Hamburg. Mein Laden in Coronazeiten, Teil 3: Wie Unternehmerin Janine Werth ihr Geschäft am Großen Burstah durch die Krise steuert.

Nach der Planung, die Janine Werth für 2020 gemacht hat, wäre der Ostersonnabend einer der wichtigsten Umsatztage des Jahres gewesen. Doch statt Seifen, Cremes, Sonnenmilch oder modische Teile für die Frühlingsgarderobe zu verkaufen und Kosmetiktermine in ihren Konzeptstore Werte Freunde abzuarbeiten, stand die Einzelhändlerin auf der Leiter, um Lampen auszutauschen. Sie hat mit ihrem Lebenspartner Stefan Schmid im leeren Laden auch ein neues Regal angebracht und kleine Schäden an den Wänden ausgebessert. „Wir haben so eine Art Frühjahrsputz gemacht“, sagt sie.

Über den entgangenen Umsatz von mehreren Tausend Euro, der ohne die Coronaschließung abends in der Kasse gewesen wäre, will sie im Augenblick lieber gar nicht nachdenken. Zum ersten Mal seit Beginn der Krise hat sie sich über die Feiertage ein bisschen entspannt. „Ich habe einfach ein paar Stunden nichts getan. Das war mal nötig, um wieder einen klaren Blick zu bekommen nach vier Wochen im Corona-Hamsterrad.“

Soforthilfe war eine riesige Erleichterung

Dass sie sich das gönnen konnte, hat auch mit einem Geldeingang auf ihrem Geschäftskonto kurz vor Ostern zu tun. „Ich habe tatsächlich 20.000 Euro Soforthilfe bekommen“, sagt Janine Werth. Die maximale Summe für die Unternehmerin mit sechs Beschäftigten, die in ihrem Laden in der Innenstadt Naturkosmetik und nachhaltige Mode verkauft. „Für uns ist es ein Segen.“

Eine Woche zuvor hatte sie wie Zehntausende andere in Hamburg die staatlichen Zuschüsse für kleine Firmen online beantragt, die wegen der Coronakrise in Existenznot sind. Danach war erst mal Funkstille. Jeden Tag habe sie mehrfach ihren Kontostand überprüft, erzählt die 41-Jährige von den Tagen des Wartens. Nach einer Woche kam das Geld. „Es war eine riesige Erleichterung. Ich bin sehr dankbar.“ Mit der Unterstützung sei ihr Konto aus den tiefroten Zahlen rausgekommen – zumindest kurzfristig.

Die wichtigsten Rechnungen sind bezahlt

Inzwischen hat die Geschäftsfrau die wichtigsten Rechnungen bezahlt, darunter einige Lieferanten und Betriebskosten für den 300-Quadratmeter-Laden am Großen Burstah. Die Aprilmiete in Höhe von mehr als 10.000 Euro hatte der Vermieter zunächst gestundet. „Die Hälfte der Soforthilfe ist schon wieder weg“, sagt Werth. Und auch der Rest ist fest verplant. „Ich versuche, mit meinen Ausgaben so zu jonglieren, dass ich mit meinem Dispokredit möglichst lange auskomme und währenddessen eine dauerhaft sinnvolle Finanzierung organisieren kann.“

Und an die Decke des Ladens am Großen Burstah kommen neue Lampen.
Und an die Decke des Ladens am Großen Burstah kommen neue Lampen. © Marcelo Hernandez

Um die Kosten zu reduzieren, hatte sie ihre sechs Mitarbeiterinnen ab April mit unterschiedlichen Zeitbudgets in Kurzarbeit geschickt, Steuerstundung beantragt und Lieferantenrechnungen verschoben. „Verschieben ist auf Dauer keine Lösung.“ Schon jetzt seien die aufgeschobenen Verbindlichkeiten auf etwa 30.000 Euro angewachsen, sagt sie. Hinzu kommen weitere Lieferantenrechnungen, bei denen keine längere Frist möglich war.

Für Janine Werth geht es um ihren Lebenstraum

Je länger die Schließung dauert, desto drängender werden die Probleme. Für Janine Werth geht es um ihren Lebenstraum, für den sie sich hoch verschuldet hat. Seit der Eröffnung im Herbst 2018 war sie mit ihrem Geschäftsmodell, das auf stationären Handel und qualifizierte Beratung setzt, stetig auf Wachstumskurs gewesen und hatte etwa 1,2 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. „Man kann im Moment nur für einen Tag nach dem anderen planen, solange wir seitens der Regierung kein Exit-Szenario in Aussicht gestellt bekommen, an dem man sich wenigstens orientieren kann“, sagt sie. Eigentlich so gar nicht das Ding der gelernten Kosmetikerin, die unter anderem für die Drogeriemarktkette Müller in leitender Position gearbeitet hat.

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Aber sie hat schnell umgeschaltet. Gemeinsam mit ihrem Team versucht sie, das Geschäft über soziale Medien und telefonische Bestellungen am Laufen zu halten. „Die Frage ist, wie wir jetzt am Ruhm der Zukunft arbeiten können“, sagt sie. Sie drehen kleine Videos, um ihre Produkte im Internet zu präsentieren, und Kosmetik-Tutorials zum Nachmachen.

Bestellungen kommen aus ganz Deutschland

„Die Zahl der Follower auf Instagram ist auf mehr als 7000 gestiegen“, sagt Janine Werth stolz. Für ihren kleinen Laden kann sich das sehen lassen. Inzwischen kämen Bestellungen aus ganz Deutschland. Vor dem Kassentresen stapeln sich Versandkartons. Vor allem Kosmetikartikel lassen sich so verkaufen. Sonnencreme war zwischenzeitlich sogar ausverkauft. „Der Umsatz ist trotz der Anstrengungen im Schnitt um fast 60 Prozent eingebrochen“, sagt sie.

Klar ist längst, dass die Gründerin es angesichts der hohen monatlichen Belastungen ohne einen weiteren Kredit nicht schaffen wird, aus dem Liquiditätsengpass herauszukommen. „Der nächste Schritt ist, mit der Bank und potenziellen Investoren zu sprechen. Davor graust mir etwas“, sagt sie. Denn im Moment gebe es für wachstumsorientierte Start-ups, die noch keine Gewinne vorweisen könnten, keine Möglichkeiten, an günstige Darlehen etwa bei der KfW-Bank zu kommen. „Ich hoffe sehr, dass sich das ändert.“ Und wenn nicht? Darüber will sie lieber nicht nachdenken. „Sonst wäre ich schon ziemlich verzweifelt.“

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Stattdessen beschäftigt sich Janine Werth mit der Zukunftsplanung für ihren Laden und die Digitalstrategie. „Ich habe das Gefühl, dass eine neue Phase anfängt.“ Sie setzt darauf, dass sie ihr Geschäft bald wieder öffnen kann. „Wir haben schon angefangen, die Eröffnungsphase vorzubereiten.“ Unter anderem hat sie über einen Lieferanten 50 Atemschutzmasken aus Stoff für sich und ihre Kolleginnen bestellt.