Hamburg. Budni-Chef Wöhlke, Ex-Senator Horch und andere verlangen demokratische Abstimmung. Vizepräses tritt überraschend zurück.
Auch zwei Tage nach dem Rücktritt von Handelskammer-Präses Tobias Bergmann ist offen, wie es mit der Hamburger Wirtschaftsvertretung weitergeht. Nach Bergmann hat mit Johann Killinger ein weiteres Präsidiumsmitglied seinen Rücktritt erklärt. Zudem gab es auch am Montag Krisengespräche. Ergebnisse sollen aber erst heute bekannt gegeben werden, sagte eine Sprecherin der Kammer. Unterdessen wächst von außen der Druck auf die Wirtschaftsvertretung, einen Neuanfang zu starten. Namhafte Unternehmer fordern sofortige Neuwahlen.
Der Chef der Drogeriemarktkette Budnikowsky, Cord Wöhlke, sagte am Montag dem Abendblatt: „An Neuwahlen führt für mich kein Weg vorbei.“ Das Bild der Handelskammer sei derzeit desaströs. Das könne nicht so bleiben.
„Es gibt genügend gute, engagierte Unternehmer im Hintergrund, die sofort bereit wären, Verantwortung in der Handelskammer zu übernehmen“, sagte der Geschäftsführer des Outdoor-Ausrüsters Globetrotter, Andreas Bartmann. Deshalb seien sofortige Neuwahlen möglich und auch notwendig. Im Bezug auf die Umstrukturierung der Handelskammer, in deren Folge viele hauptamtliche Mitarbeiter bereits gekündigt haben oder gehen mussten, sagte Bartmann, der früher dem Innenausschuss vorstand: „Traurig ist, dass die Kammer schon so viele gute Mitarbeiter verloren hat. Die findet man so schnell nicht wieder.“ Auch Bartmann sieht das öffentliche Bild der Kammer schwer beschädigt.
Klarer Schnitt gefordert
Frank Horch, der ehemalige Kammer-Präses, der bis vor Kurzem als Wirtschaftssenator noch die Rechtsaufsicht über die Kammer wahrnahm, forderte am Montag ebenfalls eine klaren Schnitt. „Die Handelskammer ist ein Scherbenhaufen. Es ist jetzt Zeit für einen Neuanfang. Deshalb sind Neuwahlen nun der richtige Weg. Dann können die Unternehmen entscheiden, wie es mit dieser wichtigen Hamburger Wirtschaftsvertretung weitergehen soll“, sagte Horch dem Abendblatt.
Unterdessen hat mit dem Hamburger Hafenunternehmer Johann Killinger ein weiterer Vizepräses der Kammer sein Amt niedergelegt. Das teilte er am Nachmittag dem verbliebenen Präsidium und der Hauptgeschäftsführung mit. Der Rücktritt fand ohne Begründung statt. Für eine Stellungnahme war er nicht zu erreichen. Killinger hatte sich aber zuletzt mehrfach darüber beschwert, dass in der Kammerführung kaum mehr Sacharbeit stattfinde, sondern vielmehr an einer Demontage Bergmanns gearbeitet worden sei.
Das Rechtsamt der Handelskammer prüft unterdessen, welche Fristen sich für die Wahl der Nachfolger für Bergmann und Killinger oder gar zur Neubesetzung des gesamten Präsidiums ergeben, wenn seine verbliebenen fünf Mitglieder auch noch zurücktreten. Voraussichtlich in der zweiten Januar-Woche 2019 wird dazu das Plenum zu einer Sondersitzung zusammentreten. Entsprechende Kandidaturen müssen laut Satzung noch vor Weihnachten bekannt gegeben werden.
Fehlender Rückhalt
Wie berichtet war Kammer-Präses Tobias Bergmann am Sonnabend zurückgetreten und hatte auch sein Mandat für das Plenum niedergelegt. Grund war der fehlende Rückhalt in seinem Wahlbündnis „Die Kammer sind Wir“, das er bei den Plenumswahlen im Frühjahr 2017 noch zu einem historischen Sieg geführt hatte. 55 von 58 Sitzen gingen damals an Bergmann und seine Gefolgsleute. Zuletzt gab es öffentliche Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen. Auch Teile des Präsidiums rebellierten gegen Bergmann, anstatt ihn zu stützen, woraufhin er entnervt das Handtuch warf.
Der langjährige ehemalige Präses Karl-Joachim Dreyer bezeichnete den Schritt als nachvollziehbar, aber zu spät. „Jetzt wird es darum gehen, eine Persönlichkeit an die Spitze der Handelskammer zu wählen, die die Interessen der Hamburger Wirtschaft glaubhaft, kompetent und überzeugend vertreten kann und sich das Amt nicht durch falsche Wahlversprechen erschleicht.“ Auch Dreyer plädiert dafür, die Hamburger Wirtschaft erneut über die Zusammensetzung des Plenums abstimmen zu lassen: „Nach dem Chaos der letzten Monate halte ich Neuwahlen für die beste Lösung.“
Der Verband der Hamburger Familienunternehmer erwartet nach Bergmanns Rücktritt ein Ende der „Demontage und Zerstörung“ innerhalb der Handelskammer. „Wir brauchen eine Vertretung, die mit einer starken Stimme die hiesige Wirtschaft hinter sich vereint und für sie spricht – nicht gegen sie“, sagte der Verbandsvorsitzende Volker Ernst. Deshalb fordere auch sein Verein sofortige Neuwahlen.
Personalrat reagierte zurückhaltend
Wie berichtet führt derzeit Vizepräses André Mücke Bergmanns Amtsgeschäfte kommissarisch weiter. Mücke ist geschäftsführender Gesellschafter der DSA youngstar GmbH, einer Agentur für Schul-, Jugend- und Bildungsmarketing, die aktuell 14 Mitarbeiter hat. Seit 2015 ist der studierte Betriebswirt zudem Geschäftsführer der Front-Read – Institut für Lesen und Lernen GmbH. Der ehrenamtliche Richter beim Landesarbeitsgericht Hamburg gehört seit 2014 dem Plenum an, und hat sich in der Kammer bisher insbesondere um Ausbildungsthemen gekümmert. Allerdings hatte sich auch Mücke gegen Bergmann gestellt.
Sehr zurückhaltend reagierte der Personalrat der Handelskammer auf das Chaos im Führungsgremium: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Handelskammer nehmen den Rücktritt zur Kenntnis und beobachten die weitere Entwicklung“, sagte Personalratschef Stephan Klatt-Wenderodt. „Die Kollegen sind stets bereit mit dem Ehrenamt vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.“ Doch dazu muss jetzt geklärt werden, wer dieses Amt in Zukunft ausübt.