Bei der Grünen Woche wollten Regierungsvertreter aus 50 Ländern über die Welternährung diskutieren. Proteste begleiteten die Veranstaltung.

Hamburg/Berlin. Unter dem Eindruck des Dioxin-Skandals haben tausende Menschen am Sonnabend in Berlin für eine Wende in der Agrarpolitik demonstriert. Die Veranstalter sprachen von 22 000 Teilnehmern, andere Beobachter gingen von der Hälfte aus. Unter dem Motto „Wir haben es satt!“ forderten die Demonstranten gentechnikfreie, gesunde und fair produzierte Lebensmittel, eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft in Europa und eine tiergerechte und klimaschonende Landwirtschaft auf der ganzen Welt.

Rund 80 Traktoren führten den Protestmarsch an, der vom Hauptbahnhof durch das Regierungsviertel zum Brandenburger Tor zog. Ein Meer von grünen Luftballons und Transparenten schwebte über dem Zug. Zu lesen waren dort Slogans wie „Genfood ist beschissen, das soll jeder wissen“ oder „Blütenvielfalt statt Agrarwüsten“. Auch der aktuelle Dioxin-Skandal wurde immer wieder thematisiert: „Wir haben Dioxin im Essen satt“. Die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, Renate Künast, forderte ein klares Nein zur Massentierhaltung. Bei der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor appellierte die frühere Agrarministerin an die Bundesregierung: „Stecken Sie das Geld lieber in Öko, Regional und Bildung!“ Der Vorsitzende des Umweltorganisation BUND, Hubert Weiger, warb für eine Agrarwende – „nicht in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union“. Gleichzeitig drohte Weiger: „Wir kommen wieder nach Berlin, mit doppelt so vielen Leuten, wenn die Politik nicht endlich handelt.“

Mehr als 120 Organisationen aus ganz Deutschland hatten zu der Demonstration aufgerufen. Bei der Auftaktkundgebung am Berliner Hauptbahnhof prangerte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, mit Blick auf den Dioxin-Skandal vor allem Futtermittelhersteller an: „Diese kriminellen Hasardeure machen uns zu Endlagern für toxische Stoffe.“ Ein Teil der Bauern hatte mit einer Trecker-Sternfahrt zur Grünen Woche bereits am Vormittag gegen eine industrialisierte Landwirtschaft demonstriert. Beim Berliner Agrarministergipfel wollten Regierungsvertreter aus mehr als 50 Ländern über Handel und die Sicherung der Welternährung diskutieren sowie über faire Regeln auf den Weltmärkten.

(dpa/abendblatt.de)

Auch Bauernpräsident Gerd Sonnleitner will verlorenes Vertrauen zurückgewinnen - im Abendblatt-Interview:

Hamburger Abendblatt:

Wie hart hat der Dioxin-Skandal um verseuchte Futtermittel die deutschen Bauern getroffen?

Gerd Sonnleitner:

Für die direkt betroffenen Landwirte, deren Höfe zeitweise gesperrt wurden oder die ihre Tiere töten mussten, liegt der Schaden bei rund 100 Millionen Euro. Hinzu kommt, dass die Preise für Schweinefleisch und Eier seit Jahresbeginn um bis zu 30 Prozent gesunken sind. Auch gibt es eine vorsichtige Kaufzurückhaltung der Verbraucher, und Schlachtunternehmen wie Lebensmittelhandel nutzen die Situation aus, um die Preise zu drücken. Für viele Bauern ist die Lage daher existenzbedrohend.

Gibt es Hilfen für die Landwirte?

Sonnleitner:

Die Landwirtschaftliche Rentenbank stellt für betroffene Betriebe kurzfristig zinsverbilligte Kredite zur Verfügung. Wichtig ist aber vor allem, dass die Politik das Problem mit den Futtermitteln schnell und dauerhaft löst. Nur dann kann auch der Verbraucher wieder vertrauen.

Welche Konsequenzen sind zu ziehen?

