Rüsselsheim. Opel-Chef Michael Lohscheller setzt auf E-Autos, Wasserstoff – und Diesel. Er hat den Autohersteller seit 2017 radikal umgebaut.

Opel-Chef Michael Lohscheller sitzt selbst am Steuer. Er lenkt einen glänzend polierten dunkelroten, vollelektrischen Zafira-Kleinbus über die Straßen rund um das Stammwerk Rüsselsheim. Mit Fahrzeugen wie diesem will der Hersteller nach einem harten Sanierungskurs wieder Boden gutmachen, erzählt Lohscheller während der Fahrt im leise surrenden Bus.

Herr Lohscheller, wie kommt Opel durch die Corona-Krise?

Michael Lohscheller: Verglichen mit einigen Wettbewerbern durchaus gut. Die Corona-Krise ist für alle eine schwierige Zeit – insbesondere im Frühjahr ist der Absatz deutlich zurückgegangen. Mit rund 110 Millionen Euro operativem Gewinn haben wir uns im ersten Halbjahr aber wacker geschlagen, während andere Milliardenverluste gemacht haben. Wer durch so eine Krise mit schwarzen Zahlen kommt, ist gut aufgestellt. Fakt ist aber auch: Das ist ein deutlicher Rückgang gegenüber 2019, und die globale Wirtschaftskrise ist noch nicht überstanden. Wir dürfen und werden also nicht nachlassen, weiter an unserer Effizienz zu arbeiten.

Ihr Marktanteil ist jedoch weiter abgesackt - wie wollen Sie die Wende schaffen?

Lohscheller: Unsere finanzielle Basis ist sehr gut, denn wir sind profitabel. Zudem ist 2020 das Jahr, in dem es vorrangig um die Erfüllung der CO2-Ziele der EU geht. Dafür haben wir Fahrzeuge und Motoren aus unserem Portfolio genommen, die eigentlich gut ankamen, aber zu hohe Verbräuche hatten. Unser Flottenausstoß hat sich laut Kraftfahrt-Bundesamt im ersten Halbjahr um 13,5 Prozent verbessert. Das ist die größte Verbesserung unter allen relevanten Marken mit mehr als zwei Prozent Marktanteil. Auch in diesem Punkt haben wir also geliefert. Jetzt könnten wir natürlich versuchen, den Absatz künstlich zu steigern und Marktanteile auf Kosten der Profitabilität zu gewinnen. Das wurde in der Vergangenheit oft gemacht – und oft wurden damit große Verluste eingefahren. Klar ist aber: 2021 werden wir vor allem mit dem neuen Opel Mokka unseren Marktanteil wieder spürbar verbessern.

Drohen Ihren Mitarbeitern weitere Einschnitte?

Lohscheller: Wir müssen noch an einige Themen ran. Unsere Betriebsrente ist im Marktvergleich nicht mehr zeitgemäß. Da müssen wir zukunftsfähige Lösungen finden. Außerdem sprechen wir mit unseren Sozialpartnern wie angekündigt auch über die Getriebeproduktion in Rüsselsheim sowie über den Werkzeug- und Prototypenbau. Zudem haben wir Anfang des Jahres ein Freiwilligenprogramm mit dem Betriebsrat vereinbart, dass es nun umzusetzen gilt. Wir wollen Rüsselsheim zu einer Fertigungsstätte für ein erweitertes Portfolio elektrifizierter Fahrzeuge entwickeln. Neben unserem Flaggschiff Insignia wird hier ab nächstem Jahr die nächste Generation des Astra produziert – ebenso wie ein Modell von DS Automobiles.

Michael Lohscheller,CEO der Opel Automobile GmbH, auf dem Werksgelände in Rüsselsheim.
Michael Lohscheller,CEO der Opel Automobile GmbH, auf dem Werksgelände in Rüsselsheim. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann schlägt vor, mit einer Viertagewoche Arbeitsplätze in der Autoindustrie zu retten. Was halten Sie davon?

Lohscheller: Prinzipiell sind wir für alle Ideen offen. Die Viertagewoche kann dabei helfen, Arbeitsplätze zu sichern. Wir arbeiten jedoch aktuell mit dem Instrument der Kurzarbeit. Derzeit erleben wir einen umfassenden Strukturwandel in der Branche. Da muss man erst einmal im Detail diskutieren, welche Instrumente am sinnvollsten sind.

Auch die Zulieferer befinden sich in einer tiefen Krise. Haben Sie die Sorge, dass ein Partner umkippt?

Lohscheller: Die Transformation in unserer Branche ist in vollem Gange. Das ist für die Hersteller wie die Zulieferer eine schwierige Situation. Natürlich müssen wir darauf achten, dass unsere Partner da mitkommen. Klar ist aber auch: Wir müssen uns alle auf allen Ebenen weiter verbessern. Einfach so weitermachen wie bisher wird nicht ausreichen.

