An “made in China“ sind wir gewöhnt, doch wenn es um Investitionen und Staatshilfen aus dem Reich der Mitte geht, besteht Misstrauen.
Das Verhältnis der Europäer zu den Chinesen ist von einer merkwürdigen Schizophrenie geprägt: China ist die zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Erde, hat Deutschland als Exportweltmeister abgelöst. Für die meisten Bundesbürger sind niedrigpreisige Elektronikgeräte und Kleidung "made in China" längst eine Selbstverständlichkeit. Doch noch immer wird das asiatische Riesenreich vor allem als Absatzmarkt und "verlängerte Werkbank" der westlichen Industrie gesehen.
Treten aber Chinesen als Investoren in Europa auf, löst dies Erstaunen aus - und auch Misstrauen. Das ist jedes Mal so, wenn die Asiaten in ein westliches Unternehmen einsteigen. Das war so, als Ministerpräsident Wen Jiabao vor knapp einem Jahr eine "strategische Kooperation" mit Griechenland und den Kauf von Staatsanleihen der bis zum Hals in der Schuldenkrise steckenden Südeuropäer anbot.
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Und das ist auch jetzt, nach dem neuesten Vorstoß des chinesischen Premiers, wieder so: Vor dem Hintergrund der Schuldenkrise sagte Wen auf einem Treffen des Weltwirtschaftsforums im chinesischen Dalian, sein Land sei bereit, "eine helfende Hand auszustrecken" und mehr in den europäischen Ländern und den USA zu investieren . Er habe seine Hilfe in einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso angeboten.
Damit sende Wen ein grundsätzlich ermutigendes Signal, meint Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI): "Die Chinesen sind ganz offensichtlich der Überzeugung, dass der Euro überlebt." Straubhaar bekräftigt aber auch einen Verdacht, der sich sofort aufdrängt: "Es wäre naiv zu glauben, die Chinesen täten dies nicht zuallererst aus eigenem Interesse."
Tatsächlich gibt es für das Hilfsangebot ganz vordergründige Motive. So ist die EU der mit Abstand wichtigste Handelspartner Chinas - der Exportweltmeister will stabile Verhältnisse bei seinem wichtigsten Kunden.
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Das zweite Motiv der Asiaten, den Euro über Wasser zu halten, lässt sich mit der Frage umschreiben: Wohin mit dem Geld? Peking besitzt die weltgrößten Devisenreserven im Umfang von umgerechnet 2,3 Billionen Euro. Rund zwei Drittel hält China davon in US-Dollar, ein Viertel in Euro. Die USA haben allerdings ein ähnlich großes Schuldenproblem wie die Euro-Zone. "Mit dem hohen Dollar-Anteil an den Devisenreserven sind die Chinesen in einer äußerst unangenehmen Situation", erklärt Straubhaar. "Bräche der Dollar-Kurs ein, dann würde das Vermögen, das sie sich in den vergangenen 20 Jahren durch billige Exporte erarbeitet haben, zusammenschmelzen wie Schnee in der Sonne. Deshalb wollen sie raus aus dem Dollar und rein in den Euro - selbst wenn das nicht risikolos ist."
Ganz nebenbei könne sich China mit dem Kauf von Staatsanleihen eine schöne Verzinsung sichern: Fünf bis sechs Prozent bei italienischen Papieren, mehr als zehn Prozent bei griechischen - natürlich unter der Voraussetzung, dass keines der Länder Insolvenz anmelden muss.
Doch es gibt noch ein weiteres Motiv, das Wen auf typisch asiatische Weise wolkig umschrieb: Im Gegenzug zu Investitionen hoffe er, dass die "führenden Vertreter der Europäischen Union und ihrer wichtigsten Mitgliedstaaten ihre Beziehungen mit China mutig unter dem strategischen Blickwinkel betrachten".
Hinter dieser gewundenen Formulierung verbirgt sich der Wunsch Pekings nach einer offiziellen Anerkennung als Marktwirtschaft. Mit diesem Status würden weitere noch bestehende Handelshemmnisse fallen, China wäre aber auch vor Anti-Dumping-Klagen geschützt. Zudem erhofft sich China ein Ende des seit dem Massaker gegen die Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 geltenden EU-Waffenembargos.
Die Gefahr, dass Regierungen aus der Währungsunion im Hinblick auf Entscheidungen in Brüssel gewissermaßen erpressbar würden, wenn sie die Hilfen aus Asien annähmen, sollte nach Auffassung von Straubhaar allerdings nicht überschätzt werden: "Es gibt keinen Grund, politischem Drängen nachzugeben, denn das Euro-Problem muss von den Euro-Ländern selber gelöst werden, da helfen die chinesischen Milliarden wenig."
Über die verschiedenen ökonomischen Erwägungen hinaus zeigt Wens Offerte jedoch auch das neu gewonnene Selbstbewusstsein seines Landes. "Die Chinesen wollen die wirtschaftliche Macht, die sie sich erarbeitet haben, nun in politisches Gewicht umsetzen", sagt Eberhard Sandschneider, China-Experte und Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). "Das ist die normale Entwicklung in einer globalisierten Welt."
Sandschneider ist dennoch nicht überrascht über das Aufsehen, das die Chinesen mit ihrem wachsenden Engagement im Westen erregen: "Wir haben erhebliche Schwierigkeiten, uns von den Denkmustern der Vergangenheit zu verabschieden."
