Essen. Das ist ein sensationelles Urteil: Eine VW-Kundin aus Essen bekommt nicht nur den Kaufpreis für ihren alten Diesel-VW-Golf zurück.

Dass ihre neuen Diesel-Autos größere Stinker sind, als in Hochglanz-Prospekten stets behauptet – damit wollen sich viele Auto-Käufer nicht so ohne weiteres abfinden und ziehen vor Gericht. In mehreren aktuellen Fällen haben klagende Kunden vor Gericht Erfolge erzielt. Ist das schon richtungsweisend für eine Musterfeststellungsklage von über 400.000 Autokäufern?

Vor allem der aktuelle Fall einer VW-Kundin, der jedoch noch keine Rechtskraft erlangt hat, da der Hersteller nach eigenen Angaben Berufung eingelegt hat, dürfte Mut machen. Gleiches gilt für ein Urteil zu einem Skoda Octavia. In beiden Fällen wurde Volkswagen kein Geld dafür erlassen, dass die jeweiligen Autos schon über Jahre genutzt wurden und somit an Wert verloren hatten. In einem anderen Fall hat Volkswagen eine Berufung zurückgezogen – und damit vielleicht sogar eine Strategie preisgegeben?

Der VW-Kundin sprach die 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen jetzt nicht nur das Recht zu, ihr 2013 gekauftes Golf VI Cabriolet gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzugeben. Sie muss auch keinen einzigen Cent Nutzungsentschädigung zahlen.

Diesel-Manipulation: Gut 400 Verfahren sind in Essen allein gegen VW anhängig

Sechs Jahre also Auto gefahren zum Nulltarif – das darf man wohl ein ausgesprochen verbraucherfreundliches Urteil nennen. Es ist gleichwohl nicht das erste seiner Art: Auch die Landgerichte in Potsdam und Augsburg, Halle oder Gera haben schon ähnlich entschieden, wissen Kenner der juristischen Materie.

Einzelfälle bislang, aber diese könnten sich als beispielgebend erweisen: Am Landgericht Essen, so bestätigt dessen Sprecher Johannes Hidding auf Anfrage, seien gut 400 Verfahren allein gegen die Volkswagen AG anhängig, hinzu kommen hunderte Schadensersatzklagen gegen andere Autohersteller und nicht zuletzt jene Autohäuser, bei denen die Diesel-Fahrzeuge gekauft wurden.

Das Verhalten des Autobauers – „sittenwidrig“ und „besonders verwerflich“

Den Triumph, „die Volkswagen AG, vertr. d. d. Vorstand, dieser vertr. d. d, Vorsitzenden Herbert Diess“ niedergerungen zu haben, dürfen die Bremer Anwälte jener Frau auskosten, die jetzt von dem Essener Einzelrichter Recht bekam. Sie erhält nicht nur die 20.410 Euro und 56 Cent für ihren Gebrauchtwagen zurück, sondern auch die 1715 und 92 Cent, die sie zur Finanzierung bei der Volkswagen Bank aufwandte – zuzüglich Zinsen.

Eine VW-Kundin bekommt den Kaufpreis für ihr Golf-IV-Cabrio zurück.
Eine VW-Kundin bekommt den Kaufpreis für ihr Golf-IV-Cabrio zurück. © imago stock&people | imago stock&people

In seinem Urteil vom 19. Juni (Az.: 3 O 439/18) sparte der Richter nicht mit scharfer Kritik an dem beklagten Autohersteller aus Wolfsburg: Dessen Verhalten sei schlicht „sittenwidrig“, weil er „durch das bewusste Inverkehrbringen eines sachmangelbehafteten Fahrzeugs auch gegenüber der (...) Käuferin (...) die ihr bekannten, für den Vertragsschluss wesentlichen Umstände verschwiegen hat“.

Gericht: Niemand würde Diesel mit Abschalteinrichtung kaufen, wenn er davon wüsste

Jemand mit Grips, so betonte das Gericht, würde wohl kaum ein Auto mit einer Abgassteuerung kaufen, wenn man ihm vorab mitteilte, „dass die Software nicht gesetzeskonform ist und deshalb mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation zu rechnen ist“. Es ging wohl, so mutmaßt das Gericht, allein um Gewinnstreben.

