Hamburg. Ver.di organisiert Demonstration am Flughafen. IG Metall startet Aktionswoche und befürchtet im Herbst Aus für bis zu 20.000 Stellen.

Demonstrieren in Corona-Zeiten ist ein schwieriges Unterfangen. Mit rot-weißem Flatterband ist vor dem Terminal 1 am Hamburger Flughafen ein übersichtlicher Bereich abgesperrt. Mit roter Farbe hatte die veranstaltende Dienstleistungsgewerkschaft kleine, viereckige Ver.di-Logos im Abstand von 1,50 Metern auf den Asphalt gesprüht. Die Teilnehmer sollten sich bitte an diesen Standpunkten orientieren, um Distanz zu wahren, sowie Mundschutz tragen, heißt es per Lautsprecherdurchsage. Schließlich müssten die Auflagen für die Demonstration eingehalten werden. Maximal 200 Teilnehmer seien draußen erlaubt. Sehr viel mehr werden es am Freitagmittag auch nicht.

Zur Kundgebung unter dem Motto „Menschen retten statt Konzerne“ hatte Ver.di erstmals die Beschäftigten von Lufthansa Technik und den Bodenverkehrsdiensten (BVD) am Flughafen gemeinsam aufgerufen. Die Gewerkschaft fürchtet den massiven Verlust von Arbeitsplätzen in der durch die Corona-Krise gebeutelten Luftverkehrswirtschaft. Am Flughafen in Fuhlsbüttel arbeiten mehr als 10.000 Beschäftigte. Bundesweit beteiligen sich laut Gewerkschaft gut 1300 Menschen an dem Protesttag, der auch an weiteren Airports wie Frankfurt und München stattfindet.

Erst am Montag hatten die Ver.di-Vertrauensleute bei Lufthansa Technik in Hamburg von der bevorstehenden Entlassung von 300 Beschäftigten gewarnt, die noch in der Probezeit sind. Das Unternehmen bestätigte, über bisher undenkbare Szenarien wie Kündigungen in der Probezeit an allen deutschen Standorten nachzudenken. Eine Größenordnung wurde nicht genannt.

Kritik am Airport Hamburg

Um kurz nach zwölf macht sich eine Gruppe von 50 Teilnehmern – mehr war wegen der Corona-Auflagen nicht erlaubt – auf ins Terminal und rollt unter der Anzeigetafel ein Protestplakat aus. „Der Luftverkehr liegt komplett am Boden“, sagt Andreas Döhring ins Mikrofon. Er ist Landesfachgruppensprecher Luftverkehr bei Ver.di. „Wir alle wissen, dass diese Krise existenzbedrohend ist.“ Es sei klar, dass die Arbeitgeber auf die Arbeitnehmer zukommen, um Zugeständnisse zu fordern. Der gern verwendete Begriff Restrukturierung bedeute aber in erster Linie das Streichen von Stellen, Tarifverträgen oder ein Ausdehnen der Arbeitszeit.

Die Firmen wollten möglichst viel Profit herausschlagen. Das gelte nicht nur für die Lufthansa, sondern auch für den Flughafen, der mehrheitlich im Besitz der Stadt Hamburg ist. Dem Airport warf er bei den Bodenverkehrsdiensten Dumpinglöhne, schlechte Arbeitsbedingungen und Tarifflucht vor. Durch Kurzarbeit bekämen die Beschäftigten derzeit nur 500 bis 600 Euro. Davon könne man nicht leben, hieß es. „Uns muss es darum gehen, dass die Einschnitte nicht tiefer gehen“, sagt Döhring: „Uns muss es darum gehen, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben.“ Natürlich zu vernünftigen Bedingungen.

