Hamburg. Politik könnte über verlängerte Kurzarbeitergeld-Regelung und mit Zuschüssen womöglich rund 2000 Arbeitsplätze bundesweit retten.

Airbus plant drastische Einschnitte. 15.000 der weltweit 90.000 Stellen in der zivilen Flugzeugsparte will der Konzern bis zum nächsten Sommer streichen. Allein 5100 Arbeitsplätze sollen durch die Corona-Krise in Deutschland wegfallen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.


Was passiert im Hamburger Werk?
Auf Finkenwerder ist das Kompetenzzentrum für den Verkaufsschlager, die A320-Familie. Gut jedes zweite Flugzeug der Reihe wird hier endmontiert. Etwa 15.000 fest angestellte Mitarbeiter gibt es in Hamburg. Die Airbus Operations GmbH umfasst neben Hamburg noch Bremen, Stade und Buxtehude, sodass zu der Gesellschaft 19.500 Mitarbeiter gehören. Die Konzerntochter Premium Aerotec, die Flugzeugteile herstellt, beschäftigt bundesweit weitere gut 8000 Menschen. Im Verkehrsflugzeuggeschäft sind so in Deutschland 28.000 Menschen beschäftigt. Damit soll knapp jede fünfte Stelle in dem Bereich hierzulande gekappt werden. Allerdings kommen weitere 900 bei Premium Aerotec hinzu, die schon vor der Corona-Krise auf der Streichliste standen. Insgesamt fallen in Deutschland also 6000 Jobs weg. Wie stark Hamburg betroffen sein wird, blieb offen. „Wir sind jetzt auf Länderebene und werden danach auf Standortebene gehen“, sagt Michael Schöllhorn, der für das Tagesgeschäft zuständige Chief Operating Officer. Zunächst sollen die Mitarbeiter vor Ort informiert werden, daher nennt er keine Zahl für Hamburg. Nach Abendblatt-Informationen stehen gut 2000 Stellen auf der Kippe.

Kann der Jobabbau geringer ausfallen?
Ja. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Kurzarbeitergeld. Die Agentur für Arbeit übernimmt dabei bis zu 67 Prozent des letzten Nettogehalts. Bisher ist diese gesetzliche Regelung auf zwölf Monate befristet. In der Berliner Politik wird eine Verlängerung auf 24 Monate erwogen. Wenn das komme, „können wir die deutsche Zahl um bis zu 1500 Mitarbeiter reduzieren“, sagte Schöllhorn. Wenn der Staat zudem für Forschung und Entwicklung eine erhöhte und bessere Förderung bereitstellt, dann könnte auf den Abbau von weiteren bis zu 500 Stellen verzichtet werden, so der Manager. Unterm Strich könnten in Deutschland also „nur“ 3100 statt der angekündigten 5100 Stellen gestrichen werden. Allerdings könnte es den Mitarbeitern ans Portemonnaie gehen. Derzeit stockt das Unternehmen Kurzarbeitergeld freiwillig auf 80 bzw. 87 Prozent auf. Zunächst gilt diese Regelung bis September. Ob die Aufstockung auch bei einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes für weitere Monate möglich sei, ließ Schöllhorn offen. Man mache den Jobabbau, „weil wir nicht genug Geld haben“. Deswegen gebe es großen Druck darauf, dass man sich die Aufstockung nicht mehr leisten könne, sagte Schöllhorn: „Es wäre aber zu früh zu sagen, dass wir gar nicht mehr aufstocken können.“ Das werde man mit der IG Metall und den Arbeitnehmervertretern besprechen.


