Börsenkurse brechen weltweit deutlich ein, das Misstrauen wächst an. Experten erklären im Abendblatt, welche Risiken noch drohen.
Hamburg. Drei Jahre nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers zeichnet sich wieder eine schwere Bankenkrise ab. Auslöser sind die Euro-Schuldenprobleme und die trüben Aussichten für die US-Konjunktur. Die Börsen brachen gestern weltweit erneut deutlich ein. Der DAX sackte um fünf Prozent auf 5164 Punkte. Der Euro fiel mit einem Kurs von 1,3385 Dollar auf den tiefsten Stand seit acht Monaten.
Unter den Banken wächst unterdessen das Misstrauen. Überschüssige Liquidität parken die Geldhäuser immer häufiger bei der Europäischen Zentralbank, anstatt sie anderen Banken zur Verfügung zu stellen. Rating-Agenturen stufen die Bonität mehrerer Banken deutlich herab. In den USA traf die Abstufung von Moody's drei Großbanken, darunter die Bank of America. Standard & Poor's senkte die Bonitätsnote für sieben italienische Geldhäuser. Das Abendblatt sprach mit Experten über die drohenden Risiken.
Wie brisant ist die Lage auf den Finanzmärkten?
Am dramatischsten beurteilt der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Oliver Blanchard, die Lage. Seiner Meinung nach befindet sich die Weltwirtschaft in einer "gefährlichen neuen Phase". Investoren verlören das Vertrauen in die Fähigkeit vieler Industrieländer, dass diese ihre Schulden in den Griff bekommen. Fakt ist, dass die Unsicherheit auf den Finanzmärkten stark zugenommen hat, was an den gestiegenen Zinssätzen auf dem Interbankenmarkt abzulesen ist. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sich Banken untereinander kaum mehr Geld leihen. Allerdings ist die Lage noch nicht so dramatisch wie nach der Lehman-Pleite, als der direkte Kredithandel zwischen den Banken praktisch nicht mehr vorhanden war und die EZB die Institute mit Liquidität versorgen musste.
Welche Gefahren drohen den Banken in Europa durch die Staatsschuldenkrise?
Banken halten viele Staatsanleihen. "Sie müssen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden und galten bisher als sicher", sagt Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim. Doch inzwischen gelten Staatsanleihen nicht mehr als sicher. "Eine Staatsinsolvenz Griechenlands könnten die meisten Institute noch verkraften, aber weitere Kreise darf die Krise nicht ziehen, um nicht das Finanzsystem zu gefährden", sagt Burghof. Vor allem spanische und französische Banken sind stark in Staatsanleihen von Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien engagiert (siehe Grafik). Schon ein teilweiser Ausfall würde einige Banken wie die Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA), das zweitgrößte Institut Spaniens, schwer treffen, weil die Gesamtsumme von 61 Milliarden Euro ein Vielfaches des Eigenkapitals ausmacht. Allein der Staatsbankrott von Griechenland würde die Banken mit 100 Milliarden Euro belasten", schätzt Dirk Schierek von der TU Darmstadt. "Dann würden auch die Kurse anderer Staatsanleihen sinken, Kredite an griechische Banken und Firmen ausfallen."
Droht der Zusammenbruch einer Bank in Deutschland oder Europa?
Alle Geldinstitute in Deutschland können nach Angaben des Bundesfinanzministeriums derzeit ihren Liquiditätsbedarf decken. Grundsätzlich ist der Kollaps einer Bank aber nicht auszuschließen, sagt der Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums, Wolfgang Gerke. Der Ausfall eines Instituts wäre aber verkraftbar, so Gerke: "Wichtig ist, dass bei einem Zusammenbruch die Bank vernünftig abgewickelt wird." Die deutschen Banken seien laut Gerke vergleichsweise gut aufgestellt.
Haben die Staaten noch genug Geld, um ein Pleite-Bank zu retten?
