Vater Günther hat die Optikerkette groß gemacht, die nun Sohn Marc übernimmt. Das Abendblatt begleitete ihn bei der Arbeit in Italien.
Es ist kurz vor zehn Uhr. Draußen vor der Tür stehen die Menschen Schlange und wollen rein. Drinnen warten sie, dass es endlich losgeht. Die deutsche Optikerkette Fielmann eröffnet eine neue Filiale in Italien. Jetzt sind es nur noch Minuten. Marc Fielmann steht mittendrin, ragt mit seiner hoch aufgeschossenen Gestalt über die Köpfe der Mitarbeiter. Das Mobiltelefon in seiner Jackettasche vibriert. „Alles läuft gut“, sagt er mit gedämpfter Stimme und lächelt. Sein Vater ruft an, vom Landsitz Gut Lütjensee vor den Toren Hamburgs. Mehr als 1200 Kilometer entfernt, und doch ist Günther Fielmann nah. In der Fielmann-Welt ist eine Neueröffnung ein Feiertag. Der Sohn wird später Fotos schicken. Jetzt beendet er das Gespräch schnell.
Dann zählen sie drinnen den Countdown runter. Die Tür öffnet sich, und von draußen drängen die ersten Kunden unter Beifall der Mitarbeiter in den Laden in Alessandria. „Jetzt ist deutsches Organisationstalent gefragt“, sagt Marc Fielmann. Die Stadt in Piemont, eine Autostunde von Mailand entfernt, hat 100.000 Einwohner und ein Zentrum mit historischen Gassen. 1174 hatte Kaiser Friedrich Barbarossa Alessandria sechs Monate lang erfolglos belagert. Erst Jahre später gab es nach langen Verhandlungen Frieden.
Vier weitere Niederlassungen sind in diesem Jahr geplant
Für die Brillenkönige aus Deutschland ist es der 14. Standort jenseits der Alpen. Marc Fielmann ist fast zu jeder Eröffnung angereist. Er ist die maßgebliche Kraft hinter der Expansion in Italien. „Wir werden in diesem Jahr noch vier weitere Niederlassungen aufmachen“, sagt der 29-Jährige. In zwei Wochen ist Ravenna dran, dann Novara, Pordenone und Pavia. Mittelfristig sollen es 40 werden.
Für den Firmenerben, der ein Jahr in dem Land gearbeitet hat und die Sprache fließend beherrscht, zahlt jede Neueröffnung auch auf sein persönliches Erfolgskonto ein. Im April war er, der bisherige Marketingvorstand, neben Gründer Günther Fielmann zum Vorstandschef des MDAX-Konzerns aufgerückt. Sein Start an der Firmenspitze fällt in schwierige Zeiten.
Für den wachstumsgewöhnten Brillenhändler läuft es in diesem Jahr nicht rund. Nach einer Gewinnwarnung war der Börsenkurs Ende Juni eingebrochen, die Aktie des Familienunternehmens hat inzwischen fast 30 Prozent an Wert verloren und pendelt bei 50 Euro. Die Aufgabe des Juniors ist es, die beiden wichtigen Zukunftsthemen Internationalisierung und Digitalisierung voranzubringen.
Modischer Anzug, weißes Hemd, dezente Krawatte und blank geputzte Budapester – anders sieht man Marc Fielmann nie in der Öffentlichkeit. Zehn verschiedene Brillen hat er für den passenden Look. Für jemand, der noch nicht mal 30 Jahre alt ist, ist das ziemlich ungewöhnlich. Genau wie das exakt gescheitelte Haar. Jetzt steht er mitten im Getümmel in der Fielmann-Filiale in Alessandria und berät einen Kunden.
Bürgermeister von Alessandria kommt zum Sehtest
Wer das Namensschild nicht gelesen hat, wird kaum auf die Idee kommen, dass er der Chef eines milliardenschweren Konzerns mit mehr als 18.000 Mitarbeitern ist. Dem Mann im grünen Parka ist das auch ziemlich egal, er will eine Brille kaufen. Vielleicht auch zwei. Als Nächstes bedient er den Besitzer eines Restaurants. Auch der Bürgermeister von Alessandria ist gekommen und wartet auf einen Sehtest.
