Abendblatt-Interview mit HWWI-Chef Thomas Straubhaar über die Zukunft des Euros, Inflationsängste und Fehlprognosen.
Hamburg. Staaten wie Griechenland und Portugal in Insolvenzgefahr, die Euro-Zone in Bedrängnis. Eine Krise folgt der nächsten, die Politik balanciert von Gipfel zu Gipfel. Die Volkswirtschaftslehre, die die großen Linien beschreiben und Entwicklungen erklären soll, scheint überfordert. Nichts funktioniert mehr nach Lehrbuch und vertrauten Theorien. Lässt sich die wirtschaftliche Zukunft eines Landes wie Deutschland noch vorhersagen? Wie lange gibt es den Euro noch? Und mit welchen Mitteln können wir endlich unsere horrenden Staatsschulden abbauen? Das Abendblatt sprach mit Hamburgs wichtigstem Ökonomen, dem Schweizer Professor Thomas Straubhaar, 54, Leiter des Ham-burgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), über eigene Fehleinschätzungen, die Perspektiven des Euro und seine Wertschätzung für Gold.
Hamburger Abendblatt : Herr Professor Straubhaar, die meisten ökonomischen Prognosen trafen in den zurückliegenden Krisenjahren nicht zu. Macht Ihnen dieses Handwerk eigentlich noch Spaß?
Thomas Straubhaar : Auf jeden Fall. In der globalisierten und schnellen Wirtschaftswelt sind quantitative Festlegungen aber viel schwieriger geworden. Die Forschungsinstitute wurden seit Beginn der Weltfinanzmarktkrise 2008 mit vielen Umwälzungen konfrontiert und davon teils überrascht. Ich hätte zum Beispiel nicht erwartet, dass der Markt für Staatsanleihen in der Euro-Zone so in sich zusammensackt, wie wir es zuletzt gesehen haben.
Demnach sind volkswirtschaftliche Prognosen also wertlos ?
Straubhaar : Keineswegs. Es geht ja nicht darum, auf Punkt und Komma präzise Vorhersagen zu machen. Wer könnte das auch. Im Kern geht es darum, Trends zu beschreiben und damit auch Verhaltensänderungen zu erzeugen. Petrus lässt sich von Wetterprognosen nicht beeinflussen, Politik und Wirtschaft von ökonomischen Trendaussagen aber schon. Die vielen Analysen über zu hohe Sozial- und Lohnnebenkosten haben unter anderem zu den Wirtschafts- und Sozialreformen der Agenda 2010 in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts geführt. Davon profitiert die deutsche Wirtschaft nachhaltig.
Welche Entwicklung erwarten Sie in Deutschland und in der Euro-Zone für das kommende Jahr ?
Straubhaar : Eine Reihe von Euro-Staaten, vor allem in Südeuropa, stehen vor tief greifenden Reformen. Staaten wie Griechenland oder Portugal müssen ihre Wirtschaft und die Sozialsysteme grundlegend modernisieren, mit teils sehr harten Maßnahmen. Für die Euro-Zone insgesamt erwarte ich deshalb sieben wirtschaftlich magere Jahre. Deutschland hingegen hat die nötigen Reformen vor Jahren im Rahmen der Agenda 2010 in Gang gebracht - und fährt dafür jetzt die Ernte ein. Wir erwarten für 2012 in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von einem halben Prozent. Das ist nicht viel, aber es ist Wachstum.
Wie wird sich das nach Ihrer Einschätzung am Arbeitsmarkt auswirken ?
Straubhaar : Wir haben in Deutschland mittlerweile einen unglaublich robusten Arbeitsmarkt. Auch deshalb, weil es mehr atypische und flexiblere Arbeitsverhältnisse als früher gibt. Ich rechne damit, dass die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen im kommenden Jahr durchschnittlich bei 2,9 Millionen bleiben wird. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat einen Höchststand seit der deutschen Einheit erreicht. Mehr Menschen denn je verfügen über ein festes Einkommen. Das stützt den Konsum und damit den Binnenmarkt.
