Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat gegen den Schlecker-Gründer und 13 weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Stuttgart. Razzia bei Schlecker: Die Staatsanwaltschaft nimmt den Gründer der zusammengebrochenen Drogeriemarktkette Anton Schlecker und seine Kinder ins Visier. Die Strafverfolger durchsuchten am Mittwoch bundesweit 18 Wohnungen und vier Geschäftsräume in mehreren Bundesländern, wie die Behörde in Stuttgart mitteilte. Die Ermittlungen richteten sich gegen 14 Beschuldigte, bei denen der Verdacht der Untreue, des Bankrotts, und der Insolvenzverschleppung bestehe. Die Wohn- und Geschäftsräume in Baden-Württemberg, Berlin, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen seien von 160 Ermittlern und neun Staatsanwälte durchkämmt worden. Dabei wurden Unterlagen beschlagnahmt.
Durchsucht wurden den Angaben zufolge die Schlecker-Zentrale und zwei Büros im schwäbischen Ehingen sowie die Firmenzentrale der ebenfalls insolventen Tochter IhrPlatz in Osnabrück. „Wir hatten genügend Anhaltspunkte für die Durchsuchungen“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die Behörde habe nach dem Anfang des Jahres gestellten Insolvenzantrag routinemäßig Vorermittlungen aufgenommen, dabei habe sich der Tatverdacht erhärtet. Ermittelt werde gegen „Verantwortliche“, dazu gehörten auch Mitarbeiter des Unternehmens. Die Namen der Beschuldigten wollte die Behörde nicht preisgeben.
Es habe „seit langem und immer wieder„ Vermögensverschiebungen gegeben, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Dadurch seien die Gläubiger des Unternehmens möglicherweise geschädigt worden. Neben Grundstücken seien den bisherigen Ermittlungen zufolge auch andere Wertgegenstände transferiert und damit der Insolvenzmasse möglicherweise entzogen worden. Bankrott und Untreue können mit mehrjährigen Freiheitsstrafen geahndet werden.
Beim Insolvenzverwalter war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Der lange Niedergang von Schlecker
Schlecker war einst nach Anzahl der Filialen und Umsatz die größte Drogeriekette Deutschlands. In den vergangenen Jahren geriet das Unternehmen in immer größere Bedrängnis. Im Januar meldete die Firma mit Sitz in Ehingen Unternehmen Insolvenz an. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen unter anderem wegen des Verdachts auf Untreue und Insolvenzverschleppung aufgenommen. Eine Dokumentation die Entwicklung bei Schlecker seit Ende 2010.
19. November 2010: Schlecker kündigt Investitionen von 230 Millionen Euro in das Filialnetz an sowie ein „Fit for future“-Programm, mit dem die Märkte freundlicher und einheitlicher gestaltet werden sollen. Damit will das Unternehmen den Umsatzrückgang der vergangenen Jahre stoppen.
12. Juni 2011: Lars Schlecker, der seit 2010 mit seiner Schwester Meike mehr Verantwortung im Unternehmen übernommen hat, kündigt an, dass Schlecker an die zehn Prozent seiner mehr als 8.000 Filialen in Deutschland schließen werde.
19. Dezember 2011: Berichte über finanzielle Schwierigkeiten häufen sich. Die Gewerkschaft ver.di teilt mit, dass Schlecker die Mitarbeiter um einen Beitrag zur Sanierung gebeten habe.
20. Januar 2012: Schlecker kündigt an, sich über ein Insolvenzverfahren sanieren zu wollen.
23. Januar 2012: Schlecker meldet Insolvenz beim Amtsgericht Ulm an. Betroffen sind 5.400 Märkte mit etwa 25.000 Mitarbeitern. Die Auslandsgesellschaften und die Tochter Ihr Platz sind davon zunächst ausgenommen.
26. Januar 2012: Auch Ihr Platz stellt Insolvenzantrag. Betroffen sind rund 670 Filialen und etwa 5.800 Mitarbeiter.
30. Januar 2012: Schlecker gibt die erste Pressekonferenz seit über 20 Jahren. Der vorläufige Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz tritt erstmals öffentlich auf.
29. Februar 2012: Geiwitz kündigt härtere Einschnitte an als zunächst gedacht. Er will 2.400 Filialen schließen und 11.750 Mitarbeiter entlassen.
2. März 2012: Auch für die Mitarbeiter von Ihr Platz wird es bitter: 142 Märkte sollen schließen, 908 Stellen wegfallen.
8. März 2012: Geiwitz will einem Zeitungsbericht zufolge bei der staatlichen Förderbank KfW ein Darlehen für die Drogeriekette beantragen.
11. März 2012: Das Bundeswirtschaftsministerium lässt das Darlehen platzen. Schlecker erfülle nicht die Kriterien für einen Kredit der Förderbank, sagt ein Ministeriumssprecher.
