Zuletzt häuften sich die negativen Schlagzeilen, etwa wegen Pannen in Atomkraftwerken. Nun soll Øystein Løseth das Image aufpolieren.

Berlin/Hamburg. Der Neue ist abgetaucht. In den vergangenen Wochen war wenig zu sehen vom designierten Chef des schwedischen Energieriesen Vattenfall. Keine Interviews, keine öffentlichen Auftritte. Kein Wort zur Zukunft des Stromkonzerns, keine Kommentare zu Sparplänen in Deutschland. Nichts.

Wenn es etwas aus der Konzernzentrale in Stockholm zu hören gibt, dann vom scheidenden Vorstandschef Lars Josefsson, der im Herbst vergangenen Jahres von der schwedischen Regierung sein Kündigungsschreiben erhalten hatte. Doch die Ära Josefsson endet nun: Am kommenden Montag übernimmt der Norweger Øystein Løseth die Führung des Unternehmens, das durch Pannen in Atomkraftwerken auch in Deutschland ins Gerede gekommen war.

"Er ist ein bisschen vorsichtig", sagt Konzernsprecherin Maria Parent über ihren künftigen Chief Executive Officer. Dies mag dem ruhigen und zurückhaltenden Wesen Løseths geschuldet sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich der neue Chef des staatseigenen Unternehmens ganz bewusst bedeckt hält.

Denn der neue Mann an der Spitze Vattenfalls kann derzeit viel falsch und nur wenig richtig machen. Das Unternehmen, dessen Tochter Vattenfall Europe der drittgrößte deutsche Stromanbieter ist und zu den Marktführern in Europa gehört, steckt in der Krise, und das nicht erst seit gestern. Seit dem Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark im Sommer 2006 sind zahlreiche weitere Pannen an deutschen und schwedischen Atomkraftwerken aufgetreten. Eine ungeschickte Kommunikationspolitik, die die Ängste der Bevölkerung nicht ernst nahm, brachte den Konzern zusätzlich in Misskredit. Nach dem jüngsten Vorfall im Atomkraftwerk Krümmel im vergangenen Jahr zogen Landes- und Bundespolitiker die Zuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall in Zweifel.

Und es gibt weitere Baustellen, die Josefsson seinem Nachfolger hinterlässt: Das schlechte Verhältnis zum schwedischen Staat als 100-prozentigen Anteilseigner ist eine davon. Die Regierung in Stockholm stört es schon lange, dass Vattenfall ihrer Meinung nach zu sehr auf konventionelle Brennstoffe setzt, den Bereich der alternativen Energien vernachlässigt und damit jenes umweltfreundliche Image konterkariert, in dem sich Schweden sonst so gerne sonnt.

Seit den turbulenten Herbstmonaten, als Schwedens Wirtschaftsministerin Maud Olofsson gemeinsam mit ihrem verlängerten Arm im Unternehmen, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Lars Westerberg, die Notbremse zog und Josefsson in den Ruhestand schickte, ist es zwar etwas ruhiger um Vattenfall geworden. Doch die Probleme sind geblieben.

Vor allem in Deutschland. Dort sieht sich der Konzern als Betreiber der beiden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel schon seit längerem scharfer Kritik ausgesetzt, weil es in den vergangenen Jahren zu einer ganzen Pannenserie gekommen war. Die beiden Meiler waren in dieser Zeit kaum am Netz, kosteten das Unternehmen viel Geld. In einem aktuellen Bericht des Untersuchungsausschusses des schwedischen Reichstags, der auf Drängen der Grünen zustande gekommen war, ist immerhin von 155 Millionen Euro Verlust in den Jahren 2002 bis 2009 die Rede.

