Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 4: Wie die Hamburger Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft durch die Krise steuert.

Um 11 Uhr springt Janine Werth plötzlich auf, geht nach vorne zum Eingang und macht die Ladentür ganz weit auf. „So langsam funktioniert meine innere Uhr wieder“, sagt sie. In den ersten Tagen nach der Wiedereröffnung habe sie den Zeitpunkt immer um einige Minuten verpasst. Fünf Wochen war ihr Geschäft Werte Freunde am Großen Burstah geschlossen. Trotzdem war sie mit einem Teil der Mitarbeiterinnen fast jeden Tag im Geschäft. „Jetzt ist es so ein schönes Gefühl, dass wieder Kunden zu uns kommen. Unbeschreiblich“, sagt die 41-Jährige, die an diesem Freitag ein Sommerkleid mit Blümchenmuster trägt. „Passt doch gut, oder?“

Am Abend des vergangenen Freitags hatte der Hamburger Senat die Lockerungen der Corona-Einschränkungen für Einzelhändler mit einer Fläche bis zu 800 Quadratermetern bekannt gegeben – inklusive der verbindlichen Hygiene- und Abstandsvorschriften. Janine Werth hat noch in der Nacht eine To-do-Liste für die Öffnung am Montag geschrieben. Zwölf Punkte insgesamt: von A wie Abstandsmarkierungen vor der Kasse bis T wie Tester für Kosmetikproben wegräumen. Am nächsten Morgen saßen sie zu viert wieder im Laden, in dem Werth Naturkosmetik und nachhaltige Mode anbietet. Die restlichen Kolleginnen waren über eine Videokonferenz zugeschaltet. „Wir haben den Tag genutzt, um alles vorzubereiten“, sagt sie.

Kosmetiktester sind nicht erlaubt

Direkt hinter der Ladentür steht jetzt ein Schild, auf dem die neuen Einkaufsregeln erklärt werden. Daneben gibt es eine große Flasche Desinfektionsmittel. Die Kunden dürfen nur mit Einkaufskorb in den Laden. Es gibt 15 Stück. „Wir haben 250 Quadratmeter Verkaufsfläche und dürften eigentlich bis zu 25 Menschen reinlassen, aber weil wir viel beraten, haben wir entschieden, die Zahl zu reduzieren.“

Auch sonst läuft das Einkaufen anderes: Der Make-up-Bereich ist komplett abgesperrt. Alle Tuben und Tiegel zum Testen sind verschwunden. Wenn jemand ein Produkt auszuprobieren will, muss eine Mitarbeiterin es mit einem Einmal-Spatel auftragen. „Vor allem im Kassenbereich desinfizieren und putzen wir laufend“, sagt die Gründerin. Von Montag an gilt wie überall im Hamburger Einzelhandel Maskenpflicht. „Wir wollen ja alle Anforderungen erfüllen, zum Schutz unserer Kunden und auch natürlich auch für uns.“

Zur Wiedereröffnung gab es Blumen

Trotz gründlicher Vorbereitung war es ein ganz besonderer Moment, als sie am Montag die Tür wirklich wieder aufmachen durfte. Die Kosmetikregale aufgefüllt, die Kleiderstangen wohl geordnet. „Wir waren alle angespannt und haben vor Aufregung mit ganz hohen Stimmen gesprochen“, sagt Janine Werth. Ein bisschen wie bei der Geschäftseröffnung im Herbst 2018. „Wir wussten ja gar nicht, ob unter diesen Umständen wirklich Menschen kommen würden“, sagt sie. Inzwischen sieht sie etwas entspannter aus.

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„Schon am ersten Tag waren die Kunden da. Sie haben sich gefreut, das wir wieder physisch da sind und nicht nur im Internet“, sagt die Werte-Freunde-Chefin, deren Geschäftskonzept auf stationären Handel und persönliche Beratung setzt. Zum Neustart gab es sogar Blumen. Aber es seien auch neue Kunden gekommen, die Werte Freunde über das Internet entdeckt haben. „Am Ende war der Umsatz wie an einem durchschnittlichen Montag“, sagt sie und man hört die Erleichterung. Seitdem läuft das Geschäft kontinuierlich. „Wichtig ist für uns, dass wir nicht nur Kosmetik, sondern auch Mode verkaufen“, sagt sie. Der Laden ist voll – und die Mäntel und Pullover der Frühjahrssaison verkaufen sich im Sommer nicht mehr.

