Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 5: Wie Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft am Großen Burstah durch die Krise steuert.

„Ich brauche Nachschub.“ Die junge Frau fackelt nicht lange, als sie an diesem Vormittag das Geschäft von Janine Werth betritt und direkt auf die lange Regalwand mit der Kosmetik zusteuert. Es hört sich ein bisschen dumpf an durch den weißen Mundschutz, aber für die Einzelhändlerin klingt es wie Musik. Schon während der fünfwöchigen Corona-Schließung war es das gut sortierte Angebot an Cremes, Seifen und anderen Hautpflegeartikeln mit natürlichen Inhaltsstoffen, das ihrem Konzeptstore Werte Freunde zumindest den Grundumsatz sicherte. „Inzwischen wird auch wieder mehr Mode gekauft“, sagt die Gründerin, bei der es ausschließlich Produkte aus nachhaltiger Produktion gibt.

„Aber es ist noch nicht wieder auf dem Niveau vor der Krise.“ Bei der Corona-Pandemie ist es wie bei den Terroranschlägen von 9/11, der Finanzkrise 2008/09 und anderen weltbewegenden Ereignissen: Die Zeit teilt sich in Vorher und Nachher. Daran wird jetzt alles gemessen – große gesellschaftliche Veränderungen, aber eben auch die Entwicklung von Werths kleinem Laden.

Kauflust der Kunden ist in Corona-Zeiten gedämpft

Seit vier Wochen darf sie die gläsernen Ladentüren am Großen Burstah wieder öffnen. Aber es ist eben nicht wieder so wie vor dem 16. März, als der Senat das öffentliche Leben von einem Tag auf den anderen komplett runterfuhr. Die Kunden dürfen nur mit Maske eintreten, müssen die Hände desinfizieren und einen Einkaufskorb mitnehmen, wenn sie durch das Geschäft schlendern wollen.

„Auch wir merken, dass die Kauflust gedämpft ist“, sagt Janine Werth. An den Kleiderstangen hängt noch die Frühlingsmode, dazwischen hat sie Badeanzüge und luftige Kleider platziert. „Wenn man vor allem zu Hause bleiben soll, kann man sich das neue Sommerkleid auch sparen. Sehen und gesehen werden spielt gerade keine Rolle. Und wer etwas knapp bei Kasse ist oder mit Unwissenheit in die Zukunft blickt, verzichtet verständlicherweise auf ein neues Kleidungsstück“, erklärt sie, warum der Modehandel gerade besonders kämpft.

Umsätze sind bei vielen Händlern teilweise bis zu 80 Prozent eingebrochen

Immerhin: Bei Werte Freunde läuft es besser als bei vielen Händlern in der Hamburger Innenstadt, wo die Umsätze teilweise bis zu 80 Prozent eingebrochen sind. Werth und ihr Team konnten sie seit der Wiedereröffnung im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht steigern. „Wir sind anders“, sagt die 41-Jährige selbstbewusst. „Wir sind keine Kette und haben ein einzigartiges Angebot, das es sonst so nicht gibt.“ Kunden kommen auch von außerhalb, manche bringen Blumen und kleine Geschenke vorbei.

„Wir setzen bis zu 15 Prozent mehr um“, sagt Werth. Mit Erlösen bis zu 17.000 Euro pro Woche ist das inhabergeführte Geschäft wieder auf dem richtigen Kurs. Aber auch für Werte Freunde sind die Zeiten mit hohen Wachstumsraten, die vor Corona normal waren, in weiter Ferne. Und die braucht die junge Firma, um rentabel zu werden. Immerhin sind seit vergangener Woche auch wieder Kosmetikbehandlungen erlaubt – das dritte Standbein von Werths Angebotsmix.

„Gerade gibt es nur noch Hier und Jetzt“

Trotzdem fühle es sich für die Geschäftsfrau an, als wenn ein Reset-Knopf gedrückt worden sei. So beschreibt sie ihren Zustand nach neun Wochen Corona-Ausnahmezustand. „Eigentlich waren wir auf dem Weg, dass ich mich ein bisschen aus dem Tagesgeschäft rausziehen und über langfristige Pläne und Strukturen nachdenken konnte“, sagt Janine Werth. „Gerade gibt es nur noch Hier und Jetzt.“ Vielleicht nicht die schlechteste Strategie nach all den langen Tagen mit drückenden Sorgen um die Existenz, ihre eigene und die ihrer sechs Mitarbeiterinnen.

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    Den Abenden, in denen sie und ihre Lebenspartner Ausgaben und Einnahmen kalkuliert, gerechnet und gegengerechnet haben und um Zahlungsaufschübe und Mietstundungen gebeten haben. Und am Ende unterm Strich trotzdem ein dickes Minus stand. Und den Nächten, in denen auch die energiegeladene Optimistin von Verzweiflung gepackt wurde. Feierabend? Wochenenden? Das war ausgesetzt.