Das vom Vattenfall Europe-Chef Tuomo Hatakka Anfang März angekündigte Sparprogramm "Move" bringt zusätzliche Unruhe ins Deutschlandgeschäft. "Wir haben ein Sparpotenzial in Höhe von 180 Millionen Euro ausgemacht", sagte Hatakka. Vor allem an den Personalkosten soll geschraubt, bis zu 1500 Stellen an den Standorten Hamburg, Berlin und Cottbus gestrichen werden. Einzelne Protestaktionen von Mitarbeitern hat es bereits gegeben. "Sollte sich der Druck erhöhen, müsste man auch den Streik als letztes Mittel in Erwägung ziehen", sagt Rainer Kruppa, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Vattenfall Europe AG. Die Lage sei derzeit diffus. Niemand wisse genau, was in den kommenden Wochen passieren werde. Da Vattenfall einen größeren Teil des Sparprogramms über Altersteilzeitregelungen umsetzen will, ist nach Einschätzung Kruppas jedoch davon auszugehen, dass der Prozess eher "schleichend" vonstatten gehen wird. Damit könnte er Recht haben. Denn aus Unternehmenskreisen ist zu hören, dass sich der Abbau der 1500 von insgesamt 21 000 Arbeitsplätzen in Deutschland immerhin bis 2018 hinziehen soll. Damit könnte das Ziel vollständig über Altersteilzeit und die natürliche Fluktuation erreicht werden.

In der schwedischen Presse wurde dem alten Vorstandsvorsitzenden Lars Josefsson gelegentlich vorgeworfen, den Problemen des Konzerns in Deutschland zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Unter dem neuen Chef Øystein Løseth soll sich das definitiv ändern. Seit 26 Jahren ist der gelernte Ingenieur und Ökonom in der Energiebranche tätig, zuletzt stand er an der Spitze der niederländischen Vattenfall-Tochter Nuon, an der das schwedische Unternehmen 49 Prozent der Anteile hält. Løseth hat weit mehr operative Managementerfahrung im Ausland gesammelt als Josefsson - auch wenn jener das Unternehmen durch Zukäufe in Deutschland, Polen und den Niederlanden erst groß gemacht hatte.

Zunächst wird sich Løseth jedoch erst einmal um die Baustellen im Kernland Schweden kümmern müssen. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Konzern liegt am Boden, und mit der schwedischen Regierung in Stockholm befindet man sich in einer Art Dauerclinch. Wie aus der Unternehmenszentrale in Stockholm zu hören ist, wird sich der neue Chef in seinen ersten Amtswochen um das Image von Vattenfall kümmern. Gespräche mit Mitarbeitern, aber vor allem mit den schwedischen Medien stehen auf dem Programm.

Und dann ist da noch die Zusammenarbeit mit Maud Olofsson. Das Verhältnis zwischen der Wirtschaftsministerin und Løseths Vorgänger Josefsson galt am Ende als zerrüttet. Nach gegenseitigen Schuldzuweisungen hatten sich die beiden nicht mehr viel zu sagen. Dabei war auch Olofsson zuletzt in die Kritik geraten. Zu zögerlich sei ihr Krisenmanagement gewesen, zu spärlich der Informationsaustausch zwischen Konzernspitze und Ministerium.

Die von Olofsson schon im Sommer vergangenen Jahres angekündigte neue Eignerdirektive, liegt derzeit dem schwedischen Parlament vor. Ihr Inhalt: Vattenfall soll einer der führenden Produzenten erneuerbarer Energien in Europa werden. Ein maßvoller Wunsch des staatlichen Eigentümers - hieß es doch früher, Vattenfall solle bitteschön sogar die absolute Nummer eins auf diesem Gebiet werden. Die Kritik ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Vor allem den Grünen in der Opposition geht das Papier nicht weit genug. Die Regierung müsse ihren Griff um den Staatskonzern endlich festigen und ihre Ambitionen nach oben schrauben und Vattenfall zum umweltfreundlichsten Energiekonzern Europas machen.

