Joachim Hunold machte Air Berlin zur zweitgrößten Fluggesellschaft des Landes. Nun übergibt er den Chefposten an Hartmut Mehdorn.
Hamburg. Ein Abschied wie dieser ist ganz bestimmt nicht nach dem Geschmack von Joachim Hunold, 61. Jeder, der ihn kennt, weiß: Der Mann mit dem fast kahlen Charakterkopf fühlt sich wohl, wenn es etwas zu feiern gibt - am liebsten natürlich Erfolge von Air Berlin. Doch schon seit Jahren sind Anlässe dafür selten geworden. Mit Bauchentscheidungen, Aggressivität und unerschütterlichem Optimismus hat Hunold "seine" Air Berlin nach dem Einstieg vor zwei Jahrzehnten zu Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft gemacht. Aber nun, da das Unternehmen auf eine gefährlich niedrige Flughöhe abgerutscht ist, soll ein anderer das Steuer herumreißen und den möglichen Crash abwenden.
Dieser andere, Hartmut Mehdorn, erscheint als Übergangschef eine naheliegende Wahl: Er ist ein alter Weggefährte Hunolds, er ist ein Wesensverwandter, er kennt als früherer Chef des Hamburger Airbus-Werks die Luftfahrtbranche sehr gut und sitzt zudem seit gut zwei Jahren im Verwaltungsrat von Air Berlin.
Vor allem aber hat er als Ex-Chef der Bahn Erfahrung in der Sanierung eines schlingernden Konzerns. Die ersten Einschnitte kündigte Hunold allerdings noch selbst an, bevor er gestern Vormittag überraschend seinen Rückzug zum 1. September bekannt gab. So werden mehrere unrentable Strecken gestrichen, unter anderem die Verbindung von Hamburg nach Frankfurt am Main, die Flotte wird um acht Maschinen verringert. All dies reiche jedoch womöglich noch nicht aus, um bis zum Jahresende wieder in die schwarzen Zahlen zurückzukehren, musste der scheidende Chef einräumen.
"Jetzt ist das Wachstum halt erst einmal zu Ende. Das, was nun kommt, ist nicht Hunolds Leidenschaft", sagt der Hamburger Branchenexperte Cord Schellenberg dem Abendblatt. Zwar hat sich Hunold mit seiner zuweilen raubeinigen Art nicht nur Freunde gemacht. Doch auch Gegner würden die Lebensleistung des Selfmade-Mannes aus Düsseldorf anerkennen, so Schellenberg: Abseits des Lufthansa-Konzerns sei Hunold "der einzig wirklich erfolgreiche Unternehmer in der deutschen Luftfahrt".
Dabei hatte er einen recht holprigen Start. Eine Sportverletzung setzte dem Traum, Pilot zu werden, früh ein Ende. Er begann ein Jurastudium, jobbte in der Düsseldorfer Altstadt als Kellner und heuerte schließlich als Kofferverlader am Flughafen an. Von dort wechselte er nach ersten Karriereschritten zum Ferienflieger LTU. Hier brachte er es bis zum Marketingchef, eckte dann aber beim Großaktionär WestLB an und verließ die LTU mit einer ansehnlichen Abfindung. Das war 1990. Im Jahr darauf investierte Hunold zusammen mit drei Partnern in die von Amerikanern gegründete Air Berlin, einen erfolglosen Charterflieger mit zwei uralten Jets.
Mit unbändigem Ehrgeiz setzte der frisch gebackene Unternehmer auf Expansion. Rückschläge schien er von nun an nicht mehr zu kennen. Mehr als durch die regelmäßigen Erfolgsmeldungen fiel er allerdings durch seine häufig nicht politisch korrekten Sprüche auf - so wie etwa mit diesem über die Auswahl von Flugbegleitern: "Friseusen nehmen wir besonders gern, für die ist Dienstleistung kein Fremdwort und der Job ein sozialer Aufstieg." Hunolds Lieblingsfeinde wurden die Gewerkschaften, deren Funktionäre er schon mal als "Betonköpfe" titulierte. Betriebsräte verhinderte er mit findigen Firmenkonstruktionen. Erst mit dem im Jahr 2007 vollzogenen Kauf der LTU, in der die Gewerkschaften traditionell eine starke Stellung hatten, änderte sich dies.