Was plant die Gewerkschaft?
Die IG Metall Küste hält den geplanten Stellenabbau für überzogen. „Der angekündigte Abbau wäre eine Katastrophe für die Menschen und die Standorte“, sagt Bezirksleiter Daniel Friedrich. An einigen Standorten gebe es seit weniger als zwei Monaten Kurzarbeit. „Da ist es paradox, jetzt über einen solchen Jobabbau zu diskutieren.“ Es gehe um den Erhalt der Stellen – egal ob Leiharbeitnehmer oder Stammbeschäftigter. Auch der Gewerkschafter brachte eine Verlängerung der Kurzarbeit ins Spiel. Zudem gebe es Instrumente wie eine tarifliche Absenkung der Arbeitszeit. Grundlage für einen Dialog sei der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. „Dieser ist durch den Zukunftstarifvertrag für die Airbus-Standorte bis Ende 2020 gesichert und muss auch darüber hinaus gelten“, so Friedrich. Die IG Metall plant am 8. Juli Aktionen an den Standorten von Airbus und Premium Aerotec.

Wie reagiert Hamburgs Senat?
Bei Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann stoßen die Pläne für die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf offene Ohren: „Aktuell sprechen wir mit dem Bund über die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes.“ Mittel- bis langfristig wolle man mit der Förderung von Forschung und Innovation nachhaltige Akzente setzen, gerade im Bereich der Luftfahrt. In den nächsten drei Jahren plane der Senat 50 Millionen Euro in die Erweiterung des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung zu stecken. Langfristiges Ziel ist die Entwicklung eines A320-Nachfolgers, der emissionsfrei fliegt.

Warum ist Deutschland vom geplanten Jobabbau so stark betroffen?
In Deutschland arbeiten rund 28.000 Menschen für Airbus in der Ziviljetsparte, in Frankreich sind es erheblich mehr. Dennoch sollen hierzulande mehr Stellen wegfallen als in Frankreich. Schöllhorn erklärt das so: Von dem Abbau in Deutschland sei die Konzerntochter Premium Aerotec überproportional betroffen, weil sie schon zu Jahresbeginn praktisch keinen Flexibilitätspuffer in Form von Zeitarbeitern oder Werkvertragskräften mehr gehabt habe. Betrachte man nur die eigentlichen Airbus-Werke, solle in Deutschland nicht stärker abgebaut werden als in Frankreich. Allerdings könnte auch die Politik eine Rolle spielen: Die Regierung in Paris hatte jüngst angekündigt, die Luftfahrtbranche mit 15 Milliarden Euro zu unterstützen. Auch Airbus soll davon profitieren. Das französische Wirtschaftsministerium kritisierte nun den geplanten Umfang des Stellenabbaus. Er sei überzogen.

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Wie reagierte die Börse?
Die Airbus-Aktie legte am Mittwoch zu Das Papier ging mit einem Plus von einem Prozent auf 64,23 Euro aus dem Handel. Für Goldman Sachs gehört das Wertpapier zu den Titeln, die man im Portfolio haben müsse. Seine Erwartungen beim Stellenabbau seien übertroffen worden, schrieb Analyst Chris Hallam in einer Studie. Das Kursziel sieht die US-Investmentbank weiter bei 84 Euro. Von Stellenstreichungen am oberen Ende der Markterwartungen spricht die UBS. Die Schweizer Großbank empfiehlt „Kaufen“ und sieht 100 Euro als fairen Wert an.


Wie dramatisch ist der Abbau für Hamburgs Wirtschaft insgesamt?
Henning Vöpel spricht von einer „großen Bedeutung“ des Flugzeugbauers für die Hamburger Wirtschaft. Wenn bei Airbus nun die Produktion über mehrere Jahre heruntergefahren werde, dürfte sich das nicht nur negativ auf den Arbeitsmarkt, sondern auch auf das Wirtschaftswachstum insgesamt auswirken, sagt der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI. Nach Vöpels Meinung muss die Stadt „industriepolitisch gegensteuern“, damit freigesetzte Fachkräfte bei Airbus dem Standort Hamburg nicht dauerhaft verloren gehen. Seine Forderung: „Einen neuen, starken Industriezweig aufbauen, attraktive Technologien nach Hamburg holen.“ Vöpel setzt hier auf Wasserstoff und Windkraft. Vor allem Wasserstoff als Antrieb für die Zukunft dürfte auch für Airbus interessant sein, sagt Vöpel. Senat und Flugzeugbauer sollten sich bei dieser Thematik eng miteinander verzahnen und absprechen.