Hamburg. Der neue Vorstandschef Lars Brzoska erklärt, wie er den Hamburger Gabelstaplerbauer durch die Konjunkturflaute steuern will.

Sein neues Büro ist noch nicht fertig eingerichtet, Lars Brzoska bittet zum Gespräch in einen Konferenzraum in der Wandsbeker Unternehmenszentrale. Seit Anfang September ist der 47-Jährige Vorstandsvorsitzender des Hamburger Gabelstapler- und Lagertechnik-Konzerns Jungheinrich und zugleich bis Jahresende weiter dessen Technikvorstand. Im ersten Interview als Vorstandschef spricht Brzoska über autonom fahrende Gabelstapler und die Klimaziele des Konzerns – und sagt, warum das Unternehmen möglicherweise in einigen Monaten Kurzarbeit einführen muss.

Hamburger Abendblatt: Herr Brzoska, wann sind Sie zuletzt selbst einen Gabelstapler gefahren?

Lars Brzoska: Das kommt immer mal wieder vor. In meiner Nochfunktion als Technikvorstand bin ich ja sehr häufig in unseren Werken und bekomme Fahrzeuge und Prototypen vorgeführt. Die fahre ich dann auch sehr gern. Das bringt Spaß. Und man sollte das regelmäßig machen , wenn man die Fahrzeuge verkauft.

Sie haben den Staplerführerschein?

Brzoska: Ja, den Lehrgang hat mir meine Frau geschenkt, bevor ich bei Jungheinrich angefangen habe. Sie sagte: Wenn Du da anfängst, musst Du die Fahrzeuge auch fahren können.

Auf was für einem Fahrzeug haben Sie gelernt?

Brzoska: Oh, das kann ich hier nicht öffentlich sagen. Es war leider kein Jungheinrich-Modell, deswegen bin ich als Fahrer vielleicht auch nicht so richtig gut qualifiziert (lacht). Aber ehrlich: Wenn man als Amateur mal selbst gefahren ist und dann sieht, mit welcher Präzision und Geschwindigkeit die Vollprofis im Lager unterwegs sind, dann ist das schon Wahnsinn.

Gar nicht spaßig ist im Moment die Entwicklung des Unternehmens. Die Neuaufträge sind Mitte des Jahres deutlich eingebrochen. Ist das weiterhin so?

Brzoska: Es ist ja kein Geheimnis, dass es in der Industrie insgesamt einen Abwärtstrend gibt. Der Zollstreit, Brexit und Co., das sind alles Dinge, die die Stimmung und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen sehr belasten. Das bekommen natürlich auch wir zu spüren.

Wie reagiert Jungheinrich auf diese Entwicklung?

Brzoska: Wir machen uns wetterfest, weil wir nicht davon ausgehen können, dass dies nur ein kurzfristiger Trend ist. Keiner weiß heute, wie lange diese Durststrecke dauert und wie schwer sie sein wird. Wir wachsen zwar weiter, stellen weiterhin ein und investieren, aber sicher nicht mehr in dem Maße wie in den vergangenen Jahren. Stattdessen achten wir derzeit extrem auf Effizienz. Wenn wir sehen, dass sich der Markt wieder positiver entwickelt, werden wir sicherlich auch wieder in die Gegenrichtung steuern. Jetzt heißt es erst einmal, sehr vorsichtig, besonnen und gleichzeitig entschlossen zu agieren.

Betrifft das auch den Bau eines neuen Werks in Polen, der vor knapp zwei Jahren angekündigt wurde?

Brozska: Wir haben das als Projekt vorangetrieben, aber als wir merkten, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung abflacht und wir die neuen Kapazitäten in den nächsten Jahren möglicherweise gar nicht werden auslasten können, haben wir das Projekt bereits Anfang des Jahres eingefroren.

Jungheinrich hat eine zehnjährige Erfolgsgeschichte hinter sich, erst kurz vor Ihrem Amtsantritt gab es den Knick. Was wollen, was können Sie anders machen als Ihr Vorgänger Hans-Georg Frey?

Brzoska: Kurz nachdem mein Vorgänger Hans-Georg Frey anfing, begann 2008 die Finanzkrise. Von deren Dimensionen sind wir heute – Gott sei Dank – noch weit entfernt. Mein Ziel ist es, gemeinsam mit der hervorragenden Mannschaft hier bei Jungheinrich die anstehenden Herausforderungen zu meistern. Gleichzeitig gibt es ganz viele gute Dinge, die wir in Zukunft weiter so machen werden wie bisher. Es wäre auch verwunderlich, wenn ich nach fünf Jahren im Vorstand plötzlich sagen würde: Jetzt machen wir alles ganz anders. Was ich noch intensiver als bisher vorantreiben möchte, sind die Themen Digitalisierung und Automatisierung. Da gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, die wir noch nicht ausgeschöpft haben. Autonom fahrende Fahrzeuge sind ein extrem wachsender Markt in unserer Branche. Ihre Zahl wird sich in naher Zukunft vervielfachen. Wir wollen dabei ganz vorne mitspielen. Hersteller, die in diesem Bereich technisch den Anschluss verlieren, werden Schaden nehmen.

