Hamburg. Kein Zwangsgeld mehr! Mit diesem Versprechen gewann Tobias Bergmann die Wahl in der Handelskammer. Kann er es halten?
Mit zwei gewichtigen Versprechen ist Tobias Bergmann in den Wahlkampf um das Amt des Präses der Handelskammer Hamburg gezogen: Bei einem Wahlsieg seines Bündnisses „Die Kammer sind wir“ werde er die Beitragspflicht für die 160.000 Mitgliedsunternehmen ab 2020 abschaffen. Und er werde dafür sorgen, dass der Hauptgeschäftsführer der Kammer nicht mehr 530.000 Euro im Jahr, sondern nur noch 150.000 Euro verdient.
Neue Schritte ausloten
Die Abberufung des derzeitigen Hauptgeschäftsführers Hans-Jörg Schmidt-Trenz hat Bergmann auf den Weg gebracht. Allerdings ist es höchst fraglich, ob der vorzeitige Abgang tatsächlich die Kosten der Kammer senken wird. Und ob Bergmann sein wichtigstes Versprechen – die Abschaffung der Pflichtbeiträge – erfüllen kann, will er nun durch eine Kommission erst einmal prüfen lassen: Bis zum Ende der Sommerferien sollen Plenumsmitglieder und externe Experten unter der Leitung des Insolvenzverwalters Berthold Brinkmann den finanziellen Spielraum für einen solchen Schritt ausloten.
Wie soll das gehen?
Doch das Ergebnis der Prüfung dürfte schon heute absehbar sein: Wie Recherchen des Abendblatts ergeben, lässt die Finanzlage der Kammer eine deutliche Absenkung der Einnahmen – die zu 80 Prozent aus den Beiträgen bestehen – nicht zu. Dabei sind alle wesentlichen Zahlen zu den Einnahmen, Ausgaben und schon feststehenden Verpflichtungen auch Außenstehenden zugänglich. So hat die Handelskammer ihren Jahresabschluss 2015 ebenso veröffentlicht wie den Wirtschaftsplan 2017, der auch vorläufige Daten für 2016 enthält. Die Daten sprechen eine für Fachleute eindeutige Sprache: „Ich kenne bisher kein Konzept, wie die Kammer ohne Pflichtbeiträge ihre aktuellen Kosten decken will“, sagt etwa Michael Kruse, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion.
Weiter drastisch senken
Schon in diesem Jahr seien die Aufwendungen der Handelskammer laut ihrem eigenen Wirtschaftsplan um fast fünf Millionen Euro höher als die Erträge. „Da stellt sich die Frage, wie es möglich sein soll, die Erträge in den nächsten Jahren durch die Abschaffung der Pflichtbeiträge noch weiter drastisch zu senken“, so Kruse.
Zwar hat es Bergmann gar nicht selbst in der Hand, die Beitragspflicht aufzuheben. Sie ergibt sich aus einem Bundesgesetz. In Paragraf 3, Absatz 3 des „Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern” heißt es dazu wörtlich: „Die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer werden, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Wirtschaftsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht.“ Aus Sicht von Bergmann können die Kosten der Hamburger Kammer aber sehr wohl „anderweitig gedeckt“ werden.
Freiwillige Zahlungen
Der neue Präses denkt dabei vor allem an freiwillige Beitragszahlungen der Mitgliedsfirmen. „Wenn die Kammer gute Arbeit leistet, werden die Unternehmen gerne zahlen“, sagte er dazu in einem Abendblatt-Gespräch. Der FDP-Politiker Kruse, der früher ebenso als Berater in der Wirtschaft tätig war wie Bergmann heute, hat da seine Zweifel: „Das Modell freiwilliger Beiträge stößt bei vielen Unternehmen auf große Skepsis.“ Ganz abgesehen davon, dass sich die Handelskammer damit womöglich in problematische Abhängigkeiten begeben könnte, dürften gerade die größeren, börsennotierten Firmen vor freiwilligen Beitragsleistungen zurückschrecken, weil sie bei Zahlungen ohne Rechtsgrundlage an die Kammer fürchten müssten, juristische Schwierigkeiten mit Anteilseignern zu bekommen – ein Argument, das Bergmann gegenüber dem Abendblatt jedoch als „abenteuerlich“ zurückwies.
