Hamburg. Henning Vöpel, wichtigster Volkswirt der Stadt, fordert Tempo beim Umbau der Wirtschaft. Was Vöpel Sorgen bereitet.

Die Wirtschaft in der Stadt muss sich schnellstens verändern, fordert der Direktor des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI, Henning Vöpel. Er sieht die Zukunft im grünen Wasserstoff, in der Medizinforschung und in Innovationen, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen. Hier müsse Hamburg Tempo machen – und dürfe sich nicht länger einer gefährlichen, rückwärtsgewandten Hafenromantik hingeben. Zum Wandel gehört für ihn auch eine komplett neu gedachte Innenstadt. Sorgen bereitet ihm derweil die breite Mittelschicht in der Stadt, die wegen der hohen Immobilienpreise kaum noch in der Lage ist, Vermögen zu bilden. Deshalb kann er sich sogar eine allgemeine Vermögensteuer vorstellen, wenn ihre Einnahmen dieser Mittelschicht zugutekommen.

Hamburger Abendblatt: Wie lange und wie nachhaltig wird die Pandemie die deutsche und speziell die Hamburger Wirtschaft in ihrer Entwicklung zurückwerfen?

Henning Vöpel: Das ist schwierig vorauszusagen. Denn am Ende hängen die Folgen für die Wirtschaft im Allgemeinen und den Arbeitsmarkt im Besonderen davon ab, wie sich die Pandemie entwickelt. Ob es zu einer zweiten Welle kommt und wann ein Impfstoff verfügbar sein wird. Die Unsicherheit ist der zentrale Faktor der Krise. Klar ist: Der Einbruch der Wirtschaft in diesem Jahr wird gravierend sein, und die Zahl der Arbeitslosen wird steigen. Eine Rückkehr zum Vor-Corona-Zustand wird nicht möglich sein, denn Corona traf auf eine strukturell ohnehin schon geschwächte Wirtschaft. Der in den vergangenen Jahren verpasste Strukturwandel muss nun umso konsequenter angegangen werden.

Was meinen Sie mit verpasstem Strukturwandel?

Vöpel: Deutschland und auch Hamburg haben es versäumt, die Wirtschaft rechtzeitig fit für die Zukunft zu machen. So sind wir weltweit beim Thema Digitalisierung immer noch auf den hinteren Plätzen. Dass zum Beispiel die Schulen bisher kaum mit Tablets ausgestattet waren, Lehrer keine digitalen Lernkonzepte haben, das hat die Pandemie nur für jeden sichtbar gemacht. Diese Defizite – in der Umsetzung und in der Mentalität – gibt es doch schon lange. Deutschland ist zu langsam, wenn es darum geht, sich für Zukunftstechnologien zu öffnen. Und auch Hamburg muss aufpassen, durch die großen technologischen und geopolitischen Umbrüche als Standort nicht marginalisiert zu werden.

Hamburg ist zu sehr verliebt in den Hafen vergangener Tage und trauert ein wenig der damit verbundenen Hans-Albers-Romantik nach?

Vöpel: So kann man es ausdrücken. Strukturwandel findet immer in großen Veränderungen statt. Man braucht Mut, um Dinge anders zu denken. Im Moment hört man in Hamburg oft den Begriff „Strategie 2040“. Bis 2040 sind es noch 20 Jahre – so viel Zeit hat Hamburg nicht im Wettbewerb mit internationalen Metropolen. China investiert jetzt noch mal mehr in neue Technologien. Wir müssen in den nächsten zwei, drei Jahren richtungsweisende Veränderungen in der Wirtschaft auf den Weg bringen. Denn infolge von Corona zeigen sich nicht nur die Grenzen des Hafens in seiner traditionellen Rolle als Warenumschlagplatz, auch der Luftfahrtstandort wird langfristig geschwächt, und man muss leider auch davon ausgehen, dass Gastronomie, Hotellerie und der stationäre Einzelhandel nicht wieder das Vorkrisenniveau erreichen werden.

AKK: Gibt es eine zweite Corona-Welle?

AKK: Gibt es eine zweite Corona-Welle
AKK: Gibt es eine zweite Corona-Welle?

weitere Videos

    Bei welchen Zukunftsthemen sollte Hamburg Tempo machen?

    Vöpel: Zum einen sollten grüne Wasserstofftechnologien vorangetrieben werden.

    … aber hier ist der Senat doch aktiv.

    Vöpel: Das stimmt, aber die Konkurrenz in Europa und auch in Deutschland ist groß. Hamburg muss aufpassen, dass man bei diesem Thema nicht den Pioniervorteil an andere Regionen verliert. Dazu gehört auch, dass man sich um Gelder aus Brüssel im Rahmen des Green Deal bemüht. Jede Verbindung aus Forschung und Industrie ist interessant. Ein zweites Standbein könnten der forschende Gesundheitsbereich und die Life-Science­ sein. Es würde Hamburg international nach vorne bringen, wenn die Stadt zu einem der weltweiten Top-Standorte für die Produktion von Impfstoffen oder die Entwicklung von Krebstherapien würde. Und ein drittes Zukunftsfeld sind die Materialwissenschaft und der 3-D-Druck sowie alles, was sich mit Innovation rund um den Klimawandel beschäftigt – zum Beispiel die Entwicklung von Stoffen und Oberflächen, die CO2 binden.