Wir sitzen gerade ein einem vollelektrischen Opel Zafira Life, einem Kleinbus für Familien. Kommt die Elektromobilität im Alltag an?

Lohscheller: Ja, das ist der klare Beleg: Die Elektrifizierung wird sich durchsetzen. Wir haben uns 2017 entschlossen, unser ganzes Portfolio bis 2024 zu elektrifizieren. Bald gibt es für jeden Zweck ein elektrifiziertes Fahrzeug von Opel. Der Corsa-e geht derzeit besonders schnell nach vorne. Zum Kaufpreis von 30.000 Euro bekommen Sie staatliche Unterstützung. Der Auftragseingang entwickelt sich sehr gut. Dazu kommt das SUV Opel Grandland X als Hybrid. Und dass Kompakt-SUV Mokka erscheint demnächst in einer rein elektrischen Version. Dann haben wir dieses Fahrzeug, den Zafira-e Life, der in seiner Klasse kaum Konkurrenten hat. Kommerzielle Flottenbetreiber spricht der Vivaro-e an. Da bekommen wir aktuell Großaufträge über jeweils mehrere hundert Fahrzeuge, oder gerade aus Großbritannien über 1000 Stück an British Gas.

Der Zafria e-Life soll 230 Kilometer am Stück schaffen, ab 2021 mit einer größeren Batterie dann 330 Kilometer. Reicht das?

Lohscheller: Die Frage ist vor allem: Wie lebt ein Kunde? Dieses Auto ist ein Familienauto. Da geht es zum Beispiel darum, die Kinder zum Fußball zu fahren. Wer 50 bis 60 Kilometer zur Arbeit fährt, und da sein Auto laden kann, für den ist Reichweite auch nicht so das Thema. Wir beobachten, dass die Unsicherheit ab 200 bis 300 Kilometern Reichweite deutlich nachlässt. Das ist für die meisten Kunden ausreichend. Sehr wichtig ist die Dauer des Ladevorgangs. Eine halbe Stunde für 80 Prozent Kapazität ist für viele in Ordnung. Der dritte Punkt ist der Preis – und der steigt mit einem größeren Akku.

Welche Steigerungen sind bei der Reichweite noch zu erwarten?

Lohscheller: Zunächst werden wir abwarten, wie die Kunden die aktuellen Modelle annehmen. Grundsätzlich werden wir natürlich immer versuchen, die Reichweite zu steigern. Das ist jedoch auch eine Kostenfrage.

Welche Rolle spielt Wasserstoff für Opel?

Lohscheller: Wasserstoff ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Wir sind der Meinung, dass Wasserstoff in größeren Fahrzeugen wie einem Zafira Life oder Vivaro sehr interessant sein kann. Der Ladevorgang geht sehr schnell, das ist aus Kundensicht super. Ein Problem sind die Kosten und das Tankstellennetz. Da tut sich derzeit aber eine Menge. Im nächsten Jahr wird unser Wasserstoff-Kompetenzzentrum in Rüsselsheim eine Testflotte aufstellen.

Michael Lohscheller, CEO der Opel Automobile GmbH, mit Gesichtsmaske in einem vollelektrischen Opel Zafira Life.
Michael Lohscheller, CEO der Opel Automobile GmbH, mit Gesichtsmaske in einem vollelektrischen Opel Zafira Life. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Und wann folgen Serienmodelle?

Lohscheller: Wenn die Technik gut ankommt, geht das relativ schnell. Mit Sicherheit werden wir keinen Wasserstoff-Corsa bauen. Ein Kleinbus wie der Zafira Life wäre aber denkbar.

Was bringt das E-Auto-Förderprogramm der Bundesregierung?

Lohscheller: Die Förderung hat positive Effekte auf den Absatz. Die Menschen interessieren sich durch die Möglichkeit, etwas zu sparen noch mehr für Elektromobilität und wir sind in der Lage, attraktive Preise zu machen.

Hätten Sie sich auch eine Prämie für den Kauf von Verbrennern gewünscht?

Lohscheller: Die Diskussion wurde geführt und wir gucken jetzt nach vorne. Wir leben mit dem, was wir haben.

Was könnte der Staat für eine bessere Akzeptanz der Elektromobilität tun?

Lohscheller: An der Reichweite arbeiten wir als Hersteller. Beim Preis hilft uns der Staat schon. Bei Ladesäulen kann noch eine Menge passieren. Da brauchen wir viel, viel mehr Projekte und auch größere Unterstützung der Politik. In Rüsselsheim übrigens haben wir ein solches Projekt, an dem wir auch maßgeblich beteiligt sind. Im Stadtgebiet sollen insgesamt 1.300 Ladepunkte entstehen. Damit wird die Opel-Stadt zur Electric City.

Hat der Diesel eine Zukunft bei Opel?

