Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 7: Wie Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft am Großen Burstah durch die Krise steuert.

Eigentlich beginnt für jemanden, der wie sie aus Leidenschaft Einzelhändlerin geworden ist, jetzt die schönste Zeit im Jahr: Der Laden ist voll mit neuer Ware für Herbst und Winter. An den Kleiderstangen hängen dicke Jacken und Mäntel, warme Pullover, Kleider aus Flanell – meterweise angesagte Trends. Janine Werth geht langsam durch ihr Geschäft Werte Freunde in der Hamburger Innenstadt. Sie rückt einen Bügel gerade, legt einen Pullover ordentlich zusammen. Alles ist vorbereitet für die traditionell verkaufsstarken Monate vor Weihnachten.

Um für die Kälte gewappnet zu sein, kann man in Werths Konzeptstore auch mal 350 Euro für eine Jacke und noch ein bisschen mehr für einen Mantel hinblättern. Der flauschige Streifenpulli aus reinem Alpaka kostet 220 Euro – dafür ist alles aus nachhaltiger Produktion und teilweise vegan. „Wenn man das zusammennimmt“, sagt die 41-Jährige und umfasst mit großer Geste ihr Angebot, „steckt hier drin gerade ein Warenwert von 130.000 Euro.“

Corona macht die weltweiten Lieferketten unberechenbarer

Schon in normalen Zeiten ist der Einkauf der kapitalintensiven Herbst- und Winterkollektion ein finanzieller Kraftakt. Im Corona-Jahr hat es das junge Unternehmen an die Grenzen gebracht. „Anfang September war kurzfristig nicht klar, ob wir das schaffen oder Ende des Monats vor der Pleite stehen“, sagt Janine Werth. In der laufenden Liquiditätsplanung fehlten unerwartet 9000 Euro. Ein großer Posten mit Winterjacken war schon im Juli statt im August geliefert worden. Corona macht auch die weltweiten Lieferketten unberechenbarer. Deshalb war die Zahlung an den Lieferanten früher fällig als geplant.

„Das waren eben mal 25.000 Euro“, sagt die Geschäftsfrau. In einer Situation, in der sich wegen der Corona-bedingten fünfwöchigen Schließung im Frühjahr Umsatzverluste in Höhe von 90.000 Euro aufgetürmt haben, kaum zu wuppen. „Wir planen ja so, dass wir die erwarteten Rechnungen bestimmten Zahlungszielen zuordnen“, sagt Werth. Schlag auf Schlag gingen in den vergangenen Wochen weitere Lieferungen ein, die alle bezahlt werden mussten. Obwohl sich das Geschäft nach der Wiedereröffnung Ende April positiv entwickelt, stand plötzlich die Angst vor dem Schreckgespenst Insolvenz im Raum.

Bis zum Beginn der Corona-Pandemie lief es gut

Die gelernte Kosmetikerin, die schon beim Versandhändler Amazon und für die Drogeriemarktkette Müller in leitender Funktion gearbeitet hat, hatte ihr Geschäft für Eco-Fashion und Naturkosmetik im Herbst 2018 am Großen Burstah eröffnet. Ein Lebenstraum, für den sie sich mit einer halben Million Euro verschuldet hat. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie im März lief es gut für die umtriebige Unternehmerin. Sehr gut sogar. Mehr als 1,2 Millionen Euro Umsatz hatten sie und ihr sechsköpfiges Team in den anderthalb Jahren seit der Gründung mit dem Laden erwirtschaftet – mit Zuwächsen im hohen zweistelligen Prozentbereich. Entsprechend ehrgeizig waren die Wachstumsziele. Die Corona-Schließung vergleicht sie deshalb gern mit einer Vollbremsung. Und wenn man die temperamentvolle Hamburgerin in ihrem Laden sieht, kann man das durchaus wörtlich verstehen.

Janine Werth reagierte schnell auf die neue Situation. Nach einer kurzen Sammlungsphase änderte die Händlerin, die zuvor ausschließlich auf ein stationäres Konzept gesetzt hatte, die Strategie. Sie verlegte das Geschäft während des Shutdowns ins Digitale, startete in sozialen Medien wie Instagram durch und lieferte nach telefonischer Beratung vor allem Naturkosmetik an Kundinnen in die ganze Republik. So konnte sie immerhin knapp ein Drittel der geplanten Umsätze erzielen – und die Motivation zum Weitermachen stärken. Mithilfe von Kurzarbeitergeld, der Stundung von drei Monatsmieten und einem staatlichen Zuschuss von 20.000 Euro über die Hamburger Corona-Sofort-Hilfe kam Werte Freunde über die Runden. „Aufgeben ist keine Alternative“, lautet der Wahlspruch der Gründerin. Mit Unterstützung ihres Lebensgefährten, einem Unternehmensberater, steuert sie ihren Laden seitdem durch die Krise.