Selbst der Aufsichtsratsvorsitzende von Vattenfall, Lars Westerberg, sagt, dass sich die neue Direktive von der alten kaum unterscheide. Die Sozialdemokraten sind anderer Meinung und sprechen von einer Abschwächung der umweltpolitischen Ziele Vattenfalls.

Die Angst der Kritiker speist sich auch aus der Tatsache, dass die Investitionen des Konzerns in umweltfreundliche Technologien eher gesunken als gestiegen sind. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Laut dem im Februar veröffentlichten Plan für die Jahre 2010 bis 2014 steigen die Investitionen in Naturgas und Kohle verglichen mit dem Zeitraum 2009 bis 2013 um 72 Prozent auf 10,3 Milliarden Euro. Für Windkraft will man jedoch die Hälfte weniger als bisher, nämlich nur noch gut zwei Milliarden Euro ausgeben. Eine Entwicklung, mit der die Regierung nicht einverstanden ist. "Der Investitionsplan muss in die entgegengesetzte Richtung gehen", sagte Ole Alterå, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, der Zeitung Dagens Nyheter.

Für die schwedische Regierung ist es nun wichtig, der Bevölkerung zu zeigen, dass sie die Macht über Vattenfall nicht aus der Hand gegeben hat. Zwar befindet sich die bürgerliche Regierung auf Privatisierungskurs, doch der Energieriese steht nicht auf der Verkaufsliste. Sie will Vattenfall behalten, nicht zuletzt, weil die Dividendenzahlungen an die Staatskasse eine solide Einnahmequelle sind und der Großkonzern als Investor genutzt werden kann, der Geld in strukturschwache Regionen pumpt. Jedoch ist es schwierig, politischen Einfluss auszuüben, solange Vattenfall wie ein börsennotiertes Unternehmen geführt wird.

Für die schwedische Regierung war Josefsson der Mann für die Expansion des Unternehmens - und für die großen politischen Rahmenbedingungen. So wurde es in Stockholm zum Beispiel gern gesehen, dass Josefsson sogar zum klimapolitischen Berater der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ernannt wurde. Løseth nun wurde von der schwedischen Regierung eine andere Aufgabe mitgegeben: Er soll sich stärker ins operative Geschäft einmischen, Kosten reduzieren und konsolidieren. Zu seinen ersten Aufgaben gehört es deshalb, zahlreiche Beteiligungen in Deutschland zu verkaufen. Auf der Liste der geplanten Desinvestments stehen Anteile des Berliner Gasversorgers Gasag und einige weitere Stadtwerke-Beteiligungen. Ziel: Die Bonitäts-Einstufung der Rating-Agenturen zu erhalten und wenn möglich zu verbessern, um später einmal, nach der Wirtschaftskrise, wieder Wachstum günstig finanzieren zu können.

Die Zusammenarbeit mit der Politik sollte dem neuen Vorstandsvorsitzenden Løseth leichter fallen. Zugute kommt ihm, dass er es als ehemaliger Chef des norwegischen Staatsunternehmens Statkraft versteht, sich möglichst geräuschlos im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Politik zu bewegen. Der Norweger gilt als umgänglich. Ehemalige Kollegen bei Nuon loben seinen kommunikativen Führungsstil. Løseth sei "ziemlich bescheiden", heißt es.

Allerdings gibt es auch Zweifel, ob jemand, der seine Karriere 1983 bei der norwegischen Erdöl-Gesellschaft Statoil begann und als Befürworter der Atomenergie gilt, die bei Vattenfall angestrebte ökologische Strategiewende vorantreiben kann. Sein ehemaliger Auftraggeber Nuon ist stark in klimaschädlicher Kohlekraft engagiert. Ist Løseths Profil also grün genug, um auf Vattenfall abfärben zu können? Als der Neue im November vergangenen Jahres der Öffentlichkeit präsentiert wurde, versuchte er diese Frage gleich selbst zu beantworten. "Wir haben begriffen, dass wir auf dem Gebiet der alternativen Energien führend sein müssen."

Quelle: Welt Online