Hamburg. Bahn, Kitas, Post, demnächst Piloten und Fluglotsen, Sicherheitsleute streiken, es fehlt an Bargeld. Notizen aus der Streik-Republik.

Erst die Lokführer der GDL mit ihrem Mega-Streik, aktuell die Kita-Mitarbeiter, demnächst wieder die Post-Angestellten und im Hintergrund lauern die Piloten auf den nächsten Ausstand: Deutschland ist auf dem besten Wege, von einem Land des gepflegten Miteinanders zur Streik-Republik zu werden. Schlimmer als in den Hoch-Zeiten der Streiks im öffentlichen Dienst von Müllwerkern und sonstigen städtischen Bediensteten droht in den kommenden Wochen der partielle Stillstand der Republik.

Und gerade im Verkehr kann es noch dicker kommen. Die Piloten hatten aus Pietät wegen des Germanwings-Unglücks auf eine rabiate Fortführung ihrer Tarifstreitereien verzichtet. Die Schamfrist läuft so langsam aus. Und nun wollen auch noch – europaweit – die Fluglotsen die Arbeit niederlegen.

Die Fluglotsen drohen angesichts der Sparpläne der EU-Kommission für Juni mit Streiks. Gewerkschaften aus mehreren europäischen Ländern sowie der Dachverband ATCEUC werden am 18. Mai in Brüssel zusammentreffen, wie die deutsche Fluglotsengewerkschaft GdF mitteilte. Dann solle beraten werden, ob angesichts der Situation „nationale oder international koordinierte Maßnahmen nötig“ seien.

Hintergrund der Ankündigung sind Vorgaben aus Brüssel: Die EU-Kommission hat einen einheitlichen europäischen Luftraum auf den Weg gebracht, um die Luftfahrt nach Verkehrsströmen und nicht nach Landesgrenzen auszurichten. Ziel ist neben einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen auch ein besseres Flugverkehrsmanagement – dazu zählen Sicherheitsstandards, aber auch Kostensenkungen.

Arbeitnehmervertreter wie die GdF werfen der Kommission vor, sie fordere stetige Gebührensenkungen, die den Airlines zugutekämen. Deshalb wollten die Fluglotsen bereits im Herbst 2013 die Arbeit niederlegen. Der Arbeitskampf wurde seinerzeit aber kurzfristig abgesagt.

Bei der Deutschen Post kann es schon ab Dienstag zu neuen Streiks kommen. Die Tarifkommission von Ver.di habe das Angebot der Post in der vierten Verhandlungsrunde als „Mogelpackung“ abgelehnt, teilte die Gewerkschaft mit. Es gebe keine Antwort auf die Gewerkschaftsforderung nach Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Daher seien „zeitlich befristete Arbeitsniederlegungen“ ab Dienstag möglich. Wo und wann genau gestreikt wird, will die Gewerkschaft kurzfristig bekannt geben.

Endlich ist der Lokführerstreik vorbei!

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    Ver.di kämpft gegen die Bildung von 49 Regionalgesellschaften, in denen die Mitarbeiter nach den niedrigeren Tarifregelungen der Speditions- und Logistikbranche bezahlt werden sollen. Außerdem fordert Verdi im Zuge regulärer Lohntarifverhandlungen 5,5 Prozent mehr Gehalt für die rund 140.000 Tarifbeschäftigten.

    Während des Lokführerstreiks in der vergangenen Woche ist bei der Deutschen Bahn nach eigener Einschätzung gut jeder zweite geplante Zug gefahren. Verhältnismäßig viele Verbindungen fielen im Fernverkehr aus, wie ein Bahnsprecher am Montag in Berlin sagte.

    Auf den Langstrecken verkehrte täglich nur ein Drittel der sonst rund 800 Züge. Genau umgekehrt war das Verhältnis im Güterverkehr: Von täglich 3600 Güterzügen sei etwa ein Drittel nicht gefahren.

    Ein differenziertes Bild ergab sich bei den Regionalverkehren inklusive der S-Bahn-Netze mit 23.500 täglichen Fahrten bei einem normalen Fahrplan. Je nach Region seien zwischen 15 und 60 Prozent der Verbindungen bedient worden, sagte der Sprecher.

    Im verkehrsreicheren Westen hätten deutlich mehr Fahrten stattgefunden, weil es dort noch mehr verbeamtete Lokführer gibt, die nicht streiken dürfen. Unter dem Strich dürfte nach Bahn-Schätzung etwa die Hälfte der regionalen Züge gefahren sein. Am stärksten sei der Streik der Lokführergewerkschaft GDL im S-Bahn-Netz Berlins zu spüren gewesen.

    Vor der elften Runde der Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn am Dienstag hat die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Nachbesserungen gefordert. 4,7 Prozent mehr bei einer Laufzeit von 29 Monaten seien „nicht akzeptabel“, ein Mindestbetrag von 75 Euro pro Monat „viel zu niedrig“. Die EVG fordert sechs Prozent mehr, mindestens aber 150 Euro. Zudem will sie den Tarifvertrag für einen kürzeren Zeitraum abschließen.

