Hamburg. Sohn des Gründers möchte mit Digitalstrategie das Wachstum ankurbeln. Außerdem soll die Wartezeit in den Filialen sinken.

„Es gibt Positives zu berichten.“ Alljährlich hat Brillenkönig Günther Fielmann die Bilanzpressekonferenz von Deutschlands größter Optikerkette mit diesen Worten eröffnet. Ein Ritual, das auch als Botschaft für Beständigkeit zu verstehen war. Insofern ist es kaum ein Zufall, dass Marc Fielmann genau diese Worte an den Anfang seiner ersten Präsentation der Geschäftszahlen ohne den Firmengründer stellte.

Mit nahezu unbewegter Miene und in enormer Geschwindigkeit trug der 29-Jährige, der im vergangenen Jahr in die Vorstandsspitze aufgerückt war und dem der Vater zuletzt auch den wichtigen Bereich Unternehmensstrategie übertragen hatte, die Details ohne Versprecher vor. So weit, so vertraut.

Fielmann will "jede vierte Brille in Kontinentaleuropa verkaufen"

Dass der jüngste Vorstandschef eines Konzerns im Börsenindex MDAX mehr will, zeigte er bei Vorstellung seiner mit Spannung erwarteten Strategie bis 2025, mit der erstmals aus dem langen Schatten seines Vaters heraustritt und dem Familienunternehmen seinen Stempel aufdrücken will. „Langfristig wollen wir jede vierte Brille in Kontinentaleuropa verkaufen“, kündigte Marc Fielmann seine ehrgeizigen Ziele für die Marktführerschaft in Europa an. Das entspricht einem Absatz von zwölf Millionen Brillen. Der Außenumsatz solle auf 2,3 Milliarden Euro steigen. 2018 hatte Fielmann gut acht Millionen Sehhilfen verkauft, der vergleichbare Umsatz einschließlich Mehrwertsteuer lag bei 1,65 Milliarden Euro.

„Wir wollen das Wachstumstempo deutlich erhöhen“, so der neue starke Mann im Fielmannschen Brillenuniversum. In diesem und im nächsten Jahr sind Investitionen von insgesamt 200 Millionen Euro geplant. „Mit mehr als 300 Millionen Euro an liquiden Mitteln sind wir in der Lage, Akquisitionen auch ohne Fremdkapital zu realisieren.“ Konkrete Ziele für Zukäufe nannte er nicht. Bislang ist Fielmann außerhalb des deutschsprachigen Raums (700 Filialen) vor allem in Italien (21) und Polen (20) vertreten. Diese Zahlen soll steigen. Bis 2025 will die Kette zudem in fünf weitere Länder expandieren.

Wie es Günther Fielmann geht? "Seinem Alter entsprechend gut"

Hoch aufgeschossen, moderne Brille, die Haare akkurat gescheitelt – Marc Fielmann ist in den vergangenen Jahren sichtbar in die Rolle als Chef eines milliardenschweren Unternehmens mit knapp 20.000 Mitarbeitern gewachsen. Die Frage nach dem Gesundheitszustand von Senior Günther Fielmann beantwortete er verbindlich – und ohne Raum für weitere Nachfragen. „Mein Vater wird in diesem Jahr 80 Jahre alt. Es geht ihm seinem Alter entsprechend gut“, so der Filius.

Als letzten Schritt des eingeleiteten Generationswechsels habe er im Februar weitere Verantwortungsbereiche an ihn übergeben und sich auch dem aktuellen Tagesgeschäft zurückgezogen. Er bleibe aber weiterhin Vorstandsvorsitzender. „Wir freuen uns, wenn er uns als Ratgeber weiter zur Seite steht.“ Sein Gehalt hatte der Senior auf einen symbolischen Euro reduziert. Nachdem Vater und Sohn 2018 die Bezüge von insgesamt etwa sechs Millionen Euro noch geteilt hatten, soll der Anteil von Günther Fielmann jetzt im Unternehmen bleiben.

Bereits Millionen in die Digitalstrategie investiert

Anders als der Gründer setzt Marc Fielmann stärker auf das Internet. „Wir werden in den nächsten Jahren den Online-Verkauf in Fielmann-Qualität erschaffen.“ Wann das sein soll, sagte er nicht. Fielmann war in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen worden, den Trend zur Internet-Brille zu verschlafen. Dass den Vorstandschef diese Kritik ärgert, hatte er mehrfach deutlich gemacht und auf den niedrigen Anteil von zwei Prozent bei Online-Brillenverkäufen hingewiesen.

Seit zwei Jahren arbeite das Unternehmen an seiner Digitalisierungsstrategie und habe bereits Millionen investiert. „Das wird jedoch nicht mit einem traditionellen Online-Shop funktionieren“, sagte der Juniorchef. Vielmehr gehe es darum, die innovativen Technologien zur Marktreife zu bringen, um eine individuelle Brillen-Anpassung zu gewährleisten. Derzeit arbeiten bei Fielmann in 35 Projekten mehr als 200 Entwickler. Diese Zahl solle um ein Drittel erhöht werden.

Die Fielmann-Brille online anprobieren

Erster Schritt ist die sogenannte 3-D-Anprobe auf Basis von Augmented Reality, die Fielmann mit der französischen Technologiefirma Fitting Box entwickelt hat. Ein erster Testlauf wurde bereits in Österreich gestartet. Nun soll die Online-Anprobe, bei der sich Kunden wie beim Blick in einen virtuellen Spiegel Brillengestelle probieren können, für bestimmte Modelle auch in den 600 deutschen Filialen und am heimischen PC möglich sein.

Allerdings zunächst ohne die Möglichkeit, diese auch online zu kaufen. Das solle weiterhin in der Filiale passieren, bis entsprechende Techniken für die 3-D-Anpassung und den Online-Sehtest ausgereift seien. Erste Prototypen und Patente gebe es bereits.

Online-Terminvergabe soll Wartezeiten verkürzen

Trotz des Fortschritts erwartet Marc Fielmann, dass der Großteil der Kunden auch weiterhin in die Läden kommt. Die Zukunft liege in der Verbindung von persönlicher Beratung und digitalem Service. Dazu gehöre auch die Einführung der Online-Terminvereinbarungen, die Wartezeiten ersparen und die gerade in 40 Filialen getestet wird, darunter in Hamburg am Jungfernstieg. Insgesamt, so die internen Berechnungen, haben schon mehrere 100.000 Kunden Filialen wegen zu langer Wartezeiten verlassen. Auch Umbauten und Erweiterungen sollen für Entspannung sorgen. Die City-Filiale an der Hamburger Mönckebergstraße wird voraussichtlich im Frühherbst neu eröffnen.

Fielmanns Expansionsstrategie baut auf einem soliden Fundament auf. Nach einer Gewinnwarnung im vergangenen Juni, auf die ein massiver Kursabsturz folgte, haben sich die Verkaufszahlen von Brillen, Hörgeräten und Kontaktlinsen stabilisiert. Zum 14. Mal in Folge steigert das Unternehmen die Dividende – auf 1,90 Euro. Ins neue Jahr war Fielmann mit starken Zuwächsen gestartet und verkaufte im ersten Quartal 1,99 Millionen Brillen, ein Plus von 3,4 Prozent. Die Börse reagierte positiv. Die Aktie legte um 2,7 Prozent zu und lag am Nachmittag bei 61,70 Euro. Punkt für den Junior.