    Großartiger Kundenzuspruch

    „Neben dem großartigen Kundenzuspruch ist für mich die schönste Erfahrung aus dieser Zeit die Power meines Teams“, sagt Werth. Alle seien sofort aktiv geworden, entwickelten Ideen, wie man den Betrieb mit Telefon und Internet aufrechterhalten kann. Plötzlich waren soziale Medien der wichtigste Vertriebskanal. Es mussten Fotos gemacht, Videos gedreht, telefonisch beraten und Bestellungen verschickt werden. Und selbst als sie Anfang April Kurzarbeit anmeldete, lief das einvernehmlich ab. „Ein zweiter ganz wichtiger Moment war, als wir kurz vor Ostern die staatliche Soforthilfe bekommen haben. Das hat uns in dem Moment wirklich gerettet.“ Dabei sei nicht nur das Geld – 20.000 Euro – maßgeblich gewesen, „sondern auch das Gefühl, dass die Politik hier in Hamburg ganz praktisch an uns denkt.“

    Inzwischen sind die allermeisten Rechnungen aus der Vor-Corona-Zeit bezahlt. Und wenn es in den nächsten zwei Wochen so weiterläuft, kann die Ladeninhaberin die Juni-Miete in Höhe von mehr als 10.000 Euro wieder fristgerecht überweisen. Dann bleiben noch die mehr als 20.000 Euro Mietschulden aus dem April und Mai, die der Vermieter gestundet hatte. Die würde sie am liebsten in den nächsten Monaten langsam abstottern. Insgesamt liegt das aufgelaufene Umsatzminus bei etwa 85.000 Euro. „Wir arbeiten uns langsam wieder aus dem Dispo“, sagt die Werte-Freundin-Chefin und hofft, dass sie vorerst ohne einen weiteren Kredit auskommt.

    Kosmetikbehandlungen werden nun wieder angeboten

    „Für uns ist es schwierig, weil wir als Start-up durch die Raster der aufgesetzten Hilfskredite fallen“, sagt sie. Und da müsse man sich schon genau überlegen, ob man in diesen Kampf einsteigen wolle. Trotzdem weiß sie auch, dass im Sommer schon wieder neue Rechnungen für die Herbst- und Winterwaren kommen. Inzwischen denkt sie über einen sogenannten Warenfinanzierungskredit nach. „Das ist einfacher.“ Und ab Jahresende beginnt auch die Tilgung für die hohen Kredite, die sie zur Umsetzung ihres Lebenstraums aufgenommen hat.

    Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

    • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
    • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
    • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
    • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
    • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

    Gleichzeitig gibt es immer wieder viele praktische Themen und Probleme. „Wir haben sehr darauf gewartet, dass wir unser Kosmetikstudio wieder öffnen dürfen“, sagt Werth. Und die Kundinnen hätten immer wieder nachgefragt. Bislang haben die beiden Kosmetikerinnen im Team mit reduzierter Stundenzahl digitale Beratungen und Hautanalysen angeboten.

    Halbe Stunde Pause für Lüften, Desinfizieren und Handtuchwechsel

    Nach dem Senatsbeschluss aus der vergangenen Woche passte Werth die Kurzarbeit im Team an die neue Situation an. Alle Mitarbeiterinnen sollen jetzt wieder auf 80 Prozent erhöhen. Schutzbrillen und FFP2-Masken sind nun ausreichend vorhanden. Um die Hygienevorgaben zu erfüllen, ist zwischen den Behandlungen eine halbe Stunde Pause – fürs Lüften, Desinfizieren und Handtuchwechsel. Seit Montag werden wieder Behandlungen durchgeführt.

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    Es ist erst mal der letzte große Schritt zu einer neuen Normalität. „Die größte Herausforderung ist jetzt, die Kunden im Laden gut zu betreuen und zugleich das Angebot an digitalen Inhalten für die Kunden beizuhalten und auszubauen, die wir in Deutschland zum Beispiel über Instagram dazugewonnen haben und die nicht zu uns kommen können.“ Und dafür braucht sie neue Ideen. „Was uns ausmacht und weshalb die Kunden uns die Treue halten, ist die Zusammenstellung unseres Angebots an guten Dingen und die kompetente und ehrliche Beratung durch Fachpersonal. Das ist eine besondere Kombination.“ Mit einem klassischen Online-Shop kommt man da nicht weiter. „Wir müssen sehen, wie wir virtuelle Besuche in unserem Laden ermöglichen.“