An Geld mangelt es nicht. Allein die Europäische Zentralbank (EZB) hat - wie jede Notenbank - die Möglichkeit, unbegrenzt für Liquidität zu sorgen, sagt der Geldexperte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Henning Vöpel. Solche Interventionen seien kurzfristig sinnvoll, um das Finanzsystem zu stabilisieren, langfristig aber keine Lösung, da sie die Inflation in die Höhe treiben und den Grundsatz von Risiko und Haftung außer Kraft setzen. In Deutschland gibt es zudem einen Rettungsfonds von 480 Milliarden Euro, der noch nicht ausgeschöpft ist. "Allerdings wird es immer schwieriger, eine Bankenrettung politisch durchzusetzen", sagt Schiereck.
"Der Staat sollte nicht jede Bank retten", ist Gerke überzeugt. Wenn Banken ihre Existenzberechtigung verspielen, so müssten sie vernünftig abgewickelt werden. Insolvente Banken sollten verstaatlicht werden, die Aktionäre ihre Anteile verlieren und die Spareinlagen gesichert werden.
Wirkt sich die Finanzkrise auf die Realwirtschaft aus?
Das HWWI erwartet bereits für dieses Jahr "eine konjunkturelle Eintrübung". Das Wachstum werde sich zum Jahresende hin weiter abschwächen. Für 2011 erwarten die Konjunkturexperten für Deutschland ein Wachstum von drei Prozent, für 2012 noch 1,0 bis 1,25 Prozent, sagt Vöpel. Es gebe beträchtliche Risiken, die den privaten Konsum schwächen und die Investitionen bremsen könnten. Sollten die USA in eine Rezession gleiten oder sollte Griechenland pleitegehen, sei eine weltweite Rezession nicht unmöglich.
Wie sicher sind die Spareinlagen in der Euro-Zone?
Die Spareinlagen sind pro Kunde bis zu einer Höhe von 100.000 Euro gesetzlich abgesichert, auch in Deutschland. Als Spareinlagen gelten Sparbücher, Sparbriefe, Girokonten, Tages- und Festgeld, nicht aber Zertifikate oder Inhaberschuldverschreibungen von Banken. Aktien, Anleihen und Investmentfonds wären von einer Bankpleite nicht betroffen, sind aber generell Kursschwankungen ausgesetzt und auch vor Totalverlust nicht geschützt. "Wir raten, nicht mehr als 100 000 Euro bei einer Bank anzulegen, auch wenn das Institut eine höhere Absicherung verspricht", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Denn gegen diese freiwilligen Sicherungssysteme der Banken gibt es keinen gesetzlich einklagbaren Rechtsanspruch." Außerdem rät der Verbraucherschützer, auch bei Beträgen unter 100 000 Euro die Anlage auf mehrere Institute aufzuteilen. "Das erhöht die Verfügungsmöglichkeit, falls doch ein Institut geschlossen wird und das Geld dort zeitweise nicht verfügbar ist."
Warum reformieren die privaten Banken ihre Einlagensicherung?
Die deutschen Privatbanken wollen die Guthaben-Garantien im Fall von Pleiten senken. Langfristig soll die freiwillige Einlagensicherung von mindestens 1,5 Millionen Euro pro Kunde auf 437 500 Euro im Jahr 2025 sinken. Da sich die Sicherungshöhe nach dem haftenden Eigenkapital der Bank richtet, liegt die Sicherungsgrenze bei manchen Banken im Milliarden-Bereich. "Das ist völlig unrealistisch, und es ist gut, wenn es jetzt zu einer Anpassung kommt", sagt Nauhauser. Dazu wird der Prozentsatz, nach dem sich die Sicherungsgrenze richtet, von 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals auf 8,75 Prozent gesenkt. Es gehe darum, den Sicherungsfonds "glaubwürdiger und den Risiken entsprechend" besser aufzustellen, sagt Hans-Joachim Massenberg, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands.
Gilt die Garantiezusage der Kanzlerin an die Sparer noch?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank und der Krise der Hypo Real Estate den Deutschen versprochen: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind." Ein Sprecher des Bundeskanzleramtes versicherte gestern die Gültigkeit und zitierte Merkel mit den Worten: "Den Aussagen von damals ist nichts hinzuzufügen."