Sie haben in der Wandsbeker Konzernzentrale einen Mitarbeiter-Dialog, eine sogenannte Listening-Tour, gestartet. Was versprechen Sie sich davon?

Brzoska: Ich möchte wissen, was die Themen unserer Mitarbeiter sind. Auf allen Ebenen. Vom Werker bis zum Manager. Dafür will ich mit den Kollegen ins Gespräch kommen. Gleichzeitig habe ich die Gelegenheit genutzt, um sowohl mich persönlich als auch meine Ziele vorzustellen. Es gab sehr viele Fragen zu ganz unterschiedlichen Themen. Insgesamt ein sehr schöner Dialog, den wir an anderen Standorten fortsetzen werden. Natürlich ging es auch um die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und was das für den einzelnen Mitarbeiter bedeutet.

Wie lautete Ihre Antwort?

Brzoska: Wir wollen grundsätzlich weiter wachsen und die Arbeitsplätze bei uns auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten sichern. Seit der letzten Krise haben wir die Zahl unserer Mitarbeiter auf gut 18.000 annähernd verdoppelt. Und auch jetzt stellen wir in bestimmten Bereichen noch weiter ein. Klar ist aber auch, dass ich aufgrund dessen, was im Markt noch passieren kann, derzeit keine Garantie aussprechen kann, was die Zukunft bringt. Wir ergreifen jetzt alle Maßnahmen, die möglich sind, um uns auf alle Eventualitäten vorzubereiten.

Welche Maßnahmen sind das?

Brzoska: Wir sind sehr restriktiv bei den Kosten, erhöhen den Cashflow und bereiten die klassischen Instrumente wie den Abbau von Stundenkonten vor. In einem nächsten Schritt werden wir dann gegebenenfalls über Kurzarbeit reden müssen.

Könnten auch die Werke in der Region Hamburg von Kurzarbeit betroffen sein?

Brzoska: Sollte sich die wirtschaftliche Lage weiter so entwickeln wie aktuell, dann werden auch wir Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres an einzelnen Standorten zu Kurzarbeit kommen können. Wo genau hängt dann konkret vom einzelnen Werk ab und davon, welche Fahrzeugtypen dort hergestellt werden. Aber so weit sind wir noch nicht. Manche Bereiche laufen noch sehr gut, andere sind aber schon unter starkem Druck. Wir sollten jetzt alle die Daumen drücken, dass es nicht zu einem harten Brexit kommt und das sich der Handelskonflikt beruhigt. Generell gilt es, diesen Konzern auch unter schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln. Das verlangt auch nach Millioneninvestitionen in Zukunftsthemen, die wir weiter tätigen.

Die anderen beherrschenden Themen dieser Tage sind Klimaschutz und Klimaneutralität. Welche Ziele hat sich Jungheinrich gesetzt?

Brzoska: Das ist für uns schon immer ein Thema gewesen. Über 97 Prozent der mehr als 120.000 Fahrzeuge, die wir 2018 hergestellt haben, werden elektrisch angetrieben. Schon seit Jahren betreiben wir die Wiederaufarbeitung von Fahrzeugen und Batterien. Was Nachhaltigkeit und geringen CO2-Ausstoß unserer Fahrzeuge angeht, sind wir in der Branche führend. Die Kohlendioxidemissionen in der Produktion sind bei uns seit dem Jahr 2000 um fast 40 Prozent gesunken.

Der Autobauer Daimler hat angekündigt, Ende 2022 in seinen Werken klimaneutral zu produzieren. Das könnte Jungheinrich auch tun, indem der Konzern nur noch Strom aus erneubaren Energiequellen bezieht.

Brzoska: Wir haben schon vor fast zwei Jahrzehnten die Strategie ausgegeben, die Ökobilanz unserer Produkte und deren Produktion nachhaltig zu verbessern. Unsere Fahrzeuge werden ständig leistungsfähiger und verbrauchen dabei signifikant weniger Energie. Das finden Sie so in keiner anderen Branche. In der aktuellen Ausarbeitung unserer Strategie bis zum Jahr 2025 werden wir weitere konkrete Ziele definieren. Das ist bei uns kein PR- oder Marketing-Gag. Im Gegensatz zu anderen treiben wir das Thema schon seit geraumer Zeit erfolgreich voran. Das kann man auch daran sehen, dass wir erst kürzlich für die Aufarbeitung von Fahrzeugen einen Nachhaltigkeitspreis erhalten haben, weil dadurch in großem Umfang CO2-Emissionen eingespart werden. Während andere zu viel reden und zu wenig zu handeln, sind wir eher diejenigen, die schon ganz viel gehandelt, aber vielleicht zu wenig darüber geredet haben.