Gericht weist Konzernklage zurück. Streit um Tarifvertrag spitzt sich zu. Betriebsräte genehmigen keine Überstunden mehr. Jahresziele in Gefahr.
Hamburg. Im Streit um einen Zukunftstarifvertrag für Airbus haben der Betriebsrat und die IG Metall den Druck auf das Unternehmen erhöht: Überstunden der Beschäftigten werden von den Betriebsräten "nur noch in Ausnahmefällen" genehmigt, sagte IG-Metall-Sprecher Heiko Messerschmidt dem Abendblatt.
"Damit gerät die Erreichung der Jahresziele in Gefahr", sagte Firmensprecher Florian Seidel. "Wir haben ein volles Orderbuch, und die Kunden erwarten von uns eine termingerechte Auslieferung ihrer Maschinen." Nach bisheriger Planung will der Flugzeugbauer in diesem Jahr mehr als 510 Jets an die Kunden übergeben und damit den Rekord aus dem Vorjahr toppen.
+++ Betriebsrat beschließt Warnstreiks bei Airbus +++
+++ Airbus will Warnstreiks notfalls gerichtlich untersagen lassen +++
Sollten die Ziele verfehlt werden, spiegele sich dies auch in der Erfolgsbeteiligung der Mitarbeiter wider, so Seidel: "Daran können die Betriebsräte kein Interesse haben." Zudem blockierten sie das Angebot der Geschäftsführung, Überstunden auch finanziell abzugelten. "Damit wird das Verhalten des Betriebsrats Unmut in der Belegschaft auslösen."
Mit dem Versuch, die von der Tarifkommission der IG Metall beschlossenen Warnstreiks durch eine einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Frankfurt verbieten zu lassen, ist Airbus am Freitag gescheitert: Das Gericht wies den entsprechenden Antrag ab (Aktenzeichen 8 Ga 169/11). Eine Berufung zum Hessischen Landesarbeitsgericht ist möglich. Allerdings hat die Arbeitnehmerseite in der mündlichen Verhandlung ihre ursprünglichen Forderungen, vor allem eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2020, nicht mehr aufrechterhalten. Sie verlangt jetzt nur noch eine Erweiterung der Mitbestimmung bei Leiharbeit sowie bei der Arbeitsorganisation und bei Optimierungsprozessen.
"Wir sind zu der Auffassung gelangt, dass wir in den Verhandlungen über das Gesamtpaket nicht vorankommen", sagte Messerschmidt. Aus diesem Grund wolle man sich zunächst auf das Thema der Mitbestimmung konzentrieren: "Alles Weitere muss man zu gegebener Zeit sehen." Grundsätzlich strebten Betriebsrat und IG Metall eine Beschäftigungs- und Standortsicherung weiter an.
Möglicherweise gibt es aber noch ein anderes Motiv für den Richtungswechsel: Die Arbeitnehmerseite könnte ihn vollzogen haben, um keine Niederlage vor dem Arbeitsgericht zu riskieren. Denn es ist nicht zulässig, mit Warnstreiks Forderungen durchsetzen zu wollen, die bereits durch bestehende, ungekündigte Tarifverträge abgedeckt sind. In diese Richtung deutet auch die Tatsache, dass die IG Metall vor dem Gerichtstermin den sogenannten "Siduflex"-Zusatztarifvertrag zum Jahresende 2011 gekündigt hat. Dieser Vertrag, dessen Bezeichnung für "Sicherheit durch Flexibilität" steht, sieht eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2012 vor. Vor allem aber ermöglicht er durch ein System von Arbeitszeitkonten dem Unternehmen, die in der Branche üblichen heftigen Geschäftsschwankungen auffangen zu können.
"Wenn man jahrelang für eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2020 kämpft und diese Forderung dann aus taktischen Gründen fallen lässt, ist das keine sehr glaubwürdige Position", sagte Airbus-Sprecher Seidel. Außerdem diene die Kündigung des Siduflex-Vertrags nicht dem gemeinsamen Ziel, Airbus langfristig wettbewerbsfähig zu halten. Auch die Arbeitnehmerseite erkenne an, dass der Konzern Flexibilität benötige, entgegnete der IG-Metall-Sprecher, "aber es kann sie nicht um jeden Preis geben".
+++ Den Bogen nicht überspannen +++
Zuletzt hatte sich die Airbus-Geschäftsführung zwar bereit erklärt, bis zum Jahr 2020 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Als Gegenleistung hatte sie aber Einsparungen durch Produktivitätssteigerungen verlangt - und hierüber konnten sich die Tarifpartner nicht einigen. Nach Darstellung des Unternehmens belaufen sich geforderten Einsparungen auf etwa 1,1 Milliarden Euro bis 2020, was ungefähr dem vom Betriebsrat zugestandenen Betrag von rund einer Milliarde Euro entspricht. Doch aus Sicht der Arbeitnehmerseite summieren sich die von Airbus eingeforderten Produktivitätsfortschritte über den gesamten Zeitraum tatsächlich auf insgesamt 5,5 Milliarden Euro - und dies hält man für unzumutbar.
Angesichts der neuen Lage stehen nun beide Seiten unter dem Druck, bis zum Jahresende eine Einigung zu finden, weil dann der Siduflex-Vertrag ausläuft. In der kommenden Woche soll es neue Verhandlungen geben.