Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 6: Wie Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft am Großen Burstah durch die Krise steuert.
Es ist fast zur Gewohnheit geworden: In nahezu allen Schaufenstern in der Hamburger Innenstadt hängen große Schilder mit Corona-Rabatten. Mal sind es 20, mal 30 Prozent. Modeketten werben gar mit Preisnachlässen bis zu 70 Prozent um Schnäppchenjäger. Im Laden von Janine Werth ist das anders. In den zweieinhalb Monaten, seitdem ihr Geschäft Werte Freunde am Großen Burstah nach dem Corona-Shutdown wieder geöffnet ist, hat sie die Preise nicht heruntergesetzt.
„Es läuft auch so“, sagt die Inhaberin. Es muss. Und das obwohl bei ihr ein Badeanzug 200 Euro kostet und ein Sommerkleid zwischen 80 und 180 Euro. Im Kosmetikregal stehen Sonnencreme für 20 Euro und Shampoo für 15 Euro und mehr. Werth verkauft ausschließlich nachhaltige Mode und Bio-Pflegeprodukte – die haben ihren Preis. Zweimal im Jahr, zum Ende des Sommers und des Winters, gibt es in dem Konzeptstore einen Schlussverkauf. „So halten wir es auch in diesem Jahr. Die Rabattschlacht machen wir nicht mit.“
Dabei hatte die Einzelhändlerin, die ihr Geschäft erst im Herbst 2018 eröffnet hatte, durchaus massive Einbußen durch die Zwangsschließung von Mitte März bis Ende April. Die Frühjahrsmode, damals gerade ins Geschäft gekommen, blieb hängen. „Die fünf Wochen fehlen. Wir haben immer noch einen Warenüberbestand im Wert von etwa 20.000 Euro.“ Inzwischen sind längst die Sommersachen im Verkauf. Im Laufe des Julis kommen die ersten Herbstmodelle und im August beginnt – einen Monat später als sonst – die Bestellphase für den Sommer 2021. „Wir verkaufen Produkte, die unsere Kunden wertschätzen“, sagt Janine Werth. Nur zwei Kunden hätten gefragt, wann Frühjahrs- und Sommerware reduziert würden.
Langfristige Planungen sind wieder möglich
„So langsam fühlt sich das Leben wieder normaler an“, sagt Janine Werth. Nachdem sie in den vergangenen Monaten praktisch jeden Tag bis in den Abend und jedes Wochenende im Geschäft stand, neue Inhalte für den Instagram-Kanal produziert oder sich mit ihrem Lebenspartner mit spitzem Stift über die Zahlen gebeugt hat, kann sie jetzt auch mal einige Stunden an langfristigen Planungen arbeiten. „Wir müssen ja jetzt weiterdenken“, sagt sie. Der Kampf ums Überleben ihrer Firma mit sechs Mitarbeiterinnen, für die sie sich hoch verschuldet hat, hat ihre ganze Kraft gekostet – und tut es immer noch. „Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels“, sagt die 41-Jährige. „Auch wenn es noch flackert.“ Als Unternehmerin sieht sie ihre Aufgabe deshalb in der Weiterentwicklung ihres Geschäftskonzepts.
Die Aussichten sind zumindest im Moment positiv. „Wir wachsen inzwischen wieder.“ Zwar sei die Kurve deutlich niedriger als in der Zeit vor Corona, „aber die Umsätze liegen im zweistelligen Wachstumsbereich“, sagt Janine Werth. Das muss auch so sein, denn sonst trägt sich das auf Wachstum ausgelegte Geschäftsmodell nicht. Dafür tun sie und ihr Team viel. Mindestens einmal im Monat wird der Laden komplett umgeräumt, mit neuen Saison- und Farbschwerpunkten. Gerade sieht man viel Orange und auch Pink und Bademoden mit ungewöhnlichen Schnitten. Die Stammkunden kommen wieder, auch neue Kunden, die über soziale Medien auf Werte Freunde aufmerksam geworden sind. Der Modeverkauf läuft nach Plan. Die Kosmetikbehandlungen sind auf 14 Tage ausgebucht. Seit Anfang Juni sind alle Mitarbeiterinnen aus der Kurzarbeit zurück. „Es klingt ein bisschen verrückt, aber das reicht nicht mehr. Das Arbeitsaufkommen ist gestiegen.“
Werth hat eine neue Mitarbeiterin eingestellt
Während andere Unternehmen die Kurzarbeit verlängern oder gar erste Entlassungen ausgesprochen haben, hat Werth zum 1. Juli eine neue Mitarbeiterin eingestellt. Zunächst nur als Aushilfe, aber das soll schnell ausgebaut werden. „Wir haben durch die Corona-Krise gelernt, dass wir unser Konzept auch digital abbilden müssen“, sagt die Geschäftsfrau. Texte für die Präsentation im Netz müssen geschrieben, Videos gedreht werden. Eigentlich bräuchte sie sogar noch mehr Mitarbeiter, um alle Ideen umzusetzen. Aber mehr Risiko ist im Moment nicht drin. Auch die Pläne für einen Onlineshop liegen auf Eis. „Schon zwei bis drei schlechtere Wochen können alles wieder ins Wanken bringen.“, Finanzielle Reserven hat die Gründerin nicht, ihr gesamtes Geld steckt im Unternehmen, und Kredite in Höhe von einer halben Million Euro 500.000 Euro.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Das Hauptproblem ist weiter, die Liquidität aufrechtzuhalten. Die Umsatzverluste beziffert sie auf etwa 90.000 Euro. Das lässt sich auch bei stabilem Geschäft nicht einfach aufholen – trotz eines 20.000-Euro-Zuschusses von Stadt und Bund. Um die Rechnungen zu bezahlen, muss sie ihren Dispo-Kredit immer wieder ausreizen. „Das ist eine knappe Kiste, aber unsere Liquiditätsplanung zeigt, dass wir es ohne weitere Kredite schaffen könnten“, sagt Janine Werth. Die Idee, einen Investor in die Firma zu holen, ist vom Tisch – im Moment. Eine Unterstützung durch das neue Corona-Hilfsprogramm wird sie wohl nicht beantragen – können. „Wir sind nicht berechtigt, weil wir im April und Mai nicht 60 Prozent Umsatzausfälle im Vergleich zum Vorjahr hatten“, sagt Janine Werth. Das kann man bedauern. Für sie ist es ein Beweis, dass ihre Geschäftsstrategie richtig ist.
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Seit Juli zahlt Werte Freunde wieder regulär Miete – mehr als 10.000 Euro im Monat. Die Mieten von April bis Juni, die der Vermieter gestundet hatte, wird Werth jetzt peu à peu zurückzahlen. Den ersten Rechnungen für die Herbstkollektion, die demnächst ins Haus flattern, sieht sie einigermaßen gelassen entgegen. „Wir brauchen die Ware ja, damit der Laden weiterläuft.“ Klar ist, dass die Geschäftsfrau weitermacht und viele Ideen hat. Und was ist, wenn es doch eine zweite Infektionswelle geben sollte und Geschäfte wieder schließen müssen? „Darüber machen wir uns im Moment keine Gedanken“, sagt Janine Werth und lächelt alle Skepsis weg. Für die nächsten zwei Wochen hat sie sich Urlaub verordnet und fährt mit ihrem Lebenspartner nach Amrum. „Wir wollen zelten, mehr ist finanziell nicht drin. Und abgesehen davon,“ sagt sie, „lieben wir es.“