75.000 Euro Umsatzverlust in fünf Wochen

Die Rückkehr zum normalen Geschäftsbetrieb ist für die Gründerin die entscheidende Chance, ihren Laden doch noch zu retten. Jahrelang hatte sie an ihrem Konzept gearbeitet, Ideen, Zeit und 500.000 Euro in ihren Lebenstraum investiert und sich dafür hoch verschuldet. Jetzt geht es um ihre wirtschaftliche Existenz. Obwohl Janine Werth und ihr Team während der Periode der Corona-Schließungen mit viel Engagement Bestellungen über soziale Medien wie Instagram abgewickelt haben, sind die Umsätze weggebrochen.

„In den fünf Wochen hat sich der Umsatzverlust auf etwa 75.000 Euro summiert“, sagt Janine Werth. Geld, dass das Start-up mit guten Wachstumsquoten aber ohne Rücklagen fest ein kalkuliert hatte. Laufende Kosten müssen bezahlt, Rechnungen beglichen werden. Die staatliche Soforthilfe für kleinere Unternehmen, immerhin ein Zuschuss von 20.000 Euro, die Werth noch vor Ostern auf dem Konto hatte, ist inzwischen verbraucht. Ihr Geschäftskonto wieder deutlich in den roten Zahlen – trotz Anträgen auf Steuerstundung und Zahlungsverschiebungen. Und jetzt kurz vor Monatsende sind wieder Gehaltszahlungen und Miete fällig.

Auch für den Mai hat sie eine Stundung beantragt

Trotz Kurzarbeit, die Werth für ihre sechs Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichen Zeitkontingenten ab April beantragt hat, muss sie die kompletten Lohnkosten erstmal vorstrecken. In normalen Zeiten sind das etwa 15.000 Euro. Nur die Krankenkassenbeiträge können zunächst gestundet werden, sind aber zu einem späterem Zeitpunkt fällig.

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    Den Kurzarbeitsanteil bekommt sie erst nach Prüfung der Arbeitsagentur zurück. In ihrem Fall rechnet sie knapp mit einem Drittel der Gesamtsumme. Termin offen. Dazu kommen mehr als 10.000 Euro Miete für den Laden in Citylage. Wie schon im April hat sie auch für Mai eine Stundung beantragt. „Das finale Gespräch dazu steht noch aus.“ Nächste Woche erwartet sie die Sommerkollektion, die auch bezahlt werden muss.

    Banktermin Anfang Mai

    Inzwischen hat sich ihre Bankberaterin gemeldet. „Sie war auf einer Reise“, sagt Janine Werth. In der E-Mail habe sie fragt, ob sie „weiteren Liquiditätsbedarf habe“, so die Hamburger Unternehmerin im Krisenmodus. Mitgeschickt habe die Bankerin Links zu Corona-Hilfsprogrammen. „Nun gibt es Anfang Mai einen Gesprächstermin. Ich brauche dringend eine Überbrückung für den Finanzengpass.“

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    Gemeistert ist die Krise noch lange nicht. In der Innenstadt liegen die Kundenfrequenzen nach ersten Auswertungen bei maximal 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei Janine Werth läuft es besser. Am Freitag kommt kurz nach Öffnung eine junge Frau in den Laden, probiert ein T-Shirt an und kauft es. „Die erste Kundin des Tages und gleich was in der Kasse“, freut sich die Ladenbesitzerin. Eigentlich ganz normal, aber was ist im Moment schon normal. Knapp 14.000 Euro Umsatz hat Werte Freunde in ersten fünf Tagen nach dem Ende der Schließung erwirtschaftet. Damit liege das Niveau annähernd auf Normalstand. „Den Monatswechsel werden wir überleben“, sagt Janine Werth. „Dann müssen wir sehen, ob die Kauflaune anhält.“