Lohscheller: Absolut. Der Diesel hat nach wie vor viele Vorteile wie einen niedrigeren CO2-Ausstoß und geringere Unterhaltskosten. Der Diesel-Anteil ist seit einiger Zeit auch stabil. Und ich glaube, das wird auch noch eine Weile so bleiben. Mit unserem flexiblen Multi-Energy-Ansatz sehen wir uns gut aufgestellt: Den Corsa etwa gibt es als Benziner, Diesel oder Elektro, gebaut auf einer Fertigungslinie in einem Werk. Der Kunde kann entscheiden.

Schaffen Sie die CO2-Vorgaben der EU? Es drohen Milliardenstrafen…

Lohscheller: Neben der Bereinigung des Portfolios haben wir viel von der hochmodernen und effizienten Technologie des PSA-Konzerns profitiert, die sehr auf CO2-Einsparung ausgelegt ist. Wir haben zum Beispiel einen Corsa mit Dieselmotor im Angebot, der nur 85 Gramm CO2 pro Kilometer emittiert und damit weit unter dem EU-Flottenziel liegt. Gleiches gilt auch für den neuen Astra, der dank seiner modernen Dieselmotoren nur 90 Gramm pro Kilometer ausstößt.

Das Adam-Opel-Haus, Ihre Unternehmenszentrale, steht angeblich zum Verkauf. Ist die Lage so angespannt?

Lohscheller: Schon vor Corona haben wir unsere Werke deutlich kompakter gemacht. Mit weniger Ressourcen wollen wir mehr erreichen. Manche Werke sind dadurch völlig überdimensioniert. Die Flächen haben wir Lieferanten zur Verfügung gestellt oder an Dritte abgegeben. Es geht nicht mehr darum, wer das größte Automobilwerk hat. Noch gibt es aber keine Entscheidungen, sondern Szenarien und Analysen und wir sind zu dem Thema in einem engen Austausch mit der Stadt und unserem Betriebsrat. Rüsselsheim ist und bleibt die Opel-Stadt.

Opel-Chef Michael Lohscheller im Gespräch mit Wirtschaftskorrespondent Alexander Klay.
Opel-Chef Michael Lohscheller im Gespräch mit Wirtschaftskorrespondent Alexander Klay. © FUNKE Foto Service | Sergej Glanze

Wie weit sind Sie mit der Restrukturierung des Unternehmens seit der Übernahme durch PSA 2017?

Lohscheller: Wir haben Opel komplett neu aufgestellt: Profitabel, elektrisch und global. Das haben wir mit dem „Pace!“-Plan versprochen – und wir haben geliefert. Die Veränderung betrifft übrigens auch die Führung. Die Treppe wird von oben gekehrt. Wir haben ganze Hierarchieebenen herausgenommen. Statt über 20 Manager berichten nur noch neun direkt an mich. In Europa wurden alle Länderchefs ausgetauscht. Und der Wandel geht weiter. Denn die Industrie steckt in einem gewaltigen Umbruch.

Was hat Ihnen die Einbindung in den PSA-Konzern gebracht?

Lohscheller: Sehr viel! Die Fortschritte beim Thema CO2 etwa hätten wir alleine oder mit unserer ehemaligen Muttergesellschaft nicht geschafft. Und wir können unsere Leistungsfähigkeit mit einem europäischen Partner besser vergleichen. Von daher haben wir sehr von PSA profitieren können.

Nun steht die Fusion von PSA und Fiat-Chrysler bevor. Welche Bedeutung wird Opel in dem Großkonzern noch haben?

Lohscheller: Wir stehen als profitables Unternehmen gut da, nicht mit 20 Jahren Verlust wie unter unserem alten Eigentümer. Natürlich müssen Sie in einem so großen Konzern noch stärker für ihre Belange eintreten und auch dafür kämpfen. Aber ansonsten ist das für Opel eine große Chance, etwa mit Blick auf den weltweiten Vertrieb. Opel wird DIE deutsche Marke im neuen Konzern sein.

Modelle mit Bezug zu General Motors haben Sie gerade aussortiert. Was können Kunden jetzt erwarten?

Lohscheller: Als wir den Mokka mit unserer neuen Designsprache vorgestellt haben, da haben schon viele gesagt, das ist wieder ein richtiger Opel. Das Modell zeigt unsere Reise in die Zukunft auf. Wir wollen schicke, innovative Autos machen, wo die Leute sagen: „Hey, das ist ein tolles Auto“. So wird es weitergehen, 2021 unter anderem mit dem neuen Astra.

Wie ist die Lage im Werk Eisenach?

Lohscheller: Für das Werk Eisenach gibt es eine gute Nachricht: Der Grandland X und seine Hybrid-Variante kommen hervorragend an. Der Auftragseingang zieht an. Nach den Schwierigkeiten im März und April geht die Entwicklung deutlich nach oben. Deshalb werden wir im Herbst wieder eine zweite Schicht einführen. Das ist sehr wichtig für diesen Standort.