Die Branche boomt. Michael Thamm, der Präsident des deutschen Marktführers Aida Cruises, ist überzeugt: “Der Markt wächst zweistellig.“
Hamburg. Mehr als ein Jahrhundert hat es gedauert, bis 2009 erstmals in einem Jahr die Marke von einer Million überschritten wurde. Nun soll es allenfalls noch einige Jahre dauern, bis sogar mehr als zwei Millionen Deutsche pro Jahr ihren Urlaub an Bord eines Kreuzfahrtschiffes verbringen. Michael Thamm, der Präsident des deutschen Marktführers Aida Cruises, ist überzeugt: "Der Markt wächst zweistellig." So könnten nach 1,22 Millionen 2010 nun 1,35 Millionen deutsche Gäste eine Seereise antreten. Schon in fünf Jahren erwarten wir zwei Millionen deutsche Kreuzfahrtbuchungen."
Der Hamburger Kreuzfahrtexperte Helge H. Grammerstorf kalkuliert etwas vorsichtiger, hält aber die Marke von zwei Millionen bis 2018 für erreichbar. Klar ist: Wenn sich morgen in Hamburg mehr als 500 Experten zum Kreuzfahrtkongress Seatrade Europe treffen, können sie gewiss sein, dass sie für die seit Jahren am stärksten wachsende Touristiksparte arbeiten.
Dem Boom konnte selbst die Krise nichts anhaben. Zwar wurden von 2008 bis 2009 keine Passagierschiffe mehr bestellt. Doch weil kaum ein Auftrag storniert wurde, kam weiter zusätzliche Tonnage auf den Markt. "Um die neuen Kabinen zu füllen, boten Reedereien Sonderpreise und zogen damit wieder neue Kunden an", sagt Grammerstorf, Chef der Finanzierungsberatungsfirma SeaConsult. Die Folgen lassen sich beispielhaft an der deutschen Branche ablesen: Bei einem Passagierplus von 18,9 Prozent im vergangenen Jahr, stieg der Umsatz nur um 7,2 Prozent auf knapp 2,1 Milliarden Euro. "Auch 2011 könnten die Erlöse geringer zulegen als die Zahl der Passagiere", so der Experte.
Inzwischen haben die Reedereien, deren weltweite Marktführer mit Carnival und Royal Caribbean in den USA sitzen, reagiert. Nur noch 19 Schiffe sind bestellt (siehe Tabelle). Zum Vergleich: Noch im Februar 2008 waren es 47. Damit dürften die Sonderangebote in den nächsten Jahren abnehmen.
Große Schwankungen hat es in den vergangenen Jahren beim Tagesdurchschnittspreis aber nicht gegeben. Er liegt weiter bei 185 Euro ohne Flug. Allerdings beginnen die Angebote heute bereits bei 50 Euro pro Tag und reichen bis über 500 Euro, die etwa für Luxuskreuzer wie die "Europa" von Hapag-Lloyd Kreuzfahrten bezahlt werden müssen. Für die Hamburger hat die vom koreanischen STX-Konzern übernommene Werft in Saint-Nazaire gerade mit dem Bau der "Europa2" begonnen. Ein Beleg dafür, dass auch in der Luxusklasse die Chancen positiv beurteilt werden. Insgesamt gilt in der Branche das Preisniveau als auskömmlich.
Auch Aida Cruises hat neu bestellt. Ihre bisher größten Kreuzfahrtschiffe baut nun Mitsubishi. Die Meyer Werft in Papenburg, bisher bevorzugter Partner, ging leer aus. Die Japaner drängen damit in einen der letzten Bereiche, in denen der europäische Schiffbau noch führend ist. Der Auftrag über die neuen Aida-Kreuzer - die Schiffe haben Platz für 3250 Passagiere gegenüber rund 1100 auf dem ersten, 1996 fertiggestellten Schiff - zeigt, dass die Reisepreise trotz steigender Treibstoffkosten vor allem mit immer größeren Schiffen gehalten werden können. Die weltgrößten Kreuzer von Royal Caribbean bieten sogar Platz für 5400 Gäste.
