Hamburg. Astrid Nissen-Schmidt und Norbert Aust stellen sich zur Wahl. Was sie treibt, was sie ärgert und was sie verändern wollen.
Anfang des nächsten Jahres wählt die Hamburger Wirtschaft ihre Vertreter für die Handelskammer neu. Als Erste ist Starke Wirtschaft Hamburg, eine offene Plattform von Unternehmern in der Stadt, in den Wahlkampf gestartet. Ihr Ziel ist es, die derzeitige Kammerführung abzulösen. Dazu hat die Gruppe ein Kompetenzteam gebildet, dass von einer Doppelspitze angeführt wird: der Unternehmensberaterin Astrid Nissen-Schmidt und dem bekannten Kulturmanager und Gründer der Schmidt-Theater, Norbert Aust. In ihrem ersten Interview in ihrer neuen Rolle beschreiben beide die derzeitige Situation der Handelskammer und zeigen auf, was sie verändern wollen.
Die Hamburger haben mit ihrer Handelskammer in den vergangenen Jahren vieles erlebt. Letzter Höhepunkt war der Rücktritt der Hauptgeschäftsführerin Christi Degen. Wie beurteilen Sie den Fall?
Norbert Aust Also zunächst einmal finde ich es unglaublich, wie man mit der eigenen Geschäftsführung umgegangen ist. Frau Degen wurde mit einem drohenden Misstrauensvotum durch die Stadt getrieben und dann aus dem Amt gedrängt. Das war nicht in Ordnung.
Astrid Nissen-Schmidt Nach dem Scheitern des Reorganisationsprozesses hatte sie auf mich so gewirkt, als wolle sie ihre Arbeit zu Ende führen. Der Misstrauensantrag aus dem Plenum hat mich überrascht. Wie es dann zu dem raschen Schnitt kam, kann ich nicht sagen.
Das ist ja nicht der erste überraschende Personalwechsel. Denken wir an den Rücktritt des Präses Tobias Bergmann. Vergleichen Sie die Kammer heute mit der vor drei Jahren. Was hat sich geändert?
Aust Als sich die WIR-Gruppe vor vier Jahren aufstellte, gab es von vielen Seiten eine gewisse Sympathie für ihr Wirken, weil man der Ansicht war, dass sich etwas in der Kammer ändern muss. Was aber viele nicht erkannten, war, dass hinter den Forderungen der Gruppe ein politisches Programm stand, nämlich die Kammer zu zerstören. Wer die Pflichtbeiträge abschaffen will, der beraubt die Kammer ihrer Basis. Das ist nicht hinnehmbar. Die Kammer ist eine Institution, eine Körperschaft Öffentlichen Rechts und damit Teil unserer Staatsordnung. Das Schlimme daran ist, dass die Kammerrebellen die Kammer in weiten Teilen zerstört haben.
Nissen-Schmidt Wenn wir es auf die Arbeit des Plenums herunterbrechen, sehen wir schon, dass die Qualität der Vorlagen erheblich gesunken ist. Da sind Forderungskataloge aufgestellt worden, denen Kompetenz fehlte und die kaum mehr zu retten waren. Zudem werden im Plenum Basisdiskussionen geführt, die eigentlich schon im Vorfeld erfolgen müssten. Da werden Empfehlungen von Ausschüssen ignoriert und neu diskutiert. Deshalb werden die Sitzungen ständig überzogen. Zum Schluss gibt es dann irgendeine Abstimmung, aber immer bleiben viele Themen offen, weil die Entscheidungen nur halbgar sind.
Wie ist denn aus Ihrer Sicht die öffentliche Wahrnehmung der Kammer?
Aust Breites Entsetzen. Und das ist schlimm. Denn viele Unternehmer meiden inzwischen die Kammer. Sie sagen, da gehe ich nicht mehr hin.
Nissen-Schmidt Die lesen jede Woche neue Negativ-Schlagzeilen und haben keine Lust mehr, sich damit zu beschäftigen. Und außerhalb Hamburgs wird die Kammer eigentlich nicht mehr ernst genommen. Dabei war sie mal die mächtigste unter den Kammern Deutschlands.
Was wollen sie besser machen?
Aust Wenn wir es idealistisch betrachten, dann liegt in dieser Zerstörung ja eine große Chance. Die alten Strukturen gibt es nicht mehr, und jetzt kann man etwas Neues schaffen. Die Gelegenheit zu einem neuen Aufbau ist das, was mich an dieser Sache reizt. Wir können eine neue, innovative und von den Unternehmern getragene Kammer bauen. Daran möchte ich mitwirken.
Nissen-Schmidt Die Hamburger Unternehmer müssen jeden Tag in ihren Betrieben vorausschauend und erfolgreich agieren. Warum soll das nicht auch in der Handelskammer möglich sein.
Was meinen Sie damit?
Aust An erster Stelle steht, die Kammer wieder handlungsfähig zu machen. Dazu gehört, dass dieser Krieg zwischen unterschiedlichen Fraktionen aufhört. Deshalb haben wir von Starke Wirtschaft Hamburg gesagt, dass sich unsere Plattform wieder auflösen muss, sobald das Plenum für die Kammer gewählt ist. Fraktionsgetue entspricht nicht unternehmerischem Handeln. Wir sind keine politische Partei. Das Zweite ist, dass wir den Mitarbeitern der Kammer wieder die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdienen. So wie das jetzt läuft, geht es gar nicht.