Viele Menschen sind über die wirtschaftliche Lage tief verunsichert, obwohl die Konsumfreude zu Weihnachten etwas anderes zeigte. Haben Sie sich angesichts der Lage schon Gold gekauft ?
Straubhaar : Ich habe seit vielen Jahren einige Goldmünzen, die ich aus Nostalgie behalte. Wegen der Krise habe ich mir noch kein einziges Gramm Gold gekauft. Ich lege mein Kapital konservativ und breit gestreut an, mit Tagesgeld, in Währungen und Staatsanleihen, auch in Aktien Schweizer Unternehmen wie Nestlé, die international tätig sind und die Entwicklung der Weltwirtschaft sehr gut abbilden.
Gerade in Deutschland ist die Angst vor Inflation weit verbreitet. Sie hielten 2009 eine Inflation von mindestens fünf Prozent in naher Zukunft für möglich. Wie sehen Sie das heute ?
Straubhaar : Mit fünf Prozent lag ich in der Tat daneben. Man kann aber auch nicht in Abrede stellen, dass viele Bürger ein ständiges Gefühl wachsender Inflation haben: Gerade Menschen, die von geringen Einkommen oder Sozialleistungen leben, geben anteilig an ihrem Budget mehr für Güter mit hoher Preissteigerung aus als wohlhabendere Menschen. Zum Beispiel für Nahrungsmittel, Strom oder für Benzin.
Droht uns denn in absehbarer Zeit eine deutlich höhere Inflation ?
Straubhaar : Nein. Die allgemeine Inflationserwartung sinkt. Interessant ist: Die Menschen horten vergleichsweise viel Bargeld, vielleicht aus Unsicherheit, sie geben es aber nicht aus. Unter anderem deshalb steigt die Inflation nicht so stark an, wie viele befürchtet haben, mich eingeschlossen.
Es gibt eine lebhafte Diskussion um sogenannte Euro-Bonds, gemeinsame Staatsanleihen für den Euro-Raum. Würden sie eingeführt, müsste Deutschland für neue Schulden einen höheren Zins zahlen als bislang, also für die schwächeren Euro-Staaten direkt mithaften. Fänden Sie das richtig ?
Straubhaar : Die heiße Kartoffel der Staatsverschuldung wurde und wird zwischen der Privatwirtschaft und den Staaten dauernd hin- und hergeschoben. Die Schulden können wir senken durch einen Schuldenschnitt, mehr Inflation oder höhere Steuern. Aber welche Variante ist die erträglichste? Ich glaube, Transferzahlungen an schwächere Staaten - und das würde ja die Einführung von Euro-Bonds indirekt bedeuten - brächten uns wirtschaftlich den geringsten Schaden, aber die größten Chancen. Genau wie bei der Agenda 2010 müsste es heutzutage auch für die wirtschaftlich schwächeren europäischen Südstaaten heißen: fördern und fordern. Ob man das dann Euro-Bonds nennt, ist dabei völlig zweitrangig.
Wie kann ein Land wie Deutschland von seinen hohen Schulden jemals herunterkommen? Derzeit sind Bund, Länder und Gemeinden mit mehr als zwei Billionen - 2000 Milliarden - Euro verschuldet .
Straubhaar : Die absolute Höhe der Schulden muss ja immer im Verhältnis zur volkswirtschaftlichen Leistung und zum Vermögen eines Landes gesehen werden. Und da steht Deutschland sehr gut da. Denn viel Steuergeld wurde hierzulande in den vergangenen Jahren ja auch in echte Werte investiert, zum Beispiel in moderne Verkehrssysteme, funktionierende staatliche Strukturen oder in gute Schulen und Universitäten. Das schafft ein anderes Fundament, als wenn Staatsgeld in Form von Sozialleistungen vorwiegend in den privaten Konsum fließt.
Aber auch in Deutschland belasten doch die hohen Zinszahlungen für die Schulden den Staat massiv. Die Verbindlichkeiten des Bundes bilden den zweitgrößten Haushaltsposten nach dem des Arbeits- und Sozialministeriums .