Das Verhalten von VW sei deshalb „besonders verwerflich“, weil es „nicht für einen Einzelfall, sondern tausendfache Anwendungen bestimmt war“. Es sei wohl nur um Gewinnstreben gegangen.

Sich mit Nichtwissen rauszureden, sei nicht möglich: „Die Beklagte (muss sich) das Fehlverhalten derjenigen Mitarbeiter zurechnen lassen, die in ihrem Hause für die Softwaremanipulation und deren Verschweigen verantwortlich sind“, heißt es in dem Essener Urteil.

Nur „ausnahmsweise“ keine Nutzungsentschädigung

Dass schließlich ein Software-Update Schluss machte mit den vorgetäuschten besseren Abgaswerten, auch dies überzeugte das Gericht nicht. Unabhängig von der Frage, ob ein solches Update die behaupteten Nachteile bei Verbrauch und Lebensdauer mit sich bringe, sei im Falle eines Weiterverkaufs ein drohender Wertverlust schließlich „nicht von der Hand zu weisen“.

Dass VW keinen Cent Nutzungsentschädigung erhält – dies bleibe allerdings eine große Ausnahme, betont das Gericht. Gerechtfertigt sei sie, weil es sich um eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ von „immensen Ausmaßen“ handle. Und weil es ja „nicht sein (kann), dass die Klägerin der Beklagten faktisch anstelle eines Kaufpreises quasi (untechnisch verwendet) eine Miete für den PKW zahlen muss“.

Das sagt Volkswagen zu dem Urteil in Essen

VW betont gegenüber unserer Redaktion, der Hersteller halte die Entscheidung für „falsch“. Es handele sich um eine „Einzelmeinung, der nur sehr wenige Kammern von Landgerichten folgen.“ Die anderen mit Diesel-Klagen betrauten Kammern des Landgerichts Essen nähmen, wie die überwiegende Zahl der Landgerichte, bei klagestattgebenden Urteilen einen Abzug von Nutzungsersatz vor.

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    Zudem betont ein Sprecher: „Unabhängig davon bleibt Volkswagen dabei, dass es grundsätzlich keinen Anspruch auf Schadensersatz gibt. Die Fahrzeuge waren und sind uneingeschränkt gebrauchstauglich und werden von den Kläger weiterhin benutzt, so dass sie sich diese Nutzungen anrechnen lassen müssen.“

    Urteil zu einem Skoda Octavia: Volkswagen muss wohl neues Auto liefern

    Wie die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Stoll & Sauer am Dienstag mitteilte, hat das Oberlandesgericht Stuttgart zuletzt jedoch ähnlich entschieden, wie das Landgericht Essen. In dem Stuttgarter Fall ging es allerdings um ein Fahrzeug der VW-Tochter Skoda: einen Octavia Combi. Das Fahrzeug aus dem Jahr 2013 sei demnach auch vom Diesel-Skandal betroffen gewesen.

    Das Gericht habe am 29. Juli entschieden: Volkswagen muss dem Kunden ein Ersatzfahrzeug liefern – und zwar aus der aktuellen Serienproduktion und kein gebrauchtes aus dem Jahr 2013. Das Landgericht Ellwangen, 4 O 119/17 habe die Klage zuvor abgewiesen und teilte mit, dass kein Anspruch auf ein Neufahrzeug bestehe. Nun sei der Fall vorm Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt worden, teilten die Rechtsanwälte mit.

    Nach einem Urteil des Landgerichts Köln hat Volkswagen derweil nach Angaben des „Norddeutschen Rundfunks“ eine Berufung zurückgezogen. Das Gericht habe zuvor VW die Rücknahme eines Dieselfahrzeugs und Erstattung des Kaufpreises auferlegt. Volkswagen habe die Berufung zurückgerufen. Damit würde das Urteil wohl rechtskräftig.

    Dass VW in einigen Fällen nicht in Berufung geht oder diese zurückzieht, könnte Taktik sein. Denn so landen Prozesse nicht vor höheren Gerichten und können so auch keine Symbolwirkung für weitere Prozesse erlangen.

    Ende September startet vor dem Oberlandesgericht in Braunschweig die mündliche Verhandlung zur Musterfeststellungsklage gegen VW wegen des Dieselskandals. Über 400.000 Autokäufer haben sich der Klage angeschlossen.

    Dieser Text erschien zuerst auf www.waz.de.