Dabei habe es eine ähnliche Debatte in den 1980er-Jahren über den damaligen Aufstieg Japans gegeben: "Als eine japanische Immobilienfirma das Rockefeller Center in New York übernahm, sahen manche schon das Ende des Westens nahen. Heute kommt uns das grotesk vor."
Allerdings gibt es Unterschiede zur heutigen Situation. "China hat ein kommunistisches System und gilt schon daher als böse", so Sandschneider. Außerdem hatte Japan kein Problem mit den Menschenrechten. In dieser Hinsicht könne das Prinzip "Wandel durch Annäherung" in Peking jedoch positive Wirkungen zeigen, hofft Straubhaar. Amnesty International (ai) dagegen befürchtet, dass Menschenrechtsfragen in den Hintergrund gedrückt werden. "Es ist zu befürchten, dass Kritik an den Menschenrechten in Zukunft noch leiser geübt wird", sagt Ai-China-Experte Dirk Pleiter. Sandschneider kritisiert in diesem Zusammenhang eine gewisse "Verlogenheit" des Westens: "Er schaut nur dort genau hin, wo er glaubt, sich das machtpolitisch leisten zu können" - aber zum Beispiel einen Ölstaat wie Saudi-Arabien messe man mit anderen Maßstäben.
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Die grundlegend unterschiedliche Auslegung der Menschenrechte dürfte auch einer der Gründe sein, weshalb sich die Chinesen und nicht die Europäer im zurückliegenden Jahrzehnt massiv in Afrika engagiert haben: Berührungsängste gegenüber korrupten Regimen kannte man in Peking nicht.
Dabei beschränken sich Chinas Infrastrukturprojekte längst nicht mehr wie früher auf den Bau von Herrschaftspalästen und Sportstadien. Die Asiaten errichten Straßen und Kraftwerke, vor allem aber vergeben sie großzügig die dafür benötigten Milliardenkredite. Anders als westliche Regierungen verlangen sie auch nicht die Einhaltung von Umwelt- oder Sozialauflagen. Als Gegenleistung lässt sich China umfangreiche Förderrechte für diverse Rohstoffe übertragen.
"Afrika war für uns der vergessene Kontinent", sagt Straubhaar dazu. Wie wichtig die langfristige Verfügbarkeit von Rohstoffen einmal werden könnte, habe man im Westen nicht früh genug erkannt, was auch eine Frage des Planungshorizonts sei: "Chinesen denken in Generationen, Amerikaner und Europäer in Quartalsberichten. Das rächt sich irgendwann."
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Diese Haltung zeigt sich auch, wenn die Asiaten in einer westlichen Firma das Ruder übernehmen. "Die Erfahrungen sprechen eine völlig eindeutige Sprache", sagt Sandschneider: "Chinesen steigen unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Rendite ein und versuchen sehr viel weniger als amerikanische Investoren, Einfluss auf die Geschäftspolitik zu nehmen."
Dennoch dürften die betroffenen Beschäftigten den Einzug neuer Gesellschafter aus China mit gemischten Gefühlen sehen. Dies könnte auch den Mitarbeitern des Hamburger Flughafens bevorstehen. Denn der chinesische Touristik- und Logistikkonzern HNA Group gehört zu den beiden Bietern für einen 49-Prozent-Anteil an der Fuhlsbütteler Flughafengesellschaft.
Ein solches Investment wäre durchaus folgerichtig, denn schließlich ist Hamburg schon jetzt eine Hochburg der Chinesen. Mehr als 400 Unternehmen aus dem Riesenreich haben sich bereits in der Hansestadt niedergelassen. Bei allen Vorteilen, die die starke Konzentration der deutschen Wirtschaft auf China in Zeiten boomenden Welthandels hat, sieht Straubhaar auch Risiken: "Wir haben uns sehr stark in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von China begeben und andere Märkte wie etwa Indien, Indonesien, Mexiko oder die Türkei nicht genug beachtet."
Doch solche Erkenntnisse helfen derzeit wenig. Jetzt geht es darum, zusammen mit Peking eine drohende globale Rezession abzuwenden. "Die Chinesen wissen, dass wir alle in einem Boot sitzen", sagt Sandschneider. "Mittlerweile hat sich in der Weltwirtschaft eine Vernetzung entwickelt, die Abhängigkeiten ganz neuer Art schafft." Denn längst ist die Wirtschaft in Europa und den USA darauf angewiesen, dass das Wachstum in China hoch bleibt - und dies ist keine Selbstverständlichkeit. "Innenpolitisch ist China alles andere als stabil", weiß Sandschneider.
Sozialen Sprengstoff liefert nicht zuletzt das enorme Wohlstandsgefälle zwischen den Industriezentren an der Küste und den noch immer von der Landwirtschaft geprägten, rückständigen Provinzen im Landesinneren des riesigen Reiches. "Es gibt keine Garantie dafür, dass dies der Regierung nicht aus dem Ruder läuft", so der DGAP-Wissenschaftler.
Sollte der Balanceakt misslingen, wäre Schadenfreude im Westen fehl am Platz. "Wir müssen ein Interesse daran haben, dass China stabil bleibt", sagt Sandschneider. Schließlich bilden die Volkswirtschaften Chinas, Europas und Amerikas so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft. In dieser Beziehung aber seien die Chinesen künftig nicht mehr der Juniorpartner, so der Experte: "Für die Europäer geht es um nichts weniger als darum, einen erfolgreichen Abstieg zu gestalten."