Experten sehen keinen Ausweg aus der Schuldenkrise. Die Probleme der USA könnten auf internationale Finanzmärkte übergreifen.
Amerikas gefährlicher Egoismus
Hamburg. Ein Kommentar von Olaf Preuß
Republikaner und Demokraten gebärden sich im US-Schuldenstreit wie mancher Formel-1-Pilot: mit Vollgas auf die nächste Kurve zu, die anderen werden schon ausweichen, und es bleibt schön spannend. Beide Parteien erhoffen sich vom beinharten Kampf um die Obergrenze für die US-Staatsschulden jetzt bereits Nutzen für die nächste Präsidentschaftswahl im Herbst 2012. Präsident Barack Obama von den Demokraten will wiedergewählt werden, die Republikanische Opposition sucht dessen Chancen dafür frühzeitig zu schmälern. Mit Blick auf die labile Weltwirtschaft ist das geradezu politisches Glücksspiel, jedenfalls blanker nationaler Egoismus der weltgrößten Volkswirtschaft. Der US-Regierung droht die Zahlungsunfähigkeit um den 3. August herum. Selbst wenn es zum schlimmsten Fall nicht kommen sollte, sendet Washington derzeit unentwegt Unsicherheit an die internationalen Finanzmärkte. Das ist das Letzte, was Politik und Wirtschaft in anderen ökonomisch strapazierten Ländern dieser Tage gebrauchen können.
Obendrein überdeckt der Streit um die Erhöhung der Schuldengrenze das eigentliche Hauptproblem der USA: Die Schuldenlast der Vereinigten Staaten wird weiter deutlich wachsen. Und es fehlt ein schlüssiges Konzept dafür, wie das Land diesen Trend drehen will. Denn Motor der Weltwirtschaft sind die USA längst nicht mehr.
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Die Lage bleibt verfahren. In der Nacht zu Dienstag (MESZ) wandte sich US-Präsident Barack Obama von der Demokratischen Partei erneut im Fernsehen an seine Landsleute. Diesmal beschwor er das Risiko einer "gefährlichen Wirtschaftskrise" für den Fall, dass sich Republikaner und Demokraten nicht schnell auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze für die USA einigen. Die Republikaner, die im Repräsentantenhaus - einer der beiden Kammern des US-Kongresses - die Mehrheit halten, geben sich davon weiterhin unbeeindruckt. Sie lehnen vor allem Obamas Forderung ab, dass eine Erhöhung der Schuldenobergrenze bis ins Jahr 2013 hin wirksam sein müsse - bis nach der nächsten Präsidentschaftswahl, die im November 2012 stattfindet.
Die bisherige Schuldengrenze von 14,3 Billionen Dollar haben die USA bereits im Mai erreicht - seitdem agiert die Regierung in Washington mit Haushaltstricks. In einer Woche allerdings, am 3. August, droht die US-Bundesregierung zahlungsunfähig zu werden. Die Einstellung von Überweisungen an Sozialhilfeempfänger, an Soldaten und Bedienstete von US-Bundesbehörden wäre dann die wahrscheinliche Folge. Denkbar wäre aber auch, dass die US-Regierung ihre Schulden teilweise nicht mehr bedient. Dann könnte der politische Streit in Washington schnell auf die internationalen Finanzmärkte übergreifen. "Die Uhr tickt, und der Streit muss umgehend beigelegt werden", sagte gestern Christine Lagarde, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in New York.
Inhaltlich könnten sich die beiden Parteien durchaus annähern. Die Demokraten wollen die Schuldenobergrenze um 2,4 Billionen Dollar anheben und die Ausgaben in den kommenden Jahren um 2,7 Billionen Dollar kürzen. Die Republikaner schlagen eine Anhebung der Schuldengrenze um 1,0 Billion Dollar vor und Ausgabenkürzungen von 1,2 Billionen Dollar. Die Republikaner lehnen Steuererhöhungen strikt ab, die Demokraten um Präsident Obama wollen Besserverdienende stärker finanziell fordern. Auch hier wären Kompromisse möglich. Doch das wichtigste strategische Ziel der Republikaner ist es, den Schuldenstreit in den Präsidentschaftswahlkampf hineinzutragen und ihn für Kampagnen gegen eine mögliche Wiederwahl Obamas zu nutzen. Allerdings ist eine solche Strategie schon einmal gescheitert. Im Jahr 1995 wurden die Zahlungen von US-Bundesbehörden zeitweise eingestellt, weil sich Demokraten und Republikaner nicht auf eine Erhöhung der Defizitgrenze einigen konnten - 1996 wurde Präsident Bill Clinton von der Demokratischen Partei wiedergewählt. Die Republikaner galten damals als Blockierer wichtiger Haushaltsentscheidungen.
An den internationalen Finanzmärkten könnte eine Zahlungsunfähigkeit der USA nach Einschätzung von Experten wesentlich mehr Schaden anrichten als der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008. Deshalb glaubt auch kaum jemand, dass es dazu tatsächlich kommt. "Spätestens wenn die Märkte nervös werden, wird man sich einigen", sagt Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Der Ökonom Jörg Hinze vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) glaubt "zu 90 Prozent, dass sich Republikaner und Demokraten einigen" werden. Zur Not könne Präsident Obama die Schuldengrenze immer noch mit einem Vetorecht anheben.
Die langfristigen wirtschaftlichen Probleme der USA aber würden auch mit einer kurzfristigen Einigung im Schuldenstreit nicht gelöst. In den kommenden Jahren dürfte die Verschuldung der weltgrößten Volkswirtschaft weiter ansteigen. "Die US-Wirtschaft ist heute bei Weitem nicht mehr so wettbewerbsfähig wie in den 90er- Jahren, als es der Regierung in Washington gelang, Haushaltsüberschüsse zu erzielen und das Staatsdefizit wieder zu senken", sagt HWWI-Ökonom Hinze. Hinzu kämen die heutzutage weit höheren Militärausgaben, da die Vereinigten Staaten militärisch auf der ganzen Welt stärker eingebunden seien als eineinhalb Dekaden zuvor. Schließlich mangele es auch an einer politischen Strategie: "Die US-Regierung muss die Einnahmenseite des Landes deutlich verbessern, aber dafür fehlt es an Mut", sagt Hinze. "Die Umsatzsteuer auf Konsumgüter oder Benzin etwa liegt weit unter dem europäischen Niveau."
So wird das Szenario von Zahlungsausfällen in den kommenden Tagen wohl noch bedrohlicher. Laut einer Analyse der Commerzbank müsste die US-Regierung für den August 130 Milliarden Dollar Ausgaben streichen, um im Fall der Fälle zahlungsfähig zu bleiben. Das wäre etwa Sold für Soldaten oder Gehalt für Bundesangestellte. "Werden derartige Kürzungen für mehr als einige Tage vorgenommen", heißt es bei der Commerzbank, "könnte dies die Wirtschaft in eine Depression stürzen."
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