Im Koalitionsstreit um Griechenland will der Wirtschaftsminister Philipp Rösler nicht nachgeben und steht zu seinen Äußerungen.
Rom/Berlin. Da ist also der Deutsche, der eine Pleite Griechenlands ins Spiel gebracht hat. Rund 50 Journalisten drängeln sich im italienischen Wirtschaftsministerium vor dem Saal, in dem Philipp Rösler (FDP) gleich eine Pressekonferenz geben wird. Seit seinem Gastbeitrag in der "Welt" ist der deutsche Wirtschaftsminister auch in Italien ein viel beachteter Besucher.
Was Rösler mit seinen Aussagen über die Staatsinsolvenz bezweckt habe, will eine TV-Korrespondentin von Sky News Italia von den mitgereisten deutschen Journalisten wissen. "Und Merkel sauer?", fragt sie. "Schäuble auch sauer?" Das kann man wohl sagen, wird aber hier nicht zum Thema. "Ich bin dankbar für die Diskussion", sagt Rösler zum Griechenlandstreit in der Koalition. Der wird in Italien, das ebenfalls mit einer Schuldenkrise kämpft, genau registriert. Nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen Paolo Romani sah Rösler keinen Anlass, seine Aussagen zurückzunehmen. "Ich muss das tun, was ich für richtig halte", sagte er. Er habe eine Vision für Europa aufgezeigt. Denn die Menschen wollten zu Recht wissen, wohin es in Zukunft mit der Währungsunion gehe. Das ist offenbar Röslers Verteidigungslinie: Er spricht nur aus, was sich ohnehin alle denken.
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Denken lassen, denken dürfen und selber denken steht derzeit an der Spree hoch im Kurs, auch bei Angela Merkels Vertrauten. "Das schöne Lied ,Die Gedanken sind frei' zeigt schon, dass es nirgends auf der Welt Denkverbote geben kann", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert auf eine Journalistenfrage zu Philipp Röslers abweichender Position im Streit über Griechenland . Merkel selbst, fügte Seibert hinzu, habe das Lied kürzlich am Mauerdenkmal in Berlin mitgesungen. "Rösler war bei dem Termin nicht dabei. Aber er kennt das Lied mit Sicherheit - und glaubt auch daran." Ein anderer, der die Debatte verfolgt, sagt mit Nachdruck, Denkverbote gebe es nicht, aber es gebe auch nicht das Verbot zu denken.
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FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philip Rösler, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (ebenfalls FDP) sowie Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) haben sich diese Freiheit genommen. Sie haben - Rösler in der "Welt", Leutheusser in den "Ruhr-Nachrichten", Ramsauer in der "Zeit" - der Bundeskanzlerin beim Umgang mit Griechenland offen widersprochen. Am weitesten ging Ramsauer, der sagte, ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sei kein "Weltuntergang". Von einem Austritt Griechenlands hatten die FDP-Politiker nicht gesprochen. Die CSU mit ihrer Witterung für Stimmungslagen setzt sich in ihrem Bemühen, die inzwischen wieder recht guten bayerischen Umfragewerte der CSU nicht zu gefährden, am weitesten von Merkel ab. Subtil am kräftigsten aber tritt Philipp Rösler der Kanzlerin in Rom ans Schienbein. Auf die Frage, was er zum Rüffel der Kanzlerin wegen der Insolvenz-Diskussion sage, antwortete der deutsche Wirtschaftsminister: "Ich habe sie so verstanden, dass sie vorsichtig ist mit Äußerungen in der Sache." Ein hübscher Florettstoß. Denn Merkel hatte natürlich nicht ihre eigenen Einlassungen zum Thema gemeint, sondern die Äußerungen Röslers.
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Ob nur die Kanzlerin zu antworten befugt sei, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Eine wachsende Zahl von Abgeordneten der Regierungsparteien hält das Ja oder Nein zur Erweiterung des Euro-Schutzschirms für eine Gewissensfrage. Das sagen sie auch, und diejenigen, die den Kurs Merkels mittragen, registrieren es mit wachsendem Ingrimm. Ruprecht Polenz, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, sagte der "Welt": "Das viele Gerede vor der Entscheidung über den Euro-Rettungsschirm tut der Sache nicht gut - hier geht doch sehr viel durcheinander. Nicht nur die hohen Schulden, die auch mich umtreiben, sind eine Gewissensfrage. Eine Frage des Gewissens ist vielmehr auch, dass wir Europa nicht aufs Spiel setzen wollen und damit alles, was wir in den vergangenen 60 Jahren erreicht haben." Die Dimensionen müssten gewahrt bleiben. "Wir machen uns um die Schuldentragfähigkeit von Bremen auch nicht solche Sorgen." Aus der Fraktion ist zu hören, dass es zwischen Befürwortern und Gegnern des Euro-Schutzschirmgesetzes zu heftigen Wortwechseln auf halb öffentlicher Bühne komme, nämlich in der Fraktionssitzung. Der Beifall derer, die Merkels Kurs tragen, soll stärker sein als der Applaus für die Kritiker. Das lässt sich schwer überprüfen, aber die Nerven sind angespannt. Es gibt Hinweise, denen zufolge die Koalition die sogenannte "Kanzlermehrheit" bei der Abstimmung nicht mehr anstrebt. Eine Kanzlermehrheit ist die im Grundgesetz vorgeschriebene Mehrheit unter den Mitgliedern des Bundestages zur Wahl eines Bundeskanzlers. Sie umfasst 50 Prozent aller in den Bundestag gewählten Abgeordneten - im Gegensatz zur einfachen Mehrheit, die 50 Prozent aller bei der Abstimmung anwesenden Abgeordneten umfasst.
Angela Merkel hatte angestrebt, das Kanzlerquorum auch tatsächlich zu erreichen, um so ihre Position im europäischen Konzert zu stärken. Derzeit aber sieht es so aus, als habe die Regierungskoalition Probleme, diese Mehrheit zu mobilisieren. Ruprecht Polenz sagt: "Ich gehe von einer breiten Mehrheit bei der Abstimmung aus und denke, wir werden auch die Kanzlermehrheit erreichen." Andere äußern sich abseits eines Mikrofons pessimistischer.