Es gibt aber auch Stimmen, die Ihnen vorwerfen, Sie würden nur zur alten Kammer zurückkehren wollen.
Nissen-Schmidt Sicher nicht. Das ginge auch gar nicht, weil die handelnden Personen und die Strukturen andere sind. Wir hatten früher beispielsweise eine stark hierarchisch geführte Kammer. Das ist aus der Zeit. Wir benötigen flexiblere Strukturen in der Zusammenarbeit, mehr Kooperation und eine zentrale Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Mitgliedsunternehmen.
Aust Was uns auch von der Kammer der Vergangenheit unterscheidet, ist, dass wir ein gutes Verhältnis zu den Branchenverbänden aufbauen wollen. Bisher hat die Kammer zu sehr in den Gefilden der Branchenvertretungen gewildert. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie muss sich wieder als Gesamtinteressenvertretung verstehen.
Können Sie drei wichtige inhaltliche Ziele nennen, die sie im Falle eines Wahlsiegs umsetzen wollen?
Aust Beispielsweise eine bessere norddeutsche Zusammenarbeit. Demnächst wird eine OECD-Studie veröffentlicht, die für unsere Metropolregion kein gutes Urteil fällt. Da hat die Kammer die Chance, vieles zu tun. Man muss die organisatorische Struktur der Wirklichkeit anpassen. Wir im Norden haben 17 Kreise, kreisfreie Städte und fünf Bundesländer. Das ist doch absurd.
Wollen Sie also einen Nordstaat?
Aust Nein, so weit muss es nicht gehen. Wir wollen eine bessere Zusammenarbeit. Derzeit macht noch jeder seins.
Nissen-Schmid Ich bin beispielsweise Bahn-Pendlerin. Da liegt vieles im Argen. Warum muss jedes Bundesland einzeln zur Deutschen Bahn rennen und dort seine Klage vorbringen? Der Druck wäre größer, wenn die norddeutschen Bundesländer gemeinsam in Berlin auftreten. Wir müssen weniger in Landesgrenzen denken und mehr darin, was für die Region gut ist.
Welches Thema liegt ihnen noch am Herzen?
Nissen-Schmidt Die Stärkung Hamburgs als Gründerstandort. Die Kammer bietet da schon Unterstützung an. Daraus kann man aber viel mehr machen, indem man Netzwerke schafft und Start-ups mit etablierten Unternehmen zusammenbringt. Großunternehmen sind finanzstark, es fällt ihnen häufig aber schwer, ihr Geschäftsmodell zu verändern. Wenn sie aber Start-ups mit hineinnehmen, bekommt der Prozess eine ganz neue Dynamik. Die Kammer soll also nicht mehr nur bei der Unternehmensgründung helfen, sondern die Start-ups auch bei der weiteren Entwicklung erfolgreich begleiten. Außerdem beschäftigen fast alle Unternehmen das Thema Fachkräfte. Große Unternehmen bekommen ja noch Bewerbungen, an kleinen rauschen die meistens vorbei. Wir können die Zahl der Azubis nicht beliebig erhöhen. Flüchtlinge kommen auch nicht mehr so viele, was aus Unternehmenssicht zu bedauern ist. Denn in der beruflichen Ausbildung und Integration von Flüchtlingen ist Hamburg exzellent. Zudem muss es gelingen, den durch die Digitalisierung hervorgerufenen Transformationsprozess am Arbeitsmarkt, zu bewältigen. Einige Berufe fallen weg, andere entstehen neu. Das kann man nicht mit Weiterbildungsmaßnahmen hinbekommen.
Aust Wir benötigen neue Ausbildungen, aber auch neuen Wohnraum für Auszubildende. Wir haben 43 Stundenten-Wohnheime in der Stadt, aber nur eine Handvoll Wohnungen für Auszubildende. Die müssen doch auch untergebracht werden.
Soll sich die Kammer aus Ihrer Sicht also wieder mehr politisch einbringen?
Aust Nicht allgemeinpolitisch, aber dort, wo es darum geht, die Interessen der Unternehmen in der Stadt zu vertreten.
Warum treten sie als Doppelspitze an?
Aust Also, wir haben gesagt, dass unsere Aufgabe eigentlich erfüllt ist, wenn das Plenum gewählt ist. Man muss dem dann gewählten Ehrenamt überlassen, wen es an seine Spitze wählt. Angesichts der Aufgaben, die vor der Kammer liegen, kann man es aber auch keinem Unternehmer zumuten, sein eigenes Geschäft drei Jahre zu vernachlässigen und sich ausschließlich der Kammer zu widmen. Es gibt ein riesiges Arbeitsvolumen, das für einen Unternehmer allein an der Spitze nicht zu schaffen ist. Deshalb wollen wir die alleinige Führung eines Präses gerne abschaffen. Eine Arbeitsteilung zwischen zweien oder dreien ist viel sinnvoller.
Sie können doch nicht die Statuten ändern. Da steht nur ein Präses drin.
Nissen-Schmidt Aber wir können die Geschäftsordnung ändern. Und dann ist es nur eine Frage, wie man die Kammer-Führung praktisch handhabt, etwa mit einer Verteilung der Aufgabengebiete, je nach Erfahrung und Kompetenz.
Aust Genau. Die Zeit ist reif, über ein neues Führungsmodell nachzudenken.
Würden Sie beide dafür zur Verfügung stehen?
Nissen-Schmidt Wenn das der Wunsch des Plenums wäre, ja.
Aust Das sehe ich genauso.