Hamburg. Einnahmen sinken, Ausgaben steigen – wegen der Pandemie wird die Stadt noch lange Kredite aufnehmen müssen.

Die Auswirkungen der Corona-Krise werden die finanzielle Lage der Stadt noch länger beeinträchtigen als bislang gedacht. Nach Abendblatt-Informationen denkt der rot-grüne Senat darüber nach, bereits jetzt, im Zuge der Aufstellung des Doppelhaushalts 2021/2022, auch für das Jahr 2022 eine „Notsituation“ festzustellen, die es ihm ermöglicht, trotz Schuldenbremse Kredite aufzunehmen.

Dazu muss man wissen: Bereits kurz nachdem die Pandemie Hamburg erreicht hatte, hatte die Bürgerschaft am 1. April das grassierende Coronavirus als „Naturkatastrophe“ eingestuft. Diese Einstufung ist zeitlich nicht begrenzt – sehr wohl aber das auf dieser Basis beschlossene­ Covid-19-Notsituationsgesetz (CNG), das nach der von dem Virus ausgelösten Krankheit benannt ist. Dieses Gesetz erlaubt es dem Senat, in den Haushaltsjahren 2020 und 2021 insgesamt bis zu 1,5 Milliarden Euro mehr auszugeben, als er einnimmt – und diese Lücke eben über neue Schulden zu schließen. Geplant ist, eine Milliarde davon in diesem Jahr in Anspruch zu nehmen und 500 Millionen im kommenden.

Hamburg brechen die Steuereinnahmen weg

´Doch kürzlich dachte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) im Rahmen der Landespressekonferenz erstmals öffentlich darüber nach, „ob und wie wir die notsituationsbedingte Kreditaufnahme auch für 2022 anwenden“. Das ließ Beobachter hellhörig werden, und auf Anfrage des Abendblatts bestätigte Dressel diese Überlegungen: „Es mehren sich die Anzeichen, dass es auch im Jahr 2022 Auswirkungen der Covid-19-Notsituation mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Finanzlage Hamburgs geben wird, insbesondere da eben nicht nur i m Jahr 2021, sondern auch 2022 weiterhin ökonomische Stabilisierungsmaßnahmen in erheblichem Umfang für unsere Stadt notwendig sein werden.“

An dieser Stelle muss man zwei verschiedene Paar Schuhe betrachten: Auf der einen Seite brechen der Stadt wie allen anderen Kommunen, Ländern und auch dem Bund die Steuereinnahmen weg. Dies gilt haushaltstechnisch als Konjunktureinbruch, der trotz Schuldenbremse eine Nettokreditaufnahme rechtfertigt. Denn anders als in anderen Bundesländern basieren die Haushalte der Hansestadt nicht auf den schwankenden Steuerschätzungen, sondern auf einem „Trendwertverfahren“: Abgeleitet von den realen Steuereinnahmen der vergangenen 14 Jahre wird vorhergesagt, wie sie sich wohl in den kommenden Jahren entwickeln – dieser „Steuertrend“ ist die Basis für die Haushaltsplanung. Dabei gilt die Grundregel: Liegen die Einnahmen dann höher als der Trend, müssen Schulden getilgt oder zusätzliche Werte geschaffen werden, liegen sie unter dem Trend, dürfen Schulden gemacht werden. Durch die sehr guten Haushaltsjahre seit 2014 hat sich die Stadt einen Puffer von mehr als vier Milliarden Euro erarbeitet, den sie nun nutzen kann – also Kredite aufnehmen darf.

Die Ausgaben steigen enorm

Auf der anderen Seite steigen aber auch die Ausgaben enorm – für Testzen­tren, Hygienemaßnahmen, zusätzliche Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern und nicht zuletzt gewaltige Stützungsmaßnahmen für die Hamburger Wirtschaft. Rund fünf Milliarden Euro hat die Stadt insgesamt bereits für die Krisen­bewältigung bewegt, wovon der Löwenanteil allerdings gestundete Steuern sind, die hoffentlich zum großen Teil eines Tages nachgezahlt werden. Auch das „Familienentlastungsgesetz“ des Bundes wird die Stadt, Stand jetzt, viele Millionen Euro kosten – mehr als sie auf der anderen Seite vom Bund für Corona-Hilfsmaßnahmen erhält. Zudem geraten viele öffentliche Unternehmen in Schieflage und brauchen höhere Zuschüsse oder führen keine Gewinne mehr ab. Mit anderen Worten: Selbst wenn die Steuereinnahmen normal wären, würde die Stadt finanzielle Probleme bekommen. Und in der Finanzbehörde geht man davon aus, dass diese „Notsituation“ 2022 nicht vorbei sein wird.

Das gehe im Übrigen nicht nur Hamburg so, betont Finanzsenator Dressel: „Mit dieser Frage befassen sich gerade viele Bundesländer mit Blick auf ihre Finanzplanung.“ Tatsächlich hat selbst die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen, wie Hamburg ein vergleichsweise wohlhabendes Bundesland, die Notlage schon bis ins Jahr 2023 verlängert, um bis zu zwölf Milliarden Euro an Schulden aufnehmen zu können. Ziel des Plans: „Hessens gute Zukunft sichern“.

Kritik von der CDU

Was in Hessen der oppositionellen SPD missfällt, stößt in Hamburg der CDU sauer auf: „Es kann nicht sein, dass die rot-grüne Koalition jetzt schon den außergewöhnlichen Notfall für das Jahr 2022 ausrufen will“, sagt deren haushaltspolitischer Sprecher Thilo Kleibauer und unkt: „Offenbar wollen SPD und Grüne die Ausnahme von der Schuldenbremse zur dauerhaften Regel machen. Das ist unverantwortlich.“ Schließlich sei es derzeit noch schwer einzuschätzen, wie die konjunkturelle Entwicklung in den kommenden Monaten verlaufen werde: „Das HWWI hat gerade eine deutliche wirtschaftliche Erholung prognostiziert. Auch daher wäre es völlig verfehlt, jetzt schon einen zusätzlichen Kreditrahmen für 2022 festzulegen“, so der CDU-Politiker. „Dies wäre eine komplette Absage an eine nachhaltige und disziplinierte Haushaltspolitik.“

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    Die Verfassung mache klare Vorgaben an Ausnahmen von der Schuldenbremse, die nicht beliebig von einer Regierungskoalition ausgeweitet werden könnten, so Kleibauer. „Hier warnen wir den Finanzsenator ganz deutlich, schon jetzt für 2022 die Schuldenbremse außer Kraft zu setzen. Dies mag kurzfristig koalitionsinterne Probleme lösen, ist aber längerfristig ein Irrweg.“ Sein Vorschlag: Angesichts der Unsicherheiten bei den Steuereinnahmen sollte der Senat überlegen, statt eines Doppelhaushaltes für 2021 und 2022 zunächst nur einen Haushaltsplan für 2021 vorzulegen: „Dies wäre seriöser, als jetzt gleich massive Schuldenpläne für 2022 zu beschließen.“

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    So oder so: Welche Einschläge im Haushalt Corona wirklich hinterlässt und wie die finanzielle Zukunft der Stadt aussehen könnte, wird erst kommende Woche konkretisiert. Dann werden die Ergebnisse einer Sonder-Steuerschätzung vorgestellt, und dann dürfte sich auch abzeichnen, ob auch 2022 noch der Haushaltsnotstand gerechtfertigt ist.