17. März 2012: Geiwitz einigt sich mit der Gewerkschaft ver.di auf einen geringeren Stellenabbau als geplant: Demnach sollen 11.200 Mitarbeiter gehen und 2.200 Filialen geschlossen werden.
28. März 2012: Das Amtsgericht Ulm eröffnet offiziell das Insolvenzverfahren.
29. März 2012: Die Finanzierung von Transfergesellschaften, in denen die entlassenen Frauen aufgefangen und weitergebildet werden sollen, ist endgültig vom Tisch. Eine Bürgschaft der Länder für einen 70-Millionen-Euro-Kredit zu deren Gründung scheitert. Geiwitz verschickt kurz darauf die Kündigungsschreiben.
10. April 2012: Zu diesem Zeitpunkt liegen nach Angaben des Insolvenzverwalters sechs Angebote von Investoren vor.
12. April 2012: Die Drogeriemarktkette Rossmann hat nach eigener Angabe von der Pleite des Konkurrenten Schlecker profitiert. Nach der Schlecker-Insolvenz und der folgenden Schließung von über 2.000 Filialen nehme Rossmann mit einem Marktanteil von über 27 Prozent nun den zweiten Platz unter den deutschen Drogeriemarktunternehmen ein, teilte das Unternehmen mit. Branchenprimus bleibt dm.
10. Mai 2012: Die „Wirtschaftswoche“ berichtet, dass Ihr Platz einzeln an den Münchener Investor Dubag verkauft wird. Der Ihr-Platz-Insolvenzverwalter Werner Schneider dementiert: Es werde weiterhin ein Paketverkauf – Schlecker und Ihr Platz gemeinsam - angestrebt.
24. Mai 2012: Medien berichten, dass auch Nicolas Berggruen Interesse an Schlecker hat. Der deutsch-amerikanische Milliardär hatte bereits Karstadt aus der Insolvenz übernommen. Ein Sprecher bestätigt einen Tag später Gespräche mit dem Insolvenzverwalter.
25. Mai 2012: Geiwitz stellt den Investoren nach einer Sitzung des Gläubigerausschusses ein Ultimatum. Sie sollen innerhalb einer Woche ein für die Gläubiger akzeptables Angebot einreichen. Ansonsten müsse der Betrieb von Schlecker eingestellt werden. Zu dem Zeitpunkt seien noch zwei Interessenten im Rennen.
1. Juni 2012: Der Gläubigerausschuss beschließt in Berlin die Zerschlagung des Konzerns. Über das Schicksal der Schlecker-Töchter Schlecker XL und Ihr Platz sei noch nicht entschieden, heißt es.
8. Juni 2012: Die bereits sicher geglaubte Übernahme der bundesweit rund 800 Ihr-Platz-Filialen und Schlecker-XL-Märkt durch den Finanzinvestor Dubag scheitert am Veto des Warenversicherers Euler Hermes.
11. Juni 2012: Marktführer dm bekundet sein Interesse an Schlecker- oder Ihr-Platz-Filialen in lukrativer Lage und gibt die Übernahme von neun Filialen bekannt.
13. Juni 2012: Nach dem gescheiterten Verkauf der Schlecker-Tochter Ihr Platz kämpft der Münchner Investor Dubag einem Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zufolge weiter um die verbliebenen 490 Filialen der insolventen Drogeriekette, wo zu diesem Zeitpunkt noch rund 4.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Auch dm sei an der Übernahme von insgesamt 90 Filialen interessiert.
27. Juni 2012: Die verbliebenen rund 2.800 Schlecker-Filialen werden geschlossen, die Beschäftigten zum 1. Juli freigestellt.
28. Juni 2012: Insolvenzverwalter Werner Schneider verkündet das Aus auch für die 350 Schlecker-XL-Märkte mit 1.110 Mitarbeitern. Es gebe keine wirtschaftlich vertretbare Perspektive für deren Weiterführung. Für Ihr Platz würden die Gespräche mit einem Investor fortgesetzt.
2. Juli 2012: Ein Sprecher des Insolvenzverwalters teilt mit, dass überraschend zwei weitere Interessenten für Ihr Platz auf den Plan getreten sind. Dabei soll es sich um ein deutsches Unternehmen und eine Firma „mit multinationalem Hintergrund“ handeln. Ungeachtet dessen gehen die Gespräche dem dritten möglichen Investor weiter.
17. Juli 2012: Aus einer Anmeldung beim Bundeskartellamt geht hervor, dass Rossmann 120 der verbliebenen 490 Ihr-Platz-Drogerien übernehmen will.
18. Juli 2012: Auch der Textil-Discounter NKD und die österreichische MTH Retail Group sollen Interesse an Ihr Platz haben.
18. Juli 2012: Mehr als 160 Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchen Wohnungen und Geschäftsräume. Der Verdacht lautet den Angaben zufolge auf „Bankrott, Untreue und Insolvenzverschleppung“. Ermittelt wird gegen 14 Personen, nach Medienberichten ist darunter auch der Firmengründer Anton Schlecker.
Mit Material von dapd