    Fehlt am Ende in Hamburg nicht auch ein neues Leuchtturmunternehmen, das weltweit aufhorchen lässt?

    Vöpel: Ja, bestimmt. Dass man nicht viel stärker um Tesla geworben hat und das Unternehmen nun sein Werk nahe Berlin errichtet, war ein Fehler. Tesla wäre ein Leuchtturmprojekt gewesen. Ob man es gut findet oder nicht: Elektrische Mobilität ist eines der lukrativsten Zukunftsfelder. Und wo sich Tesla niederlässt, entstehen nicht nur in der Fabrik selbst Jobs, sondern das Unternehmen zieht viele weitere Arbeitsplätze an – in Autohäusern, Werbeagenturen, aber auch in der Forschung und bei Start-ups.

    Die einzige Branche, die auch in der Pandemie kaum gelitten hat, ist der Immobiliensektor. Die Kaufpreise steigen weiter, Mieten gehen nach oben. Zugleich sinken die Einkommen durch Kurzarbeitergeld und Arbeitslosigkeit. Eine gefährliche Entwicklung?

    Vöpel: Ja, das ist in Teilen eine gefährliche Entkopplung. Ich gehe aber davon aus, dass wegen der stagnierenden Einkommen die Mieten und verzögert auch die Immobilienpreise in Hamburg schon bald nicht mehr steigen werden. Es werden schon heute am Hamburger Immobilienmarkt flächendeckend Preise aufgerufen, die man mit einem Durchschnittseinkommen ohne eigenes Vermögen nicht mehr bezahlen kann. Diese Entwicklung kann und wird so nicht weitergehen.

    Coronavirus – die Fotos zur Krise

    Aktiengewinne werden besteuert, bei Erträgen auf dem Sparbuch oberhalb einer geringen Freigrenze greift der Fiskus zu, aber die Wertsteigerungen von Immobilien kann man im Verkaufsfall steuerfrei kassieren. Ist es nicht Zeit für eine Vermögensteuer?

    Vöpel: Wichtiger sind Anreize für eine breitere Vermögensbildung. Eine Vermögensteuer ist eher ein reaktives Instrument. Allerdings kann ich mir mit Blick auf die ungleiche Behandlung von Erträgen aus Vermögen durchaus eine allgemeine Vermögensteuer vorstellen, die der Staat nutzt, um die Vermögensbildung vor allem der Mittelschicht zu fördern. Denn die Mittelschicht – vor allem in teuren Großstädten wie Hamburg – fällt ökonomisch zusehends auseinander, gerade wegen der ungleichen Vermögensentwicklung. Das ist letztlich auch politisch gefährlich. Während die Einkommensschwachen Wohngeld sowie andere Leistungen vom Staat bekommen und die reicheren Immobilienbesitzer von Preissteigerungen profitieren, hat die arbeitende Mittelschicht – von der Kassiererin im Supermarkt bis zum höheren Angestellten – kaum finanziellen Spielraum, um Vermögen zu bilden, um eine Wohnung, ein Haus zu kaufen. Dabei müssen es ja nicht nur Immobilien sein, auch Aktien oder Fonds sind Vermögen. Zuallererst muss der Staat also dafür sorgen, dass der Mittelschicht netto mehr übrig bleibt, indem die Steuern und Abgaben auf mittlere Einkommen sinken.

    Wäre es nicht mit Blick auf die Entwicklung der Immobilienpreise auch sinnvoll, dass eine Stadt wie Hamburg künftig keinen öffentlichen Grund und Boden mehr an Privatinvestoren verkauft, sondern dort selbst Wohnungen baut, verkauft und vermietet? Und zwar nicht nur für die besonders Bedürftigen, sondern gerade für die Mittelschicht, die sich heutzutage auch kaum noch Wohnraum in Hamburg leisten kann?

    Lesen Sie auch:

    Vöpel: Man sollte den Bau von Wohnungen dem Staat nicht allein überlassen. Märkte haben auch hier eine wichtige Steuerungsfunktion. Allerdings muss gerade die Stadt vorausschauender mit ihrem Grund und Boden umgehen, denn damit steuert sie maßgeblich die Stadtentwicklung. Es ist doch absurd, neue, riesige Einkaufszentren zu genehmigen, obwohl man schon lange weiß, dass die Zeit der Shopping-Center vorbei ist. Ich frage mich auch, welchen Sinn es macht, mit Blick auf die aktuelle Schließung größerer Einzelhandelsflächen in der Innenstadt darüber zu reden, welche neuen Läden dort einziehen sollten. Hamburgs City muss komplett neu gedacht werden. Die Zeit des stationären Einzelhandels in seiner bisherigen Form läuft ab, der Onlinehandel ist nicht aufzuhalten. Wir brauchen in der City keine neuen Läden und keine neuen Büros, sondern neue Formen der sozialen Interaktion, Sportangebote, Kultureinrichtungen, Gastronomiekonzepte und bezahlbaren Wohnraum, der für Lebensqualität steht.

    Also nicht wieder mehrere Hundert Neubauwohnungen auf engstem Raum, wie sie jüngst an vielen Ecken der Stadt entstanden sind?

    Vöpel: Nein, das ist nicht die Zukunft. Die Wahrnehmung von Städten verändert sich gerade. Die frei werdenden Flächen müssen für neue Konzepte urbanen Lebens verwendet werden. Hamburgs Innenstadt kann so zu einem innovativen Modell für andere europäische Metropolen werden.