Gebühren für Prüfungen
Ein anderer Weg, den Wegfall der Pflichtbeiträge in Höhe von rund 40 Millionen Euro wenigstens teilweise auszugleichen, wäre die Anhebung von Gebühren. Allerdings machen die Gebühren laut Wirtschaftsplan 2017 nur 6,7 Millionen Euro aus. Solche Gebühren nimmt die Kammer vor allem für die Prüfung von Auszubildenden – was nicht gerade ein Wachstumsgeschäft ist: „In der Berufsausbildung gehen die Prüfungszahlen aus demografischen Gründen tendenziell zurück“, heißt es im Jahresabschluss 2015. Außerdem werden die Kosten im Bereich der Berufsausbildung nach Angaben eines Kammer-Sprechers nur zur Hälfte durch Gebühreneinnahmen gedeckt, zur anderen Hälfte aber durch Beiträge.
Dass die Handelskammer bei einer Abschaffung der Pflichtbeiträge zu deutlichen Einsparungen gezwungen sein würde, hat Bergmann stets eingeräumt. Das dürfte aber nicht einfach werden. „Die Ausgaben der Kammer werden durch einen Bestand von Verpflichtungen – wie Personalkosten und Pensionsleistungen – bestimmt, die in ihrer Höhe nur zu kleinen Teilen kurzfristig durch die Kammer selbst beeinflusst werden können“, sagt Kruse. Der größte Einzelposten sind die Personalkosten von knapp 17 Millionen Euro.
Leitartikel: Teure Versprechen
Entlassungen will Bergmann nicht vornehmen, außerdem würden sie die Kosten zunächst kräftig erhöhen. Er muss also darauf setzen, dass in den nächsten Jahren hinreichend viele der rund 280 Beschäftigten freiwillig die Kammer verlassen. „Das wird schwer werden, weil die Menschen bisher gern dort arbeiten“, sagt der Gewerkschaftler Peter Bremme, als Landesfachbereichsleiter bei Ver.di Hamburg zuständig für „Besondere Dienstleistungen“, worunter auch die Handelskammer fällt.
Pensionen unter Schutz
Doch noch stärker als die laufenden Gehälter der Beschäftigten dürften ihre künftigen Betriebsrenten allen kräftigen Einnahmensenkungen entgegenstehen. In der Bilanz 2015 sind Pensionsrückstellungen von nicht weniger als 82 Millionen Euro ausgewiesen. Daran ist im Prinzip nicht zu rütteln, das ist auch Bergmann klar. „Pensionen stehen unter einem hohen Schutz“, sagte er dem Abendblatt. „Solche Verträge muss man halten.“ Doch bei dem zuletzt ausgewiesenen Betrag wird es nicht bleiben. In den nächsten Jahren müsse dieser Posten wegen der Niedrigzinsen voraussichtlich um 30 bis 40 Prozent beziehungsweise um rund 30 Millionen Euro aufgestockt werden, sagte ein Hamburger Bilanzfachmann, der nicht genannt werden will. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus handelsrechtlichen Vorschriften – und selbst wenn die Zinsen 2017 wieder steigen sollten, müssen die Rückstellungen dennoch im genannten Maß aufgestockt werden, weil für ihre Höhe ein Zehnjahresdurchschnitt der Zinsen maßgeblich ist.
Verlässliche Finanzierung
Dieser Sachverhalt ist auch der Handelskammer bekannt, deshalb hat sie noch 2015 eine „Zinsausgleichsrücklage“ von 26 Millionen Euro eingerichtet. Doch dazu wurden andere Reservetöpfe weitgehend geleert, aus denen in der Vergangenheit immer wieder einmal Verluste der Kammer ausgeglichen wurden. Angesichts dieser Finanzlage sei eine Abschaffung der Beitragspflicht „unrealistisch“, so der Bilanzexperte. Denn: „Wenn man eine feste Verpflichtung – wie die Pensionszahlungen – zu erfüllen hat, kommt man gar nicht umhin, planbare Einnahmen zu haben.“
Und was sagt die Aufsicht der Kammer, die Wirtschaftsbehörde, zu der Diskussion um die Pflichtbeiträge? „Sollte die Handelskammer einen Wirtschaftsplan vorlegen, in dem die Pflichtbeiträge als wichtige Einnahmequelle fehlen, dann müsste die Kammer verlässliche alternative Finanzierungsquellen ausweisen“, sagte eine Sprecherin zum Abendblatt. „Ist das nicht der Fall, würden wir als Aufsichtsbehörde der Kammer einschreiten und eine alternative Finanzierung verlangen. Bisher liegen uns aber keinerlei Pläne vor, die eine Abschaffung oder Absenkung der Pflichtbeiträge aufweisen.“
Ob es dazu kommen wird? Beim Blick auf die Zahlen kaum vorstellbar.