Berlin. Die Mindestlohnkommission hat ihre Empfehlung für die kommenden Jahre ausgesprochen. Das können Arbeitnehmer nun erwarten.

Wie geht es weiter mit der gesetzlichen Lohnuntergrenze in Deutschland? Diese Frage spaltet Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Am Dienstag erzielte die Mindestlohnkommission eine Einigung, wie sich der Mindestlohn künftig entwickeln soll. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.

Mindestlohn: Was empfiehlt die Kommission?

Der Mindestlohn in Deutschland wird erstmals über zehn Euro steigen. In vier Stufen soll er bis zum 1. Juli 2022 von derzeit 9,35 Euro auf dann 10,45 Euro steigen, empfiehlt die Kommission. In diesen Stufen soll der Mindestlohn (Brutto-Lohn pro Arbeitsstunde) steigen:

  • 1. Januar 2021: 9,50 Euro
  • 1. Juli 2021: 9,60 Euro
  • 1. Januar 2022: 9,82 Euro
  • 1. Juli 2022: 10,45 Euro

Der Entscheidung war ein langer Streit vorausgegangen. Auch am Dienstag zogen sich die Verhandlungen innerhalb der Kommission länger als geplant.

Wie hoch ist der aktuelle Mindestlohn?

Seit diesem Jahr beträgt der Mindestlohn bundesweit 9,35 Euro. Bei einer fünf Tage-Woche mit 40 Arbeitsstunden würden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Mindestlohn erhalten, bei durchschnittlich 21 Arbeitstagen im Monat somit 1570,80 Euro brutto verdienen.

Mit der Anhebung auf 10,45 Euro im Jahr 2022 stiege der Lohn unter denselben Voraussetzungen dann auf 1755,60 Euro brutto im Monat – ein Zugewinn von knapp 185 Euro.

Eingeführt wurde der Mindestlohn im Jahr 2015 – damals startete er mit 8,50 Euro. Der Mindestlohn wird in der Regel alle zwei Jahre angehoben. Dabei gilt die Tarifentwicklung der vergangenen Jahre als Orientierung. Für das kommende Jahr bedeutet das, dass der Mindestlohn auf 9,82 Euro ansteigen würde.

Steigender Mindestlohn: Wie sind die Reaktionen?

„Das ist eine gute Nachricht für rund zwei Millionen Arbeitnehmer, die Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag in Berlin. Er verwies auf die sogenannten Alltagshelden der Corona-Krise, also Beschäftigte in systemrelevanten Berufen, die oft am unteren Ende der Lohntabelle stehen. „Diese Menschen haben mehr verdient als harte Worte, sie haben auch harte Währung verdient“, sagte Heil.

Der CDU-Wirtschaftsrat kritisierte dagegen die beschlossene Erhöhung des Mindestlohns scharf. „Mit Blick auf die Corona-Krise wäre mehr Augenmaß gefragt gewesen“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger unserer Redaktion „Zahlreiche Jobs sind bedroht, weil den Unternehmen nach dem Lockdown das Wasser bis zum Hals steht. Diese Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ist ein Mühlstein, der die Arbeitsmarktzahlen noch weiter herunterziehen wird.“

Warum herrschte innerhalb der Kommission Streit?

Die Corona-Krise war in den Verhandlungen der Kommission der Knackpunkt. Die Arbeitnehmer-Vertreter argumentieren, dass gerade in der Corona-Krise die Leistung derer, die Mindestlohn erhalten, besonders sichtbar gewesen sei. Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Mitglied der Mindestlohnkommission, etwa verwies auf Arbeitnehmer, die in systemrelevanten Jobs arbeiten, aber dennoch am unteren Ende der Lohntabelle stehen.

„Dass sie sich jetzt in Verzicht üben sollen, kommt nicht infrage“, sagte Körzell. Auch Verdi-Chef Frank Werneke hatte jüngst im Interview mit unserer Redaktion gefordert, die Corona-Alltagshelden bei den Löhnen nicht zu vergessen.

Doch auch abseits der Corona-Krise halten die Gewerkschaften den Mindestlohn für zu gering. 2015 wurde die Lohnuntergrenze nach lagen Verhandlungen auf 8,50 festgelegt. Rückblickend sei das zu niedrig gewesen, bemängeln die Gewerkschaften und fordern daher eine Anhebung auf 12 Euro.

Die Arbeitgeber-Vertreter warnten hingegen davor, in dieser historischen Phase der Rezession den Mindestlohn anzuheben. Die Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU im Bundestag hatte jüngst sogar gefordert, den Mindestlohn aufgrund der Krise abzusenken. Dem erteilte CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer via Twitter aber eine klare Absage: „Hände weg vom Mindestlohn“, schrieb sie im Mai.

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Ist der Mindestlohn von 12 Euro nun vom Tisch?

Zumindest bis 2022 wird ein Mindestlohn von 12 Euro nicht kommen. Vom Tisch ist das Thema aber nicht. Denn auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), befürwortet einen perspektivischen Mindestlohn von 12 Euro.

Bisher betrage der Mindestlohn lediglich 46 Prozent des Durchschnittseinkommens in Deutschland, kritisierte Heil und kündigte an, den Mindestlohn reformieren zu wollen. Eine Anhebung, die sich wie bisher ausschließlich an der Entwicklung der Tariflöhne orientiere reiche nicht aus, kritisierte der Arbeitsminister.

