Hamburg. Viele Arbeitnehmer fürchten im Vorfeld der Maritimen Konferenz um ihre Zukunft. Bei Blohm + Voss sollen 300 Stellen abgebaut werden.

Heute ist der Tag von Marcel Torznik. Ein bisschen verloren steht er inmitten von rund 800 pfeifenden und johlenden Werft- und Hafenmitarbeitern auf dem Rathausmarkt und demonstriert für seinen Arbeitsplatz als Zerspanungsmechaniker bei Blohm + Voss. Morgen haben die Firmenchefs das Wort. Rund 700 Spitzenmanager der maritimen Wirtschaft werden dann in der Handelskammer zur 10. Nationalen Maritimen Konferenz zusammenkommen. Bei Schnittchen werden sie mit der Bundesregierung über die Lage ihrer Branche sprechen. Aber heute ist der Tag von Torznik. „Es geht um meine berufliche Zukunft“, sagt er.

Gleich nach Schichtende auf der Werft hat sich der 26-Jährige mit rund 300 Kollegen zu Fuß durch den alten Elbtunnel auf den Weg zum Rathausmarkt gemacht, um für den Erhalt seines Arbeitsplatzes zu demonstrieren. Seit Wochen verhandelt das Management von Blohm + Voss mit Betriebsrat und Gewerkschaft über den Abbau von Arbeitsplätzen, bei der Traditionswerft. Und die Gespräche sind festgefahren. 300 von noch 980 Stellen will der Eigentümer von Blohm + Voss, die Bremer Lürssen Gruppe, abbauen.

Sozialplan auf Kosten vom Urlaubsgeld

Noch immer gibt es aber keine Einigung, wie dieser Plan für die Betroffenen sozial verträglich gestaltet werden kann. Lürssen möchte die Kosten für einen Sozialplan durch Einsparungen beim Urlaubsgeld und beim Lohn bei den verbliebenen Mitarbeitern kompensieren. „Es kann nicht sein, dass ausschließlich die Beschäftigten von Blohm + Voss für die Managementfehler der Vergangenheit aufkommen sollen. Lürssen hat diese Werft gekauft, also soll Lürssen sich auch finanziell daran beteiligen“, sagt Emanuel Glass von der IG Metall Hamburg. Lürssen müsse die finanziellen Mittel für notwendige Investitionen zur Verfügung stellen, um die Zukunft der Werft zu sichern, sagt der Betriebsratsvorsitzende Murat Acerüzümoglu. „Eigentum verpflichtet.“

Hinter dem Alten Elbtunnel stockt der Protestmarsch etwas. Mittendrin ist Torznik. Trotzig hält er sein Schild hoch. „300 weg oder 300 bleiben?“, steht darauf. „Lürssen hat doch Geld. Denen geht es gut, also warum lassen uns die Eigentümer so hängen“, fragt er. Die Ungewissheit sei am schlimmsten. Jeden Morgen wache er auf und versuche sich erneut zu motivieren. „Und dann wird man wieder runtergedrückt.“ Die Stimmung in der Belegschaft sei schlecht.

Inzwischen hat der Protestzug der Werftarbeiter von Blohm + Voss den Rathausmarkt erreicht. Dort werden sie von Arbeitnehmern anderer Betriebe bereits erwartet. Sie kommen von überall her. Werftarbeiter aus Papenburg von der Meyer Werft, von den MV Werften aus Rostock, Wismar und Stralsund. Aus Emden sind Vertreter da, aus Flensburg. Sogar von den Terminalbetreibern HHLA und Eurogate sind Abordnungen gekommen. Auch Delegationen von Arbeitnehmervertretern der Häfen Antwerpen und Rotterdam stehen auf dem Rathausmarkt. Hinzu kommen 30 Vertreter der Reederei Hamburg Süd.

Digitalisierung bereitet Angestellten Sorgen

In der maritimen Branche ist viel Unruhe. Nicht nur bei Blohm + Voss geht die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes um. Eines der Schwerpunktthemen auf der maritimen Konferenz bereitet allen Sorgen: Die Digitalisierung, die die gesamte Logistikkette in der maritimen Industrie beschleunigen soll. Digitalisierung bedeutet Automatisierung, und wo Arbeitsschritte automatisiert werden, fallen Arbeitsplätze weg, befürchten die Demonstranten. „Digitalisierung ist nicht nur eine technische Frage. Auf der Konferenz muss es auch um die Menschen, also um Per­spektiven für die Beschäftigten in einer zunehmend digitalisierten Branche gehen“, ruft Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste.

„Wir erwarten von der Bundesregierung einen Kurswechsel in der maritimen Wirtschaft. Die Beschäftigten müssen im Mittelpunkt der Digitalisierung stehen“, ergänzt Torben Seebold, Bundesfachgruppenleiter Maritime Wirtschaft bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Jahrelang seien die Wünsche der Arbeitnehmervertreter bei der Maritimen Konferenz zu kurz gekommen, sagt Thomas Mendrzik, Betriebsratschef des HHLA-Containerterminals Altenwerder. „Diesmal lassen wir uns nicht abspeisen“, verspricht er der Menge.

Am Montagabend lädt Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) die Teilnehmer der 10. Nationalen Maritimen Konferenz zu einem Senatsempfang mitten im Hafen im Schuppen 52 ein. In seiner Rede hebt Scholz den Fortschritt der Digitalisierung im Hamburger Hafen hervor. „Wir zeigen im Hamburger Hafen jedem gerne, welche Vorteile die intelligente Nutzung von Daten hat“, sagt der Bürgermeister, bevor er zum Urteil des Bundesverwaltunsgerichts in Leipzig zur Elbvertiefung kommt: „Es ist ein klares Urteil, das unsere Position in vielen und den entscheidenden Punkten bestätigt hat“, sagt er. „Es ist unwiderruflich: die Fahrrinnenanpassung kommt.“ Der junge Torznik hört das nicht mehr. Er ist längst zu Hause und ruht sich aus. Am nächsten Morgen um 7.00 Uhr muss er wieder auf der Werft an seinem Frästisch stehen, und Teile für eine Yacht herstellen. Wer weiß, wie lange er das noch darf.