Das Angebot bei Fielmann ist im Vergleich zu den meist kleinen Optikern in Italien groß. 3000 Brillenfassungen auf 230 Quadratmetern, in den Schubladen sind 2000 weitere Modelle. Als Eröffnungsangebot gibt es eine Korrektionsbrille für 25 Euro, ausgewählte Sonnenbrillen von Marken wie Gucci oder Dolce & Gabbana kosten nur 9,90 Euro. Modelle der hochwertigen Kollektion „Made in Italy“ aus einer Manufaktur sind für 79 Euro zu haben.
Selbst Brillen zu verkaufen gehört für Marc Fielmann dazu. Der Absolvent der London School of Economics hat über Jahre praktische Erfahrungen im eigenen Unternehmen gesammelt. „Der enge Kontakt zu unseren Kunden und Niederlassungen ist eine meiner Kernkompetenzen“, sagt er. „Das ist wichtig für die Arbeit im Vorstand.“
Und wohl auch bei seinem Vater. Günther Fielmann hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt und gilt als jemand, der Entscheidungen am liebsten selbst trifft. Der Erfinder des „Brillenchics zum Nulltarif“ ist jetzt 79 Jahre alt, bis 2020 will er noch im Amt bleiben. Das hat ihm Kritik eingebracht, inzwischen ist der Generationenübergang eingeleitet. In der Firmenzentrale in Barmbek-Süd ist der Seniorchef nur noch selten. In den vergangenen Monaten hat er sich immer weiter aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Einmal in der Woche fährt der Sohn nach der Arbeit statt in seine kleine Wohnung im Grindelviertel auf den väterlichen Hof und übernachtet dort. Dann wird diskutiert, sagt er, auch mal hart. Die Richtlinienkompetenz behält Günther Fielmann sich vor, genau wie Entscheidungen über die Brillenkollektion. „Er hat die Erfahrung und das richtige Bauchgefühl. Wir sind froh, dass wir ihn haben.“
Marc Fielmann fliegt meistens Economy-Class
Nach außen ist der Junior jetzt derjenige, der das Unternehmen repräsentiert und dem die Kunden und Anleger vertrauen sollen. Und auch die Mitarbeiter. Er muss die Werte des Familienunternehmens bewahren, das vom klassischen Filialgeschäft lebt, und zugleich die Erneuerung vorantreiben. „Stillstehen ist gefährlich“, sagt Marc David Günther Fielmann, wie er mit vollem Namen heißt.
Dabei ist er keiner von den Lauten, den Draufgängern. Sondern einer, der ein Millionen-Einkommen hat und trotzdem bodenständig wirkt. Der sich über eine gute Pizza mit Getränk für 9,90 Euro freuen kann. Der meistens Economy-Class fliegt und in Hotels übernachtet, die 70 Euro pro Nacht kosten. Der in seiner Freizeit fotografiert und so oft er kann seine Freundin in London besucht. Seit drei Jahren sind die beiden ein Paar. Mehr will er nicht preisgeben, um sie zu schützen. Marc Fielmann weiß, wie es ist, wenn der eigene Name Verpflichtung und Verantwortung ist.
In der Zeit zwischen Schule und Studium, erzählt er, habe er sich für den möglichen Eintritt in das Familienunternehmen entschieden. „Es war kein Zwang.“ Gerade mal zehn Jahre später ist er Co-Vorstandschef und die Firma ist sein Leben. Auf Knopfdruck hat er die Fielmann-Expansion in Italien auf seinem Laptop parat, den er in seiner abgewetzten Ledertasche immer dabeihat. „Unsere kundenfreundliche Philosophie findet auch in Italien Anklang. Unser Geschäftsmodell passen wir laufend an die regionalen und kulturellen Besonderheiten an“, beschreibt Marc Fielmann seine Strategie in dem neuen Markt.
