Griechische Hilfsprogramme in Milliardenhöhe werden für Deutschland teuer, sagt Thomas Mirow, Präsident der Osteuropabank.
Hamburg. Griechenland braucht weitere Milliardenhilfen. Über die Zukunft der Hellenen, die Gefahren des Finanzmarktes und die Chancen der Osteuropäer sprach das Abendblatt mit dem Präsidenten der Osteuropabank Thomas Mirow, 58.
Hamburger Abendblatt: Griechenland entpuppt sich zunehmend als Fass ohne Boden. Sind die Hilfsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU-Kommission angemessen?
Thomas Mirow: Ich halte sie für notwendig. Es darf keine ungeordnete Staatspleite im Euro-Raum geben. Ich hatte aber von Anfang an meine Zweifel, ob das Paket ausreicht.
Kann man eine Staatspleite Griechenlands denn überhaupt verhindern?
Mirow: Sie ist abwendbar. Wir müssen uns über eines aber im Klaren sein: Es gibt keine einfache, bequeme, für Deutschland billige Lösung. Die Hilfsprogramme sind zwar so angelegt, dass im Idealfall keine unmittelbaren Kosten entstehen. Ob das gelingt, weiß man aber heute nicht.
Erwarten Sie eine Umschuldung?
Mirow: Ich denke, dass an einer Schuldenerleichterung kein Weg vorbeiführt. Griechenlands Wirtschaft ist nicht so stark, dass sie mit einer Schuldenquote von 150 bis 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts leben könnte. Das Ziel müsste es sein, in die Nähe von 100 Prozent zu gelangen. Einen solchen Schnitt würden die Steuerzahler zu spüren bekommen. Denn es ist offensichtlich so, dass ein erheblicher Teil der griechischen Staatsanleihen zumindest mittelbar bei der öffentlichen Hand liegt, weil die Papiere inzwischen von den privaten Banken an die Europäische Zentralbank abgegeben wurden oder von verstaatlichten Banken wie der Hypo Real Estate gehalten werden.
Es sieht so aus, als würden weitere Milliarden für ein neues Hilfspaket fällig ...
Mirow: ... das ist noch sehr freundlich ausgedrückt.
Wie lange ist es politisch durchsetzbar, weitere Rettungspakete zu schnüren?
Mirow: Wir sehen, dass die Bevölkerung in den finanzstärkeren Ländern immer weniger Verständnis dafür hat, für die Hilfen herangezogen zu werden. Gleichzeitig fühlen sich Menschen in den hoch verschuldeten Ländern bevormundet, weil die Rettungsschirme mit strengen Auflagen verbunden sind. Ich halte das für ein sehr ernst zu nehmendes Problem. Deshalb denke ich: Einen Schnitt zu machen ist besser als das, was wir seit vielen Monaten erleben.
Könnte es sein, dass man Griechenland fallen lässt?
Mirow: Griechenland wird nicht zusammenbrechen. Das politische und ökonomische Risiko ist so groß, dass man es nicht dazu kommen lassen wird.
Wie stehen die Chancen für eine stärkere Kooperation der europäischen Wirtschaftspolitik?
Mirow: Die Voraussetzungen dafür sind schlecht. Wir hätten zwar einen Bedarf nach mehr Europa, aber die Fliehkräfte in der EU sind größer geworden. Das liegt sicher auch daran, dass die ursprüngliche Botschaft, wonach die Einigung den Frieden sichert, für die inzwischen dritte Generation der Nachkriegszeit nicht mehr überzeugend ist - und es ist bisher nicht gelungen, eine neue Botschaft zu finden.
Wird sich die Euro-Zone vor diesem Hintergrund weiter vergrößern?
Mirow: Ich denke, dass keine Erweiterung der Euro-Zone in allernächster Zeit zu erwarten ist.
Gibt es in Osteuropa Staaten mit ähnlichen Schulden wie Griechenland?
Mirow: Bezogen auf die Staatsverschuldung ist nur Ungarn in einer schwierigen Lage. Aber in Rumänien und Bulgarien spielen griechische Banken eine wichtige Rolle, und in Rumänien sehen wir eine sehr hohe Inflation.
Brauchen auch diese Länder EU-Hilfe?
