Berlin. Volkswagen hat vor dem Bundesgerichtshof eine Niederlage kassiert. Das ist ein wichtiges Signal an Verbraucher und den Rechtsstaat.

Volkswagen hat vor dem Bundesgerichtshof (BGH ) eine schallende Ohrfeige kassiert. Der Wolfsburger Autobauer habe seine Kunden „besonders verwerflich“, „arglistig“ und „vorsätzlich sittenwidrig“ getäuscht. Die Worte, die der Vorsitzende Richter des BGH, Stephan Seiters, in der Urteilsbegründung verlas, waren an Deutlichkeit kaum zu überbieten.

Dieses Urteil ist auf drei Ebenen wichtig. Erstens hat es Symbolwirkung. Denn es zeigt, dass man sich auch mit viel Geld nicht nicht dem Rechtsstaat entziehen kann. Dabei konnte man im VW-Skandal zuletzt diesen Eindruck gewinnen.

BGH-Urteil im VW-Skandal ist wichtig für den Rechtsstaat

Dass zwischen dem Eingeständnis von VW, eine illegale Abschalteinrichtung in der Motorenreihe EA189 verbaut zu haben, und dem BGH-Urteil fünf Jahre liegen, hat vor allem den Grund, dass VW viele Urteile mit Vergleichen umging. Der Konzern bot Kunden eine Entschädigungszahlung an, die Klage wurde im Gegenzug nicht weitergeführt.

So war es etwa bei der Musterfeststellungsklage, bei der VW rund 240.000 Kunden entschädigt. So war es aber auch in der vergangenen Woche, als das Verfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen VW-Chef Herbert Diess und den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch eingestellt wurde – gegen Zahlung von neun Millionen Euro, die VW kaum schmerzen dürften.

Rechtlich sind solche „Deals“ legitim. Moralisch erzeugen sie eine Unantastbarkeit, solange ein Unternehmen oder eine Privatperson über genügend finanzielle Mittel verfügt.

Verbraucher werden durch das Urteil gestärkt

Zweitens ist das Urteil ein wichtiges Signal an die Verbraucher. Sie haben ein Recht darauf, ein Produkt zurückzugeben, wenn sie wissentlich und sittenwidrig getäuscht wurden – unabhängig davon, ob das Produkt neuwertig oder gebraucht ist. Der Schaden, so urteilten die Karlsruher Richter, entsteht bereits beim Kaufvertrag.

Volkswagens Argumentation, dass die Autos fahrtüchtig seien und den Käufern kein Schaden entstanden sei, ist somit entkräftet. Das ist gut so. Denn diese Argumentation war schlichtweg dreist.

Tobias Kisling, Wirtschaftsredakteur unserer Zentralredaktion in Berlin, kommentiert das BGH-Grundsatzurteil zum VW-Dieselskandal.
Tobias Kisling, Wirtschaftsredakteur unserer Zentralredaktion in Berlin, kommentiert das BGH-Grundsatzurteil zum VW-Dieselskandal. © Anja Bleyl | Anja Bleyl

Kunden, die sich beim Kauf für ein vermeintlich sauberes Auto entschieden hatten, wurden geschädigt. Sie plagten sich mit monatelangen Unsicherheiten, ob ihr Fahrzeug die Zulassung verliert und wann ein Software-Update verfügbar ist.

Hinzu kam, dass die Autos mit manipulierten Motoren drastisch an Wert verloren. Wenn jemand nach diesen Eskapaden sein „Schummelauto“ zurückgeben will, sollte er das auch können.

Vorstandsmitglieder können sich nicht hinter Ausreden verstecken

Drittens schließlich klärt das Urteil die Zurechnung. Die Karlsruher Richter hielten es für ausreichend, dass der Leiter der Motorenentwicklung von dem Betrug wusste, um das Verfahren dem Konzern anzulasten. Das ist ein wichtiges Zeichen gegen Vertuschungen.

Vorstandsmitglieder, denen Betrug vor Gericht oft schwer nachzuweisen ist, können einen Konzern nicht mit der Ausrede schützen, von nichts gewusst zu haben. Sie müssen Verantwortung übernehmen.

Chance für einen Schlussstrich bei VW

In einem wichtigen Punkt hat aber VW recht bekommen: Bereits gefahrene Kilometer müssen bei einer Rückgabe angerechnet werden. Es hätte auch nicht angehen können, dass jemand, der sein Auto Tausende Kilometer gefahren ist, den ursprünglichen Kaufpreis zurückerhält. Einen ähnlichen Fall gab es vor einem Jahr in Essen.

Für VW bietet das Urteil die Chance, einen Schlussstrich unter ein unrühmliches Firmenkapital zu ziehen. Der Konzern will die noch 60.000 offenen Verfahren schnellstmöglich beenden. Das wird teuer, denn die Position der Kläger wurde mit dem Urteil gestärkt.

Schon jetzt hat der Diesel-Skandal Volkswagen über 30 Milliarden Euro gekostet. Dieses Geld hätte der Konzern in der aktuellen Krise und im Wandel hin zur Elektromobilität gut gebrauchen können. Es bleibt zu hoffen, dass es dem Konzern eine schmerzhafte Lehre ist.

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Volkswagen sorgt derzeit für Aufruhr. Zunächst drang der Wolfsburger Autobauer auf eine Abwrack- und Kaufprämie, dann geriet der Konzern mit einer Technikpanne beim neuen Massenmodell Golf 8 in die Schlagzeilen. Einen unrühmlichen Auftritt legte VW bei einem online veröffentlichten Werbevideo hin, das dem Konzern Rassismus-Vorwürfe einbrachte. Den Dieselskandal will das Unternehmen dagegen nun nach dem BGH-Urteil abhaken. Doch es ist keineswegs sicher, ob das auch gelingt. Denn auch beim Motortyp EA288 gab es bereits Klagen.