    Die Deutsche Bahn verhandelt parallel mit der EVG und der konkurrierenden Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), weil die beiden Gewerkschaften sich nicht auf Spielregeln für ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. EVG und GDL wollen jeweils eigene Tarifabschlüsse für alle ihre Mitglieder erreichen, die Bahn will aber unterschiedliche Ergebnisse für ein und dieselbe Berufsgruppe verhindern.

    Die EVG drängt auf einen Abschluss bis zum 1. Juni. Bis dahin gibt es noch zwei Verhandlungstermine; den 12. und den 21. Mai.

    Kita-Mitarbeiter streiken im Norden

    Drei Frauen halten in Hamburg auf einer Demonstration am ersten Streiktag der Hamburger Kitamitarbeiter jeweils ein Schild mit der Aufschrift „Wir sind es wert „. Die Gewerkschaften haben nach Scheitern der Tarifverhandlungen zu unbefristeten Streiks in Kindergärten aufgerufen.
    Drei Frauen halten in Hamburg auf einer Demonstration am ersten Streiktag der Hamburger Kitamitarbeiter jeweils ein Schild mit der Aufschrift „Wir sind es wert „. Die Gewerkschaften haben nach Scheitern der Tarifverhandlungen zu unbefristeten Streiks in Kindergärten aufgerufen. © dpa | Markus Scholz
    Ein Gewerkschaftsfunktionär trägt am ersten Tag des Erzieherstreiks auf einer Kundgebung vom Lautsprechgerwagen herab eine Liste der geschlossenen, bzw. im Notprogramm arbeitenden Kitas vor
    Ein Gewerkschaftsfunktionär trägt am ersten Tag des Erzieherstreiks auf einer Kundgebung vom Lautsprechgerwagen herab eine Liste der geschlossenen, bzw. im Notprogramm arbeitenden Kitas vor © dpa | Markus Scholz
    Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hamburger Kitas demonstrieren
    Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hamburger Kitas demonstrieren © dpa | Markus Scholz
    Viele Kitas blieben am Freitag in Hamburg geschlossen
    Viele Kitas blieben am Freitag in Hamburg geschlossen © dpa | Markus Scholz
    Eine Kitamitarbeiterin trägt ein Schild mit der Aufschrift „Streik“ am Kindertragestell auf ihrem Rücken
    Eine Kitamitarbeiterin trägt ein Schild mit der Aufschrift „Streik“ am Kindertragestell auf ihrem Rücken © dpa | Markus Scholz
    Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift „Wir erziehen die Zukunft der Gesellschaft.Wir sind mehr wert“ hoch
    Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift „Wir erziehen die Zukunft der Gesellschaft.Wir sind mehr wert“ hoch © dpa | Markus Scholz
    Die Streikenden zogen von der Zentrale der Elbkinder-Kitas durch die Stadt zum Schanzenpark
    Die Streikenden zogen von der Zentrale der Elbkinder-Kitas durch die Stadt zum Schanzenpark © dpa | Markus Scholz
    Streikende Mitarbeiter von Kindertagesstätten stehen vor dem Rathaus in Kiel und halten ein Transparent mit der Aufschrift „Wir sind es wert“
    Streikende Mitarbeiter von Kindertagesstätten stehen vor dem Rathaus in Kiel und halten ein Transparent mit der Aufschrift „Wir sind es wert“ © dpa | Carsten Rehder
    Viele Kitas in Schleswig-Holstein sind am Freitag geschlossen geblieben
    Viele Kitas in Schleswig-Holstein sind am Freitag geschlossen geblieben © dpa | Carsten Rehder
    Die Erzieherinnen beteiligten sich an unbefristeten Streiks
    Die Erzieherinnen beteiligten sich an unbefristeten Streiks © dpa | Carsten Rehder
    Streikende Mitarbeiter von Kindertagesstätten vor dem Rathaus in Kiel
    Streikende Mitarbeiter von Kindertagesstätten vor dem Rathaus in Kiel © dpa | Carsten Rehder
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    Unterdessen gibt es einen Lösungsversuch nach zwei Streikwochen beim Geldtransport-Unternehmen Prosegur in Potsdam. Vertreter des Unternehmens und der Gewerkschaft Ver.di trafen zu einem Gespräch zusammen, wie eine Prosegur-Sprecherin am Montag sagte. Die betroffenen Banken mühen sich unterdessen weiter darum, die Bargeld-Versorgung in Berlin und Brandenburg zu sichern. An einem Teil der Automaten können Kunden nicht mehr abheben; stellenweise gab es in den vergangenen Tagen auch am Schalter kein Bares mehr. In dem Tarifkonflikt geht es um höhere Einkommen für die 350 Beschäftigten des Betriebs. (HA/rtr/dpa)