Wenn es zu einem Arbeitsplatzabbau kommen müsse, sollte dieser sozialverträglich (also zum Beispiel über Altersteilzeitregelungen) erfolgen – im Gegensatz zu der geplanten Massenentlassung bei Lufthansa Technik. Dies würde vor allem junge Menschen treffen, die mühsam ausgebildet wurden, ruft draußen auf der Bühne Martin Schönewolf ins Mikrofon. „Das ist unerhört“, sagt der Sprecher der Vertrauensleute bei Lufthansa Technik. Das Unternehmen vergesse seine soziale Verantwortung. Er forderte die Politik auf, dass die staatliche Unterstützung nicht missbraucht werde, sondern für den Erhalt der Arbeitsplätze eingesetzt wird. Die Konzernmutter Lufthansa soll von der Bundesregierung ein Rettungspaket in Höhe von neun Milliarden Euro erhalten. Allerdings hängt der Vollzug der Stützungsmaßnahme noch von der Zustimmung der Aktionäre ab. „Lohnverzicht hat noch nie Arbeitsplätze gesichert“, sagt Schönewolf und kündigt an: „Wir werden weiter laut sein“.

Jeden Tag neue Hiobsbotschaften

Laut sein will auch die IG Metall. Zwei Stunden vor der Demo hatte Bezirksleiter Daniel Friedrich zum Pressegespräch geladen. In der nächsten Woche sind Protestaktionen in mehr als 100 Firmen in den fünf norddeutschen Bundesländern des Tarifbezirks Küste geplant. Es soll Autokorsos, kleinere Kundgebungen und Informationsveranstaltungen geben. Es gehe dabei in Corona-Zeiten nicht um Massendemonstrationen, sondern um „Klasse statt Masse“.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Der Grund für die Aktionen: 30 Prozent der Betriebe schlössen betriebsbedingte Kündigungen im Herbst nicht aus, sagt Friedrich. Er befürchtet, dass dann 15.000 bis 20.000 Jobs in der Metall- und Elektroindustrie im Norden gefährdet seien. „Jeden Tag kommen neue Hiobsbotschaften“, so Friedrich. Selbst bei eigentlich gut ausgelasteten Firmen wie der Meyer Werft in Papenburg oder dem Flugzeugbauer Airbus sei das Wachstum durch Corona jäh gestoppt worden. Die Großen würden wohl vom Staat gerettet werden, aber für kleine Zulieferer könnte es eng werden.

Bereits jetzt sind laut einer Umfrage 70 Prozent der Betriebe in Kurzarbeit oder planen diese in Kürze. Das betreffe mehr als 100.000 Beschäftigte. Friedrich forderte erneut die Bundesregierung auf, dass Kurzarbeitergeld von zwölf auf 24 Monate zu verlängern. Lieferketten seien bei knapp 60 Prozent der Unternehmen gefährdet oder gestört. Jede elfte Firma hätte Liquiditätsengpässe.

Aktionen sind bei Airbus, Siemens und Daimler geplant

Für die Protestwoche ab Montag kündigte die IG Metall Aktionen bei zahlreichen bekannten Hamburger Firmen an: Airbus, Diehl, Philips, Daimler, Siemens und Pella Sietas stehen auf der Liste. Bei Jungheinrich soll es beispielsweise beim Schichtwechsel laut werden. Am Tor sollen die Mitarbeiter unter dem Motto „Wir hupen euch was“ auf das Signalhorn ihrer Autos drücken.

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Man stehe auch in Kontakt mit anderen Gewerkschaften, um gegebenenfalls zusammen Aktionen zu starten, sagt Friedrich. In der Luftverkehrswirtschaft würde dies Sinn ergeben, weil Ver.di viele Mitglieder unter den Beschäftigten des Flughafens und bei Lufthansa Technik hat, während die IG Metall bei Airbus stark vertreten ist. Auch beim Flugzeugbauer halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass konzernweit 10.000 Stellen abgebaut werden sollen. „Ich befürchte, dass diese Zahl nicht nur Corona-bedingt ist“, sagt Friedrich. Offenbar wolle das Management dies auch zur Restrukturierung nutzen.

Der Bezirksleiter kündigt generell massiven Widerstand an, wenn Arbeitsplätze gestrichen oder tarifliche Standards wie die Einkommenshöhe infrage gestellt werden sollten. „Unter dem Deckmantel von Corona versuchen manche Arbeitgeber, lange geplante Rationalisierungen durchzusetzen“, so Friedrich. „Dagegen werden sich die Belegschaften wehren. Nur so wird sich eine beschäftigungspolitische Katastrophe im Herbst verhindern lassen.“