Air Berlin wurde im Laufe der Jahre aber nicht nur größer, sondern auch komplexer. Das Unternehmen ist im Charter- und Billigfluggeschäft tätig, hat Langstrecken im Programm und versuchte zudem, der Lufthansa auf innerdeutschen und europäischen Strecken immer mehr Geschäftskunden abzujagen - zwar durchaus mit Erfolg, aber auch die Kosten stiegen, was bei Branchenkennern wachsende Skepsis hervorrief.
Noch schwerer aber wiegt nach ihrer Einschätzung, dass Air Berlin bis heute wie ein mittelständisches Familienunternehmen geführt wird, obwohl Hunold nur noch mit 2,6 Prozent am Kapital beteiligt ist. Viele wichtige Entscheidungen fällte er nicht am Schreibtisch, sondern mit den engsten Mitarbeitern bei Pasta und Averna im Restaurant, nicht selten steuerte er die Airline von Sylt aus. Selbst bei weniger bedeutenden Geschäftsvorfällen musste die persönliche Genehmigung des Chefs eingeholt werden, was die Führung schwerfällig machte, wie es in Branchenkreisen heißt. Nicht einmal nach dem Börsengang im Jahr 2006 änderte sich daran etwas.
Hunold habe jedoch nicht nur versäumt, dem Unternehmen eine der Größe angemessene Struktur zu geben, er habe auch den rechtzeitigen Aufbau eines potenziellen Nachfolgers viel zu lange verhindert, meinen Experten. Der frühere Condor-Finanzchef Christian Debus, 40, der im Jahr 2009 in den Air-Berlin-Vorstand einrückte, galt bei vielen Beobachtern als Hoffnungsträger. Doch Anfang 2011 wurde der Zuständigkeitsbereich von Debus zurückgestutzt - weil er Hunold zu mächtig geworden war, wie man munkelte.
Schon seit Monaten wuchs aber nicht nur der öffentliche Druck auf Hunold angesichts der schlechten Zahlen. Mit dem Jahreswechsel 2010/2011 übernahm der frühere Metro-Chef Hans-Joachim Körber den Verwaltungsratsvorsitz, und seitdem drängte er darauf, die Fluglinie auf eine Zeit ohne Hunold vorzubereiten. Mit greifbaren Resultaten: Zum 1. September wird der Niederländer Paul Gregorowitsch, 55, der als Chef der Air-France-KLM-Tochter Martinair Sanierungsarbeit leistete, in den Vorstand einziehen.
Die Ernennung von Mehdorn zum Interims-Vorstandsvorsitzenden ist nach Einschätzung von Schellenberg jedenfalls eine gute Wahl, nicht zuletzt wegen der ausgezeichneten Kontakte des Ex-Bahn-Chefs: "So jemand bekommt überall sofort einen Termin." So könne Mehdorn, 69, auch ein "hervorragender Türöffner für einen ausländischen Manager" wie Gregorowitsch sein. An eine grundsätzlich andere Art als bei Hunold werden sich die Beschäftigten wohl nicht gewöhnen müssen. "Diplomat wollte ich nie werden" ist der Titel von Mehdorns Biografie.
Aber wer auch immer Air Berlin künftig lenken wird, stellt sich einer enormen Herausforderung. Nach drei Verlustjahren ist das Unternehmen ausgezehrt. Und noch immer steht der Beweis aus, dass eine Fluggesellschaft, die sich auf so vielen Geschäftsfeldern tummelt, profitabel sein kann. An der Börse ist man offensichtlich keineswegs überzeugt, dass dieses Modell wirklich funktioniert. Dort wird Air Berlin aktuell nur noch mit rund 210 Millionen Euro bewertet. Schon ein einziger Airbus A380 der Lufthansa ist teurer.