Die Wachstumszahlen liegen inzwischen wieder im Plan

Inzwischen sind die Kunden wieder zurück, neue kommen dazu. Die Umsätze zogen im Sommer deutlich an. „Die Wachstumszahlen liegen mit etwa 30 Prozent zum Vorjahr wieder auf Planniveau“, sagt Janine Werth. Im Juli hat sie sogar eine weitere Mitarbeitern auf Teilzeitbasis eingestellt. Es war einfach zu viel zu tun. Trotzdem bleibt die Lage angespannt. „Ich kann auch mehr als ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Krise nur von Tag zu Tag planen.“ Natürlich habe sie gewusst, dass es eng werden könnte mit der Bestellungen der Winterware. Aber so eng? „Wir brauchen die Sachen. Ein leerer Laden hilft uns ja auch nicht.“ In den vergangenen Wochen hat Werth Kontakt mit Lieferanten aufgenommen und um spätere Zahlungstermine gebeten. „Wir sind kein Unternehmen, das einfach nicht zahlt und Mahnverfahren riskiert“, sagt sie. Der punktuelle Finanz-Engpass ließ sich so lösen. Die Abbezahlung der Mietschulden – die 300-Quadratmeter-Fläche kostet mehr als 10.000 Euro im Monat – ist erst mal auf Eis gelegt und ins nächste Jahr verschoben. Trotzdem ist der Dispo öfter mal am Limit.

Die Idee zur Serie:

  • Zehntausende kleine Geschäfte, Gastronomiebetriebe, Soloselbstständige, Kleingewerbetreibende und Künstler in Hamburg waren von dem Shutdown infolge des Coronavirus betroffen, der das Leben in der Stadt wochenlang stark einschränkte. Auch wenn vieles gelockert wurde, sind die Auswirkungen bis heute präsent und werden noch lange bestehen bleiben.
  • Wie viele Firmen den Existenzkampf am Ende überstehen, kann derzeit niemand sagen. Das Abendblatt begleitet Unternehmerin Janine Werth und ihr Team seit März exemplarisch für viele andere auf ihrem Weg durch die womöglich schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Serie erscheint in loser Folge.

Inzwischen hat sie auch schon darüber nachgedacht, wen aus Familie oder Bekanntenkreis sie anpumpen könnte. Bislang war das aber nicht nötig. Auch einen weiteren Bankkredit konnte die Geschäftsfrau bislang vermeiden. „Das ist so viel Bürokratie“, klagt sie. Die Hilfsprogramme von Bund und Stadt kommen für ihr junges Unternehmen nicht infrage. Dafür läuft es zu gut. „Es fühlt sich an wie ein Tanz auf dem Vulkan, immer an der Kante des Kraters“, sagt Janine Werth. In den nächsten Wochen endet zudem die tilgungsfreie Zeit für die Gründungsdarlehen. Noch ein Posten in Höhe von 10.000 Euro, der jedes Quartal fällig wird.

Gründerin engagiert sich in Handelskammer-Ausschuss

Ihre Pläne, mal ein bisschen mehr Zeit für langfristige Planungen einzusetzen und nicht von Montag bis Sonnabend bis abends im Laden zu stehen, kann sie nur selten umsetzen. Eigentlich macht sie nichts anderes mehr als den Laden. Das zehrt an den Kräften – und an ihr. Gerade ist der rechte Arm lädiert. Immerhin einen Termin bei ihrer Osteopathin hat sie eingeschoben. „Sie hat mir mehr Ruhe und Zeit für mich verordnet“, sagt Janine Werth und zuckt nur die Schultern. Stattdessen sitzt sie oft abends und am Sonntag am Computer, um die digitalen Inhalte weiterzuentwickeln. Witzige Produktfotos, kleine Video-Schnipsel oder mal eine Live-Präsentation. „Da muss man am Ball bleiben. Unsere Kundinnen erwarten das.“

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Dazu kommt jetzt auch noch ein neues Engagement. Werth wurde als Mitglied in den Handelsausschuss der Hamburger Handelskammer gewählt. Wichtig findet sie das, um Neues anzustoßen und um sich weiter zu vernetzen. Jetzt freut sie sich aber erst mal auf den zweiten Geburtstag ihres Ladens. Am 24. Oktober wird gefeiert. Das will Werth sich nicht nehmen lassen. „Dass wir jeden Tag immer wieder das Licht anmachen, zeigt doch, dass wir was richtig machen.“ Aber so unbeschwert, wie das klingen soll, ist die Ladenbesitzerin nicht. Auch weil die Corona-Infektionen gerade steigen. Angst vor einem zweiten Shutdown habe sie nicht, sagt sie. „Ich mache mir aber schon Sorgen, was ist, wenn das Weihnachtsgeschäft nicht läuft, weil die Kunden wegen der Ansteckungsgefahr lieber zu Hause bleiben.“