Berlin/Wolfsburg. 2015 brachte eine US-Umweltbehörde den gigantischen Dieselskandal ans Licht. Die juristische Aufarbeitung beginnt erst.
Es ist ein technisch wirkender Brief der kalifornischen Umweltbehörde Carb, der es in sich hat. Volkswagen solle eine „Nichteinhaltung“ von Emissionsregeln bei Dieselautos so schnell wie möglich richtigstellen, heißt es am 18. September 2015.
Heute vor fünf Jahren kommt Annette Hebert, Abteilungsleiterin für die Überwachung der Abgasvorschriften bei der US-Behörde, einem der größten Industrieskandale auf die Spur. Seinen Ursprung hat er in Wolfsburg bei VW – dem Aushängeschild der Bundesrepublik, damalige Nummer zwei auf dem Weltmarkt.
Dieselskandal: Elf Millionen Autos wurden manipuliert
Elf Millionen Diesel-Autos hatte der Hersteller manipuliert. Statt aufwendige Abgastechnik einzubauen, sorgte ein versteckter Code dafür, dass die Reinigung nur auf dem Prüfstand korrekt funktioniert, und im Alltag Unmengen an potenziell gesundheitsschädlichen Stickoxiden in die Luft gelangen. Jedes so ausgestattete Fahrzeug verstoße gegen amerikanisches Bundes- und Landesrecht, betonten die kalifornische Behörde Carb und die nationale Umweltaufsicht EPA.
Was folgte, war ein nie dagewesener Sturm über der deutschen Autoindustrie. Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn wurde aus dem Amt gefegt, mit ihm zahlreiche Manager. Der erfolgsverwöhnte Chef der Premium-Tochter Audi, Rupert Stadler, verlor 2018 seinen Job, nachdem er wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft kam.
Er soll den Verkauf manipulierter Autos nicht verhindert haben. Stadler muss sich ab dem 30. September wegen Betrugs vor dem Landgericht München verantworten. Auch Ex-Konzernchef Winterkorn droht wegen des Verdachts des „gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs“ eine lange Haftstrafe.
Und da ist der riesige, kaum greifbare finanzielle Schaden des Abgasbetrugs – für Strafen, Entschädigungen und juristische Auseinandersetzungen hat Volkswagen inzwischen weit mehr als 30 Milliarden Euro ausgegeben.
Daimler zahlt für US-Vergleich fast zwei Milliarden Euro
Der Dieselskandal erfasste nicht nur VW. Daimler, BMW, Opel, Fiat, Mitsubishi und andere sahen sich Vorwürfen gegenüber, bei der Schadstoffreinigung zumindest mit faulen Tricks und in rechtlichen Grauzonen zu arbeiten.
Daimler hat erst in dieser Woche in den USA einen Vergleich im Streit um überhöhte Abgaswerte bei rund 250.000 Dieselautos erzielt – Kosten: rund 1,9 Milliarden Euro. Ein Schuldeingeständnis hat der Stuttgarter Konzern nicht abgegeben.
Dieselskandal beschleunigte den Wandel in der Automobilindustrie
Ist die Industrie zur Einsicht gekommen? Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagt ja. Die deutschen Hersteller hätten infolge des Skandals erkannt, dass die Zukunft im Elektroauto liege. Dudenhöffer: „So traurig es klingt, dieser Wandel ist nur durch Dieselgate erfolgt. Ohne dieses Umsteuern wäre die ganze deutsche Autoindustrie in einer Sackgasse gelandet.“ VW sei unter den klassischen Autobauern derjenige, der bei Elektroantrieben vorneweg fährt.
Tatsächlich hat der Skandal VW kaum geschadet: Konzernchef Herbert Diess verbuchte für 2019 einen satten Gewinn von 17 Milliarden Euro. Mit einer Rendite von 7,3 Prozent ist Volkswagen fast so profitabel wie der ewige Rivale und Spitzenreiter Toyota.
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Verbraucherzentralen fordern stärkere Aufsichtspflicht durch das Kraftfahrtbundesamt
Nach Ansicht des Chefs der Verbraucherzentralen hat VW jedoch immer noch nicht die richtigen Lehren gezogen. „Statt schneller Aufklärung und Demut gilt bis heute Abwehren und Hochmut“, sagt Klaus Müller. So weigere sich Wolfsburg weiter, Betroffene in anderen EU-Staaten angemessen zu entschädigen. In Deutschland erhalten 265.000 Diesel-Fahrer nach einem Vergleich bei der Musterfeststellungsklage zwischen 1350 und 6250 Euro, weitere 60.000 Einzelkläger sollen jetzt Einmalzahlungen erhalten.
Das einzig Positive für Müller: Die Verbraucherrechte wurden gestärkt. „Ohne den Betrug wäre das neue Instrument der Musterfeststellungsklage wahrscheinlich nicht so schnell gekommen.“ Viele Verbraucher wären ohne diese Klage vermutlich leer ausgegangen, weil sie eine eigene Klage gescheut hätten.
Der Chef der Verbraucherzentralen fordert zudem eine stärkere Aufsichtspflicht bei PKW-Zulassungen durch das Kraftfahrtbundesamt. „Die Bundesregierung muss endlich das Pkw-Label reformieren und die Marktüberwachung beim Kraftfahrt-Bundesamt stärken, in dem Verbraucherschutz zusätzliches Aufsichtsziel wird“, sagte Müller.
Ökologischer Verkehrsclub VCD übt umfassende Kritik
Der ökologische Verkehrsclub VCD kritisiert, Industrie und Regierung hätten versucht, das Ausmaß des Skandals unter den Teppich zu kehren. „Die Lösung wäre schon damals gewesen, dass die Autohersteller, die betrogen haben, auf eigene Kosten eine Hardware-Nachrüstung anbieten“, sagt Michael Müller-Görnert, verkehrspolitischer Sprecher.
Trotz Zuschüssen, zu denen sich die Hersteller letztlich bereit erklärten, haben nur ein paar Hundert Besitzer ihren Diesel umbauen lassen. Stattdessen gab es für sechs Millionen Autos neue Software – das Kraftfahrt-Bundesamt bestätigte die Wirksamkeit.
Der Dieselskandal ist laut Müller-Görnert heute kein Aufreger mehr. Wohl aber die Umweltzonen, die durch Klagen, die auch der VCD unterstützt hat, eingeführt wurden. „Dabei ist es doch bezeichnend: Heutige Diesel-Antriebe sind weitestgehend sauber. Hätten die Hersteller nicht betrogen, sondern auf saubere Antriebe gesetzt, bräuchten wir keine Umweltzonen“, sagt er.
ADAC bedauert Reputationsverlust des Diesels
Ähnlich sieht es der Automobilclub ADAC. „Die Tricksereien der Hersteller sind durch nichts zu rechtfertigen. Es ist aber bedauerlich, dass der Dieselmotor jetzt vielfach grundsätzlich als dreckig abgeschrieben wird“, sagt Technikpräsident Karsten Schulze. Diesel-Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 6d Temp seien „extrem sauber“. Dass der Diesel besonders sparsam ist, werde oft übersehen.
Dass der Diesel eine Zukunft hat, bekräftigte Opel-Chef Michael Lohscheller im Interview mit unserer Redaktion. War vor dem Skandal fast jeder zweite Neuwagen ein Diesel, sind es heute 27 Prozent. Der Anteil sei seit einiger Zeit stabil. Lohscheller: „Und ich glaube, das wird auch noch eine Weile so bleiben.“
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