Berlin. Foodwatch wirft Coca-Cola vor, die Risiken von Limonaden zu verharmlosen. Weniger Werbung und eine Steuer sollen das Problem lösen.

Gluck, gluck, gluck – eine kleine 0,3-Liter-Flasche Cola ist schnell getrunken. Und mit ihr knapp elf Würfel Zucker. In kürzester Zeit zerlegt der Körper den enthaltenen Süßmacher und verlangt bald mehr Nahrung, denn satt macht die Limo nicht. An der Rezeptur der meisten Softdrinks hat sich trotzdem seit Jahrzehnten nichts verändert. Den Verbrauchern schmecke es, argumentieren Hersteller. Und wer auf seine Linie achten möchte, könne zu den zuckerfreien Varianten greifen.

Damit würden sich Limo-Größen wie der Coca-Cola-Konzern ihrer Mitverantwortung an heute weitverbreiteten Krankheiten wie Adipositas und Diabetes entziehen, kritisiert die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Der Weltmarktführer nehme mit seinen Werbekampagnen vor allem Kinder ins Visier und bediene sich ähnlicher Lobbystrategien wie einst die Tabakindustrie, heißt es in einem Bericht, den Foodwatch am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat.

Weniger Internetmarketing und eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke, wie sie Großbritannien in dieser Woche einführt, sollen das Problem lösen. Dort wird ab sofort eine Abgabe fällig, wenn Getränke den Zuckergehalt von fünf Gramm pro 100 Milligramm überschreiten – also etwas weniger als zwei Zuckerwürfel. Sind die Forderungen sinnvoll?

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    Die gesamte Branche lehnt Mitverantwortung ab

    Die Branche möchte nicht als alleiniger Sündenbock gelten. „Zu viel Zucker ist für niemanden gut. Genauso wie zu viel von irgendeinem anderen Inhaltsstoff – wie etwa Fett oder Salz. Übergewicht ist ein komplexes Problem, nur Coca-Cola die Schuld daran zu geben, ist vereinfacht“, sagt Stefanie Effner, Sprecherin von Coca-Cola Deutschland. Aber auch unabhängigen Experten ist der Bericht zu kurz gegriffen.

    „Foodwatch will natürlich maximale Aufmerksamkeit und spitzt seine Aussagen gerne unsachlich zu. Der Anteil zuckergesüßter Getränke an der Gesamtenergieaufnahme liegt in der deutschen Bevölkerung unter zehn Prozent“, sagt Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin, das zur TU München gehört. „Trotz des hohen Marktanteils von Coca-Cola bei Limonaden können die Produkte dieser Firma nicht hauptverantwortlich für das generelle Problem sein.“

    Experte: Verhalten lässt sich mit Steuer beeinflussen

    Doch auch das Ablehnen jeglicher Verantwortung durch die Unternehmen sieht Hauner kritisch. Denn es sei unbestritten, dass Softdrinks zumindest Teil des Pro­blems seien. „Es ist vor allem der zusätzliche Energiegehalt, der sich auf Dauer anhäuft und zum Gewichtsproblem beiträgt. Zucker fördert aber auch Karies, in jedem Lebensalter. Über den schnellen Blutzuckeranstieg wird der Stoffwechsel gestresst, was bei Menschen mit Diabetesveranlagung die Krankheitsentstehung fördert“, erklärt Hauner. Die Einführung einer Steuer wie in Großbritannien sei eine intelligente Regelung.

    „Mit einer relativ hohen Steuer kann man das Verhalten durchaus beeinflussen, das hat bei Alkopops und Zigaretten auch tendenziell funktioniert“, erklärt Tobias Hentze, Steuerexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

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      Zusätzliche Einnahmen in Gesundheit investieren

      Neben Großbritannien haben in Europa unter anderem auch Finnland, Ungarn und Frankreich vergleichbare Regelungen. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO kauften Verbraucher in all diesen Ländern nach Einführung der Steuer weniger Softdrinks. Schon 2015 empfahlen die Experten die Abgabe als sinnvoll – vor allem wenn die zusätzlichen Einnahmen in Gesundheitsmaßnahmen investiert würden. „Hat die Steuer allerdings Erfolg, kann man nicht langfristig mit diesem Geld planen“, gibt Hentze zu bedenken.

      Ob es in den Zuckersteuerländern mittlerweile weniger Fettleibige gibt oder sich die hauptsächlichen Limo-Trinker – Kinder, Jugendliche und einkommensschwache Erwachsene – gesünder ernähren, ist bislang nicht belegt, da entsprechende Langzeituntersuchungen fehlen. Darauf berufen sich Konzerne wie Coca-Cola. So sei etwa der Zuckeranteil in Erfrischungsgetränken insgesamt in Großbritannien über ein Jahrzehnt zurückgegangen, im selben Zeitraum seien die Zahlen für Übergewichtige gestiegen.

      Selbst finanzierte Studien mit zweifelhaften Ergebnissen

      Mit solchen Argumenten verfolgten die Getränkehersteller eine ähnliche Strategie wie früher die Tabaklobby, schreibt Foodwatch in dem Bericht. Etwa indem der Zusammenhang zwischen Limo-Konsum und Gesundheitsschäden angezweifelt werde – auch mithilfe selbst finanzierter Studien.