Wenn er darüber spricht, wird der sonst eher Zurückhaltende zum Vielredner. Er sehe sich als Teamplayer, sagt er, und hebt die Zusammenarbeit mit dem Länderverantwortlichen Ivo Andreatta und Brillendesigner Mario Collavo hervor. Bis zum Jahresende werden 200 Mitarbeiter bei der italienischen Tochter arbeiten. Die Investitionen lohnen sich, da ist er sich sicher. „Die Demokratisierung der Brillenmode ist die historische Leistung meines Vaters. Diese Leistung bringen wir jetzt nach Italien.“ Die ersten Filialen, unter anderem in Bozen, machen Gewinn.
Von nächsten Jahr an gibt es eine Online-Terminvergabe
Auch beim Thema Digitalisierung hält sich der Junior an Fakten statt an Visionen. Die Kritik, der Filialist verschlafe den Online-Markt, ärgert ihn. „Es ist technologisch noch nicht möglich, online Sehstärken zu bestimmen, eine Brille anzupassen und zu zentrieren“, sagt Marc Fielmann. „Versandbrillen aus dem Internet sind ein Zufallsprodukt.“ Schon seit einiger Zeit arbeiten in der von ihm gegründeten Tochter Fielmann Venture 20 Spezialisten an neuen Schlüsseltechnologien. Bereits in wenigen Jahren seien diese marktreif, so der Fielmann-Chef. Dabei setzt er auch auf Kooperationen, unter anderem mit Start-ups.
Gleichzeitig arbeiten Projektteams mit insgesamt 200 Mitarbeitern an der Digitalisierung des Unternehmens. „Fielmann 2020“ hat er das genannt. Anfang nächsten Jahres wird die Online-Terminvergabe möglich sein, um Wartezeiten in den Filialen zu verringern. Über einen Fielmann-Account werden künftig zudem auf Kundenwunsch die eigenen Daten filialunabhängig abrufbar sein. Auch eine virtuelle Brillenanprobe in der Filiale soll möglich werden. „Wir sehen die Zukunft in der intelligenten Verbindung zwischen stationärer Kompetenz und digitalen Services“, sagt Fielmann. Maßstab ist für ihn das Geschäft mit den Kontaktlinsen, das das Unternehmen bereits erfolgreich über eine App steuert.
Wir sind ein Familienunternehmen und denken langfristig
Das alles kostet viel Geld. Aber auch wenn die Börse gerade nervös reagiert, Marc Fielmann setzt klar auf die eingeschlagene Richtung – im Gleichschritt mit dem Vater. Zum aktuellen Aktienkurs sagt er: „Wir sind ein Familienunternehmen und denken langfristig. Wir werden unsere Prognose für 2018 erreichen.“ Und auch die Firmenkontrolleure glauben offensichtlich an das Papier, wie Pflichtmitteilungen zeigen: Aufsichtsrat Hans-Georg Frey investierte, genau wie Aufsichtsratschef Mark Binz. Und auch seine Mutter Heike Fielmann kaufte zu. Eher emotionale Unterstützung gibt es von Schwester Sophie Fielmann. Die 24-Jährige promoviert nach ihrem Masterabschluss in Cambridge in London: in Psychologie.
In Alessandria hat Fielmann am Eröffnungstag 268 Brillen und mehr als 1000 Sonnenbrillen verkauft. Das ist eine richtig gute Zahl. Irgendwann im Laufe des Vormittags war Marc Fielmann mal eine Viertelstunde verschwunden. Er hatte bei den Optikern in der Umgebung vorbeigeschaut. „Da war nicht viel los“, sagt er und grinst. Einen Moment lang sieht er ganz jung aus. Am frühen Nachmittag muss der Fielmann-Chef weiter.
Über Hamburg fliegt er ins Baltikum, um Filialen in Litauen und Lettland zu besuchen. Er hat auch weitere Länder für das Wachstum des Unternehmens im Visier. Neueröffnungen sind in der Schweiz, in Österreich und in Polen geplant. Und dann verrät der Junior als Hinweis auf weitere Expansionsziele in Europa: „Ich lerne gerade eine neue Sprache.“ Welche das ist? Das will er erst sagen, wenn es Fielmann in dem Land gibt.
Und wieder vibriert das Handy.