"Der Trend geht jetzt zu kürzeren Reisen für eine Woche oder auch nur für einige Tage", sagt Grammerstorf. Dabei ist es für die Passagiere bequemer und günstiger, wenn sie den Auslaufhafen ohne Flug erreichen können. So dürfte das Interesse der Reedereien an den deutschen Häfen Rostock, Kiel und Hamburg weiter steigen. Aida Cruises wird schon in der Saison 2012 fünf der dann neun Schiffe von den Häfen im Norden aus einsetzen. "Hamburg ist dabei das wichtigste Ziel in Deutschland. Nirgends ist die Begeisterung für Kreuzfahrten größer als an der Elbe", sagt Aida-Präsident Thamm.
Das wollen sich auch internationale Reedereien zunutze machen. So verlegt der europäische Marktführer Costa zum 1. Oktober seine Deutschland-Zentrale nach Hamburg und setzt von dort 2012 gleich zwei Schiffe ein. Auch die italienische Reederei MSC hat nach der Taufe der "MSC Magnifica" auf der Elbe entschieden, im kommenden Jahr die "MSC Lirica" für sieben Monate von der Hansestadt aus auslaufen zu lassen.
Mehr als 75 Euro, so hat der Verein Hamburg Cruise Center ausgerechnet, gibt jeder Tourist aus, der in der Stadt an oder von Bord geht. Das allein summierte sich 2010 auf 18 Millionen Euro. Schon hält es die Interessenvertretung der Kreuzfahrtbranche in Hamburg für möglich, Kiel als Nummer eins bei den Passagieren abzulösen. Noch liegt die Prognose für die Fördestadt zwar mit 370 000 für 2011 über den für Hamburg erwarteten 300 000. "Doch das stärkste Wachstum gab es zuletzt an der Elbe", sagt Nadine Palatz, vom Verein Hamburg Cruise Center. Mit Blick auf mögliche 500 000 Gäste bis 2015 soll nun mit der Wirtschaftsbehörde über ein drittes Terminal nachgedacht werden.
Dass aber inzwischen rechnerisch an jedem dritten Tag ein Kreuzfahrer die Stadt anläuft, sorgt wegen der Emission der Strom erzeugenden Hilfsmaschinen an Bord auch für Kritik von Anwohnern und Umweltschützern. "Das für die EU-Häfen seit 2010 vorgeschriebene Dieselöl hat mit 0,1 Prozent immer noch 100-mal so viel Schwefel wie der Diesel an der Tankstelle", sagt Dietmar Oeliger, Leiter Verkehrspolitik beim Bundesverband der Naturschutzorganisation Nabu. Dazu werde auf hoher See Schweröl mit einem so hohen Schwefelanteil verbrannt, sodass Rußfilter nicht funktionieren könnten. "Sie lassen sich erst bei einem Anteil von 1,0 Prozent Schwefel einsetzen, der bisher nur für Sondergebiete wie die Nord- und Ostsee gilt", weiß Oeliger
Immerhin erkennt auch der Nabu-Experte an, dass gerade die Aida-Flotte besonderen Wert auf Umweltschutz legt. Schließlich läuft sie seit 2007 mit dem bisher saubersten Marinediesel in europäische Häfen ein. "Wir haben in den vergangenen vier Jahren 25 Millionen Euro in energieeffiziente Technik gesteckt", sagt Aida-Präsident Thamm. Alle acht Schiffe könnten jetzt in Häfen von Land aus mit Strom versorgt werden. "Für Hamburg sprechen wir mit Wirtschaftssenator Frank Horch über Möglichkeiten, dies an allen Terminals zu realisieren."
Eine Lösung steht aus. Doch für die Reedereien dürfte der Schwenk zu anerkannt umweltschonenden Flotten ein wichtiges Wettbewerbsargument werden. Thamm jedenfalls ist sicher: "Für Passagiere ist eine saubere Schifffahrt ein immer wichtigeres Kriterium bei der Auswahl einer Reederei."