Straubhaar : Der beste Weg wäre es, wenn die Volkswirtschaft in Deutschland in den kommenden Jahren konsequent weiter wüchse, die absolute Schuldensumme aber begrenzt werden könnte. Wenn das Land aus seinen Schulden quasi herauswüchse. Aber seien wir doch ehrlich: Wer wählt Politiker, die keine Geschenke offerieren, keine Wahlversprechungen machen? Wir schimpfen immer über die schlechten Politiker. Wir Bürger müssten viel stärker über uns selbst schimpfen, über unsere Anspruchshaltung gegenüber dem Staat. Der müsste sich aus vielen Leistungen und Tätigkeiten konsequent zurückziehen.
Noch einmal zurück zum Euro: Sollte Griechenland aus der Euro-Zone austreten, um sich zu sanieren und die europäische Wirtschaft zu entlasten ?
Straubhaar : Aus Sicht der Griechen wäre das ökonomischer Selbstmord. Aus manch anderer Perspektive in der Europäischen Union erscheint ein Austritt Griechenlands zwar als ein gangbarer und relativ bequemer Ausweg. Aber wollen wir am Rande der Europäischen Union wirklich eine neue Armutszone haben, die Griechenland dann voraussichtlich werden würde? Eine Region im Südosten Europas, die womöglich mit Grenzbefestigungen und Auffanglagern für Flüchtlinge abgeschottet werden müsste? Ich würde als Steuerzahler lieber etwas mehr dafür bezahlen, Griechenland ökonomisch zu stärken und zu entwickeln.
Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) - wider ihre Statuten und ihren politischen Auftrag - verstärkt Staatsanleihen von Euro-Ländern kaufen, um den Markt zu stützen ?
Straubhaar : So ausgetrocknet, wie der Markt für Staatsanleihen derzeit ist, bleibt doch gar nichts anderes übrig, als dass die EZB verstärkt - wenn auch indirekt - kauft.
Die EZB stellt den europäischen Geschäftsbanken 500 Milliarden Euro zusätzlich für ein Prozent Zinsen zur Verfügung, um die Finanzwirtschaft in Europa mit ausreichend Kapital zu versorgen. Die Banken verleihen dieses Geld nach jüngerer Erfahrung nur mit hohen Restriktionen und vor allem zu wesentlich höheren Zinsen weiter. Das kann ein normaler Mensch doch nicht mehr nachvollziehen .
Straubhaar : Die zusätzlichen Milliarden an Kreditvolumen waren ein Weihnachtsgeschenk der EZB an die Banken. Konservativ kalkuliert, können die Institute aus dieser Summe 15 Milliarden Euro Zinsgewinn realisieren. Ein Bankvorstand kann gar nicht anders, als auf ein solches Angebot einzugehen.
Glauben Sie nach diesem Jahr voller Krisengipfel und Rettungspaketen noch an eine Zukunft des Euro ?
Straubhaar : Ich halte den Euro nach wie vor für ein sinnvolles Konzept, auch, wenn die Gemeinschaftswährung derzeit nicht reibungslos funktioniert. Aber der Euro gehört unverzichtbar zu einer weiteren Integration in der Europäischen Union und zur Entwicklung des gemeinsamen Binnenmarktes. Deutschland hat vom Euro mehr profitiert als jedes andere Land. Unter anderem dadurch, dass der Wert unserer Exporte auf mehr als 1000 Milliarden Euro im Jahr gestiegen ist. Die meisten dieser Ausfuhren gehen in die EU und in die Länder der Euro-Zone.
Wird es den Euro in einigen Jahren in seiner heutigen Form noch geben ?
Straubhaar : Ja! Ob alle der heutigen Mitgliedstaaten noch dabei sein werden, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich glaube, dass es eher mehr als weniger Staaten in der Euro-Zone geben wird. Manche anderen Länder werden noch Schlange stehen, um in den Euro hineinzukommen.