angefangen, den Verkauf ins Netz zu verlagern. Fünf Wochen lang haben sie und ihre sechs Mitarbeiterinnen Bestellungen, die per Mail oder Telefon eingingen, verpackt und verschickt.

Sie haben Fotos und Videos gedreht, um in den sozialen Medien präsent zu sein. Und über das Tablet Hautanalysen durchgeführt. So konnte das junge Unternehmen immerhin gut ein Drittel der geplanten Umsätze erwirtschaften. Das Motto: Wir schaffen das. Nach der Wiedereröffnung lief es gut für den Spezialladen. Stetig stiegen die Umsätze. Im September war Werte Freunde wieder auf Wachstumskurs mit einem Plus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Idee zur Serie:

  • Zehntausende kleine Geschäfte, Gastronomiebetriebe, Soloselbstständige, Kleingewerbetreibende und Künstler in Hamburg waren von dem Shutdown infolge des Coronavirus betroffen, der das Leben in der Stadt wochenlang stark einschränkte. Auch wenn vieles gelockert wurde, sind die Auswirkungen bis heute präsent und werden noch lange bestehen bleiben.
  • Wie viele Firmen den Existenzkampf am Ende überstehen, kann derzeit niemand sagen. Das Abendblatt begleitet Unternehmerin Janine Werth und ihr Team seit März exemplarisch für viele andere auf ihrem Weg durch die womöglich schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Serie erscheint in loser Folge.

Der Absturz trifft Janine Werth besonders hart

Der Absturz trifft Janine Werth nun auch deshalb besonders hart. „Ich habe schon darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn wir aufgeben“, sagt sie. Wie ein Lockdown light, wie die aktuellen Corona-Beschränkungen auch genannt werden, fühle es sich jedenfalls nicht an. „Es ist sogar schwerer als beim ersten Mal im Frühjahr“, sagt die gelernte Kosmetikerin, die unter anderem bei der Drogeriemarktkette Müller Karriere gemacht hat.

Damals sei die Ausgangssituation für das Unternehmen ganz anders gewesen: mit etwas Geld auf der hohen Kante und einen Dispo-Kredit bei der Hausbank. „Jetzt haben wir schon länger keine Rücklagen mehr, sondern müssen unseren Dispo ausreizen und schulden unserem Vermieter noch zwei Monatsmieten für Mai und Juni“, sagt die Geschäftsfrau. Das sind noch mal mehr als 20.000 Euro im Soll.

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Ein besonderer Schlag für das junge Unternehmen: Das Kosmetikstudio, wichtiger Bestandteil des Geschäftskonzepts, musste im Rahmen des zweiten Corona-Lockdowns erneut schließen. „Wir müssen für den November 130 Behandlungen absagen“, sagt Janine Werth. Damit fehlen 10.000 Euro in der Kasse. Die Umsätze, die durch den Verkauf von Produkten nach der Behandlung in der Regel dazukommen, gar nicht mitgerechnet.

Hilferuf auf Instagram

Auf ihrem Instagram-Kanal, den inzwischen mehr als 8000 Follower bundesweit abonniert haben, hat Janine Werth vergangene Woche einen Hilferuf gestartet. „Umsatz ist eingebrochen, schaffen gerade noch 30 Prozent des benötigten Planumsatzes, Liquidität am Anschlag, Straßen leer, Worst case“, hat sie unter einem Foto einer Seife mit dem passenden Namen „Moisturize All My Problems Away“ (was so viel heißt wie: Pflege alle meine Probleme weg) gepostet. Sollten die Kunden auch weiterhin nicht in den Laden kommen, fehlten am Monatsende 70.000 Euro. „Wenn wir keine Lösung finden, könnte in drei Wochen das Licht ausgehen“, sagt sie.

Während Janine Werth inzwischen auch mal in ihrer Wohnung in Winterhude arbeitet, sind im Laden nicht selten mehr Mitarbeiterinnen als Kunden. Erst im Juli hatte sie noch eine neue Kraft für den Verkauf auf Stundenbasis eingestellt. Es ist wieder viel Zeit für Dinge, die sonst erst nach Ladenschließung erledigt werden können. Im hinteren Bereich steht Tjorven Melletat und dämpft Pullover, Mäntel und Kleider, die sie gerade ausgepackt hat und die jetzt in den Verkauf sollen.

Wenn der erste Lockdown eine Vollbremsung war, ist es nun ein Balance-Akt

Bislang will Janine Werth noch niemanden in Kurzarbeit schicken. Auch weil sie weiß, welche Finanzlücken das bei Beschäftigten mit Kindern reißen würde. „Und es ist ja auch anders als beim ersten Mal. Ich brauche die Leute für den Laden mit acht Stunden Öffnungszeiten von Montag bis Sonnabend“, sagt sie. Wenn der erste Lockdown eine Vollbremsung war, ist es nun ein Balance-Akt. „Wir haben geöffnet, aber viel zu wenige Kunden.“ Von dem staatlichen Hilfspaket, bei dem Unternehmen mit bis 75 Prozent des Vorjahresumsatzes entschädigt werden sollen, hat Werte Freunde nichts. Ob Werth Zuschüsse für die entgangenen Einnahmen des geschlossenen Kosmetikstudios beantragen kann, ist noch völlig unklar.

„Ich komme mir vor, wie in dem Film ,Und täglich grüßt das Murmeltier‘“, sagt die Gründerin. Man merkt, wie viel Kraft die vergangenen Monate gekostet haben. Immerhin ist ein Großteil der Herbst- und Winterware bezahlt – ein Wert von gut 130.000 Euro. Um eine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, muss Janine Werth, die von ihrem Lebenspartner bei Finanzfragen unterstützt wird, wieder mit allen Geschäftspartner sprechen und um Zahlungsaufschub bei Vermieter, Lieferanten und Banken bitten.

Sie haben jetzt auch einen Termin mit einem Unternehmensberater, um eine unabhängige Sicht auf die Chancen ihres Geschäftsmodells zu bekommen. Parallel bereitet sie gerade alles vor, um einen weiteren Kredit zu beantragen. „Das wollte ich nie, aber ich weiß gerade nicht, wie ich sonst über die Runden kommen soll.“ In ihrem Netzwerk gehen die ersten Nachrichten herum: von Händlern, die schließen wollen. Doch Janine Werth hat sich entschlossen, weiterzukämpfen.