Mirow: Ich erwarte nicht, dass dort in nächster Zeit Hilfen der EU nötig sind. In Rumänien ist ohnehin bereits der Internationale Währungsfonds aktiv.
Seit Mai gilt die Arbeitnehmer-Freizügigkeit auch für osteuropäische EU-Staaten. Der Ansturm auf Jobs in Deutschland bleibt aus. Woran liegt das?
Mirow: In vielen Ländern vor allem in Polen, ergeben sich für junge Menschen inzwischen attraktive Arbeitsmöglichkeiten. Die großen Lohnunterschiede bestehen nicht mehr. Gerade die Entwicklung im westlichen Polen ist eine Erfolgsgeschichte, über die wir uns als Deutsche freuen sollten: Die Arbeitslosigkeit ist gering, die Städte boomen.
Was kann Deutschland tun, um vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels attraktiver für qualifizierte Ausländer zu werden?
Mirow: In erster Linie käme es darauf an, das Bild zu ändern, das sich über Deutschland im Ausland aufgebaut hat: Dass wir gar nicht besonders daran interessiert sind, qualifizierte Menschen aus dem Ausland hereinzuholen.
Die von Ihnen geleitete Osteuropabank will sich künftig auch in Nordafrika engagieren. Was ist das Motiv?
Mirow: Unsere Gesellschafter, zu etwa 60 Prozent Länder der EU, haben uns dazu aufgefordert. Tatsächlich liegt es nahe, denn trotz kultureller Unterschiede ähneln viele strukturelle Probleme in der Region denen Osteuropas: Der Mittelstand muss gestärkt werden, der private Bankensektor ist schwach, die Infrastruktur ist unterentwickelt.
Ist nach Ihrer Auffassung die Finanzkrise schon ausgestanden?
Mirow: Ich denke, die Rechnung für die Krise muss noch bezahlt werden. Die Industrieländer müssen sich fragen, ob ihr Konzept der Wachstumsstärkung durch billiges Geld zulasten anderer Teile der Welt tragfähig ist - denn dort führt dieser Kurs zu massiven Problemen etwa in Form von hoher Inflation.
Sind Sie für eine Finanztransaktionssteuer, um Spekulationen einzudämmen?
Mirow: Ich glaube, dass ein solches Instrument sinnvoll wäre. Es ist nicht einzusehen, dass sonst alle Formen wirtschaftlicher Betätigung besteuert werden, man aber immense Beträge bewegen kann, ohne dass dafür Steuern fällig werden. Allerdings ist der Finanzmarkt der internationalste Markt überhaupt, darum wäre ein nationaler Alleingang falsch. Dennoch sollte man für diesen Gedanken werben.
Sie sind in Paris geboren und sprechen perfekt Französisch. Hätte Sie das nicht für das Amt des Präsidenten des IWF qualifiziert, nachdem Dominique Strauss-Kahn zurücktreten musste?
Mirow: Eine solche Kandidatur war, was mich betrifft, reine Spekulation. Aber man muss sich ja auch nicht dafür schämen, wenn man als potenzieller Kandidat genannt wird.
Sollte an der IWF-Spitze weiter ein Europäer stehen, weil die Organisation in den nächsten Jahren nicht zuletzt die hiesige Schuldenkrise bekämpfen muss?
Mirow: Ich habe dieses Argument nie für stark gehalten. Schließlich haben wir jahrzehntelang die Auffassung vertreten, dass ein europäisch geleiteter IWF qualifiziert sei, mit Problemen in Südostasien umzugehen. Unabhängig davon halte ich Christine Lagarde für eine sehr überzeugende Kandidatin.
Sie waren unter anderem Hamburger Wirtschaftssenator und Staatssekretär. Können Sie sich vorstellen, in die Politik zurückzukehren?
Mirow: Ich habe eine wahnsinnig spannende Aufgabe und fühle mich in diesem Amt sehr wohl. Derzeit stehe ich im vierten Jahr meiner vierjährigen Amtszeit. Man muss abwarten, ob die Gesellschafter mir eine zweite Amtszeit vorschlagen. Ich halte es jedenfalls für sehr unwahrscheinlich, dass ich in die deutsche Politik zurückkehre. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt.