Die 39 Jahre alte Unternehmerin chartert Barkassen, um ihren Kunden Hamburg näherzubringen. Auf der Elbe fand sie ihre Berufung.
Hamburg. Windböen zerren an den Landungsbrücken, Regen peitscht den Menschen ins Gesicht. In der roten Barkasse der Maritimen Circle Line sitzen trotz des herbstlichen Wetters gut 20 Gäste und warten auf ihre Hafenrundfahrt. Einige davon hat Maike Brunk, 39, selbst mitgebracht. Denen will sie jetzt etwas erzählen.
Normalerweise würde gleich nach der Abfahrt der Schipper, der Kapitän der Barkasse, zum Mikrofon greifen und seine Passagiere launig durch den Hafen kommentieren. Das übernimmt Brunk bei dieser Fahrt. Heinz Hensel, 73, konzentriert sich am Steuer auf Wind und Welle vor dem Schiff. Das Wasser steht hoch an diesem Mittag, Westwind hat den Pegel der Elbe zusätzlich zur Flut nach oben gedrückt. Deshalb kann die Barkasse "Ballinstadt" das gleichnamige Museum der früheren Auswandererstadt auf der Veddel bei dieser Runde nicht anlaufen. "Wir wollen ja nicht an einer Brücke hängen bleiben", sagt Brunk.
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Die Einschränkung bei der Tour ist schnell vergessen, denn die Hafenrundfahrt mit Brunk klingt anders als erwartet. Anstatt die immer gleichen Anekdoten und Witzchen der Barkassenschiffer zu imitieren, nimmt Brunk ihre Gäste mit auf die Reise. Geduldig fragt sie ins Publikum hinein: Welcher Hafen Europas ist größer als Hamburg und kleiner als Rotterdam? Antwerpen. Fallen Containerstapel bei starker Schlagseite vom Schiff? Ja, sonst würde es irgendwann kentern. Wo landeten die Gummienten, die bei einer Havarie eines Containerschiffes vor Seattle in den Pazifik fielen? Einige wurden mit der Meeresströmung bis an die deutsche Nordseeküste gespült.
Brunk, die aus Ostenfeld bei Husum stammt, ist voll in ihrem Element. Die Barkasse passiert den Ellerholzhafen, die Norderwerft am Reiherstieg, die Baustelle der Elbphilharmonie. Am Kai des Museums für Arbeit beim alten Stückgutfrachter "Bleichen" legt die Barkasse an, lässt Gäste von Bord und nimmt neue auf. "Es war eine Schnapsidee, geboren bei einer Weihnachtsfeier 2006", erzählt Brunk, wie sie Fremdenführerin wurde. Damals verdiente die studierte Wirtschaftsinformatikerin ihr Geld mit der Vermarktung von Software im Außendienst. 2007 machte sie sich selbstständig mit der Organisation und Führung von Hafentouren.
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Mit ihrer Firma Hamburger Elbinsel-Tour bietet Brunk eine Vielfalt von Ausfahrten in und um den Hafen an. "Von zwei bis 200 Leute" nehme sie mit, zu Firmenausflügen, Geburtstagsfeiern, Bildungsreisen. Das muss nicht immer per Barkasse sein, auch kombinierte Touren sind möglich. In ihrem Prospekt steht unter anderem ein "Dämmertörn" mit dem Doppeldeckerbus über die Köhlbrandbrücke zu den Containerterminals. Die Preise für die individuellen Fahrten werden verhandelt. Die Teilnahme an den dreistündigen Sonntagstörns, die Brunk von Mai bis Oktober offeriert, kostet für Erwachsene 28 Euro und für Kinder von acht bis 15 Jahren zwölf Euro.
Fremdenführer gibt es viele an der Peripherie des Hamburger Hafens. Aber Brunk geht gezielt an die Landungsbrücken. Sie chartert für ihre Kunden Barkassen oder größere Ausflugsschiffe und gestaltet die Rundfahrten mit ihrem Programm dann selbst. Oder sie nimmt kleinere Gruppen mit an Bord, wie etwa bei der Maritimen Circle Line, die Barkassenrundtouren zu historischen Orten im Hamburger Hafen veranstaltet. Dass sie der Schipper dabei ans Mikrofon lässt, ist nicht selbstverständlich: "Das ist für mich der Ritterschlag, denn das hier ist ein sehr traditionelles Geschäft", sagt Brunk.
Mit der Welt der Barkassenfahrer ist die Fremdenführerin mittlerweile vertraut. Und sie weiß um die Härte des Wettbewerbs. "An den Landungsbrücken 1 bis 6 gibt es die meiste Laufkundschaft", sagt Brunk, "weiter in Richtung bis Brücke 10 ist es schwieriger." Obwohl die Zahl der Touristen am Hamburger Hafen stetig steigt, nehme der Konkurrenzkampf zwischen den Barkassenunternehmen weiter zu: "Die Kosten sind hoch, und ein verregneter Sommer wie dieser ist für viele der Barkassenbetreiber eine Katastrophe."
Brunk hat ihr Unternehmen mittlerweile auf ein solides Fundament gestellt, seit der Gründung fast 10 000 Besucher in den Hafen begleitet. "Ich konnte vom ersten Jahr an von dem Geschäft leben. Mittlerweile überlege ich, ob ich Personal einstellen soll - eine schwierige Entscheidung, denn bisher vermarkte ich mich ja vor allem selbst."
Ihre Kundschaft gewinnt die Jungunternehmerin vor allem über das Internet und durch Mundpropaganda. "Danke, das war klasse", verabschiedet sich ein junges Paar, das aus der Barkasse "Ballinstadt" am Anleger der Hamburg Port Authority in der Speicherstadt aussteigt. Über das Internetportal Xing waren die beiden auf die Touren von Brunk aufmerksam geworden.
Elbinsel-Tour wählte Brunk als Firmenname, weil sie ursprünglich vor allem Fahrten zur Elbinsel Wilhelmsburg anbieten wollte. Mit der Internationalen Bauausstellung und der wachsenden HafenCity rückt der lange vernachlässigte Stadtteil immer mehr ins öffentliche Interesse - und damit auch in den Fokus der Touristen.
Brunks spezielle Art, die Touren zu gestalten, schlägt sich auch beim Publikum nieder: "Gut 80 Prozent meiner Kunden sind aus Hamburg und nicht von außerhalb. Sie kennen Hafenrundfahrten, wollen aber dabei auch mal etwas Neues sehen und hören." Akribisch bereitet sich Brunk vor, liest Medienberichte über den Hafen und Bücher, schaut Dokumentationen an und spricht wo immer sie kann mit Menschen, die früher im Hafen gearbeitet haben. "Zeitzeugen sind für mich die wertvollste Quelle, weil sie persönliche Erfahrungen weitergeben können."
Aus all dem macht Brunk Hafentouren, die auch schlechtes Wetter vertragen. Die "Ballinstadt" legt nach gut eineinhalb Stunden wieder an der Landungsbrücke 10 an. Es regnet und stürmt, aber Brunk verabschiedet gut gelaunt ihre Gäste: "Im Hafen", sagt sie, "habe ich mein Glück gefunden."
Am Montag: Morgengrauen auf dem Fischmarkt
Alle Folgen der Serie www.abendblatt.de/hafenreport