      „Analysen haben ergeben, dass es starke Unterschiede zwischen gesponserten und unabhängigen Studien gibt“, bestätigt Matthias Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife), „das ist ein Problem, auf das künftig noch stärker geachtet werden muss.“ Es gebe aber ausreichend viele Studien, die zeigten, dass zuckergesüßte Getränke einen Beitrag zur Entstehung von Adipositas und Diabetes Typ 2 leisten könnten.

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        Anreiz für Hersteller, Zuckergehalt zu senken

        Dass der Zuckergehalt in britischen Softdrinks gesunken ist, stimme hingegen, bestätigt Foodwatch. Hersteller wie Nestlé und Coca-Cola und Händler wie Tesco und Lidl hätten seit Ankündigung der Abgabe im März 2016 den Zuckergehalt etlicher Produkte deutlich gesenkt, heißt es in dem Bericht. Vor allem darin sieht die WHO einen Erfolgsfaktor des Steuermodells. Es biete Herstellern einen Anreiz, den Zuckergehalt selbstständig zu reduzieren, statt sich an einen festen Höchstgehalt halten zu müssen.

        Die neue Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), ist von dem Konzept nicht überzeugt. „Es klingt einfach und verlockend, eine zusätzliche Steuer für Fertigprodukte in unserem Land zu erheben. Aber die Praxis tut der Theorie nicht immer den Gefallen“, sagte sie dieser Redaktion, „es mag zwar sein, dass der Zuckergehalt in manchen Produkten sinkt. Das gilt aber nicht automatisch für den Gesamtkaloriengehalt. Im Fokus steht die gesamte Lebens- und Ernährungsweise, nicht einzelne Nährstoffe.“

        Deutschland setzt bisher vor allem auf Selbstverpflichtungen der Industrie. Bis 2020 solle der Zuckergehalt in Limonaden und Co. um zehn Prozent reduziert werden, versprach etwa der Softdrink-Lobbyverband Unesda vor einem Jahr nach Gesprächen mit der Europäischen Kommission. Die Auslegung bei Coca-Cola: „Wir werden zehn Prozent Zucker über das gesamte Produktportfolio reduzieren“, erklärt Sprecherin Stefanie Effner, „die klassische Cola wird so bleiben, wie sie ist, denn die Verbraucher mögen sie so.“

        Werbung oft nicht als solche erkennbar

        Auf Fernseh- und Radiokanälen, die sich vor allem an Kinder unter zwölf Jahren richten, taucht Werbung mit potenziell gesundheitsschädlichen Produkten mittlerweile seltener oder gar nicht mehr auf. Zahlreiche Unternehmen, darunter auch Coca-Cola, haben sich dazu selbst verpflichtet. Im Internet ist die Situation anders.

        „Hier treten die Helden der Kinder, wie beispielsweise Fußballspieler, als Influencer in Erscheinung, zum Beispiel in Youtube-Videos, in Instagram-Beiträgen oder auf anderen Social-Media-Kanälen“, erklärt Iren Schulz, Mediencoach bei der Initiative „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“. „Sie wirken dabei wie die Freunde von nebenan, die einen bestimmten Softdrink lecker finden und ihn immer zum Sport mitnehmen.“ Anders als klassische TV-Spots sei so etwas nur schwer als Werbung zu erkennen – nicht nur für Kinder. Die Grenzen im Internet seien fließend, denn Werbung sei meist in andere Inhalte eingebettet.

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          Kinder früh kritischen Umgang mit Medien vermitteln

          Foodwatch fordert deshalb von Getränkeherstellern, ihr auf Kinder und Jugendliche ausgerichtetes Influencer-Marketing im Internet einzuschränken. Doch allein darauf könne man nicht bauen, ist sich Schulz sicher. „Natürlich sind auch Unternehmen in der Verantwortung und ein gesetzlicher Rahmen, der dem Marketing bestimmte Grenzen setzt, ist sinnvoll“, erklärt die Medienpädagogin, aber vor allem müssten Eltern ihren Kindern frühzeitig einen kompetenten und kritischen Umgang mit digitalen Medien vermitteln.

          Gänzlich von Influencer-Marketing fernhalten könnten sie die Kinder nicht – auch nicht mit werbefreien Medien und Werbeblockern. „Und das wäre auch nicht der beste Weg.“ Denn je älter die Kinder würden, umso mehr bewegten sie sich selbstständig in der mediatisierten Konsumwelt und kämen mit solchen Inhalten in Berührung. „Hier hilft nur Aufklärung von Kindheit an“, sagt Schulz.

          Schulen in der Verantwortung

          „Sie sollten am besten gemeinsam mit ihren Kindern surfen, Inhalte mit ihnen besprechen und erklären, wie zum Beispiel Influencer-Marketing funktioniert.“ Dabei helfe es auch, hinter die Mechanismen der Softdrink-Industrie zu schauen und zu erklären, was passieren kann, wenn man zu viele Softdrinks trinkt. Neben der Familie sieht Schulz die Verantwortung auch bei den Schulen. „Dort müsste das Thema Medienkompetenz noch viel intensiver behandelt werden.“