Diese Ankündigung sieht Christoph Schröder, Experte für Einkommenspolitik am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) kritisch. Schröder sagte unserer Redaktion, dass zunächst die Auswirkungen des Mindestlohns wissenschaftlich untersucht werden müssten – wozu die Bundesregierung auch verpflichtet ist. „Die Mindestlohnkommission hat die Quadratur des Kreises versucht“, sagte Schröder unserer Redaktion. Mit der verhältnismäßig geringen Anpassung im kommenden Jahr würden insbesondere kleine Betriebe wie Hotels und Gaststätten eine „Verschnaufpause“ erhalten, sagte Schröder.

Dass der Mindestlohn im kommenden Jahr nicht so stark wie eigentlich vorgesehen, gemäß des Tarifindex hätte er auf 9,82 Euro steigen müssen, ist ein Punkt, den die Arbeitgeber durchgesetzt haben. Doch auch die Arbeitnehmervertreter sind zufrieden, da 2022 der Mindestlohn umso stärker steigt. „Allein in den nächsten beiden Jahren bringen die Mindestlohnsteigerungen insgesamt knapp 2 Milliarden Euro mehr im Portmonee der Beschäftigten“, sagte Körzell.

Ist die Mindestlohn-Kommission überhaupt wichtig?

Die Mindestlohn-Kommission hat den gesetzlichen Auftrag zu prüfen, welche Lohnuntergrenze angemessen für Beschäftigte ist, ohne dabei Arbeitsplätze oder die Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Sie entscheidet somit über die Höhe des Mindestlohns.

Die Kommission setzt sich dabei aus einem Vorsitzenden, jeweils drei Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite sowie zwei wissenschaftlichen Mitgliedern zusammen, die beratende Funktionen einnehmen.

Wie trifft die Kommission Entscheidungen?

Entscheidungen fällt die Kommission mit einfacher Mehrheit. Doch das ist meist alles andere als einfach. Denn die wissenschaftlichen Mitglieder, aktuell der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, sowie die stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen, Claudia Weinkopf, sind nicht stimmberechtigt. Bei den jeweils drei Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ergibt sich meist eine Patt-Situation. Tritt eine solche ein, macht der Vorsitzende der Kommission einen Vermittlungsvorschlag.

Kommt auch bei dem Vermittlungsvorschlag keine Stimmenmehrheit zustande, übt der Vorsitzende sein Stimmrecht aus und entscheidet so die Abstimmung.

Der aktuelle Vorsitzende ist Jan Zilius. Der Rechtsanwalt kennt beide Interessenseiten: Zehn Jahre lang arbeitete er als Justitiar bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE), zugleich hatte er 17 Jahre lang Vorstands- und Aufsichtsratsposten bei RWE inne.

Das Verfahren ist allerdings nicht unumstritten. Im vergangenen Jahr etwa hatte Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann kritisiert, dass es für eine reine Anpassung aufgrund der Tariflöhne keine Kommission gebraucht hätte. Ein Gesetz hätte es auch getan, so das Argument des CDU-Politikers. Beim Chef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, sorgte dieser Vorwurf für Unverständnis.

Von Gewerkschaftsseite wurde bereits ins Spiel gebracht, den wissenschaftlichen Mitgliedern ein Stimmrecht zu geben, um die Entscheidungsfindung zu beschleunigen.

Lesen Sie hier: Interview mit dem Chef der Wirtschaftsweisen: „Der Kinderbonus bringt wenig“

Für wen gilt der Mindestlohn?

Pauschal gesagt: Der Mindestlohn gilt für alle Beschäftigten über 18 Jahre. Aber es gibt Ausnahmen, rund 1,8 Millionen Arbeitnehmer erhalten keinen Mindestlohn. Zu ihnen gehören etwa Auszubildende und Beschäftigte, die einen freiwilligen Dienst ableisten. Auch Selbstständige und Heimarbeiter haben keinen Anspruch auf Mindestlohn. Für Pflicht-Praktika, etwa im Rahmen einer Berufsausbildung oder eines Studiums, muss ebenfalls kein Mindestlohn gezahlt werden.

Beim Mindestlohn spielt die Nationalität keine Rolle, auch beispielsweise Erntehelfer aus Osteuropa haben Anspruch auf die derzeit geltenden 9,35 Euro pro Stunde. Zudem gilt er unabhängig vom Umfang der Arbeit, also auch für Minijobber. Beiträge zur gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung kann der Arbeitgeber nicht vom Mindestlohn abziehen.

In vielen Branchen gibt es aber eigene Mindestlöhne, die beispielsweise Gewerkschaften mit den Arbeitgebern ausgehandelt haben. Im Baugewerbe liegt etwa die Lohnuntergrenze für Hilfsarbeiten bei 12,55 Euro pro Stunde, in der Pflege liegt er in den westdeutschen Bundesländern bei 11,35 Euro, in den ostdeutschen Bundesländern bei 10,85 Euro.

Typische Berufe, in denen häufig der gesetzliche Mindestlohn von 9,35 Euro gezahlt werden, sind etwa Jobs in der Fleischindustrie, in der Landwirtschaft als Erntehelfer oder im Taxi-Gewerbe. Auch Friseure und Mitarbeiter im Einzelhandel, etwa im Supermarkt, erhalten oft nur den gesetzlichen Mindestlohn.

Ob der Mindestlohn eingehalten wird, kontrolliert der Zoll. Im vergangenen Jahr wurden etwa allein auf dem Bau 508 Jahre Gefängnis wegen Schwarzarbeit verhangen.

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