Sonnleitner:

Bundesagrarministerin Ilse Aigner und ihre Kollegen aus den Bundesländern haben einen 14-Punkte-Plan vorgelegt, der unter anderem eine Verbesserung der Eigenkontrollen in den Betrieben, eine Zulassungspflicht für Futtermittelunternehmen und härtere Strafen vorsieht. Wenn dieser Plan konsequent umgesetzt wird, dann werden die Schlupflöcher für Kriminelle und Betrüger versperrt.

Wären aber nicht weitere Maßnahmen notwendig, etwa das Verbot von Fremdstoffen wie Frittenfett in Futtermitteln?

Sonnleitner:

Es gibt bei unserer freiwilligen Selbstkontrolle, dem QS-System, schon heute eine Positivliste mit den erlaubten Zusatzstoffen für Futtermittel, auf der verbotene Fette nichts zu suchen haben. Das Übel im vorliegenden Fall war eine hohe kriminelle Energie. Um das zu verhindern, muss es in den Produktionsabläufen künftig eine klare räumliche Trennung zwischen industriellen Fetten und Fetten für Nahrungsmittel geben. Das hat Frau Aigner auch vorgeschlagen.

Verbraucherschützer sehen einen Grund für den Skandal auch in der Massentierhaltung und in der Industrialisierung der Landwirtschaft.

Sonnleitner:

Eine solche Aussage ist falsch und hat mit den Fakten nichts gemein. Ich habe manchmal den Eindruck, hier wird ideologisch argumentiert und versucht, Medien zu instrumentalisieren. Wenn wir die Lebensmittelskandale der vergangenen zehn Jahre analysieren, dann haben die alle nichts mit großen oder kleinen, mit Öko- oder konventionellen Betrieben zu tun, sondern eben mit Betrug und kriminellen Handlungen außerhalb der Landwirtschaft.

Biobetriebe sind vom aktuellen Dioxin-Skandal aber nicht betroffen, weil hier bestimmte Fremdstoffe in Futtermitteln nicht zum Einsatz kommen dürfen.

Sonnleitner:

Dioxin und Industrieöle dürfen in der konventionellen Landwirtschaft auch nicht eingesetzt werden! Ich erinnere aber daran, dass es auch bei Ökoeiern in den vergangenen Jahren einen Dioxin-Skandal gegeben hat. Damals habe ich mich auch vor die Biobauern gestellt und aufgezeigt, dass dies ein Problem ist, das alle von uns treffen könnte.

Dennoch wünschen sich immer mehr Verbraucher Biolebensmittel aus artgerechter Tierhaltung. Wäre es nicht Zeit für eine neue Agrarwende?

Sonnleitner:

Wir haben derzeit rund fünf Prozent Ökolandwirtschaft in Deutschland, vier Prozent Marktanteil im Lebensmitteleinzelhandel. Nachfragen müssen es die Verbraucher schon. Wenn Sie sehen, wie wir den Tierschutz stetig verbessert haben und wie wir die Tiere mit wissenschaftlicher Unterstützung füttern, dann zeigt dies ein großes Maß an Verantwortungsbewusstsein auch unserer konventionell arbeitenden Bauernfamilien. Ich verwehre mich dagegen, dass man die Tierhaltung in der konventionellen Landwirtschaft generell infrage stellt, nur weil es jetzt einige kriminelle Handlungen durch Personen außerhalb der Landwirtschaft gegeben hat. Das trifft nicht den Kern des Problems.

Abgesehen vom Dioxin-Skandal: Wie stehen die deutschen Bauern generell da?

Sonnleitner:

Insgesamt beobachten wir eine weltweite Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, vor allem auch in bevölkerungsreichen asiatischen Ländern, eine damit verbundene höhere Nachfrage nach Agrarprodukten und daher auch anziehende Preise, wenn man einmal die aktuellen Probleme der Schweine- und der Legehennenhalter außen vor lässt.

Müssen sich die Deutschen auf höhere Preise einstellen?

Sonnleitner:

Die Lebensmittelpreise in Deutschland werden in diesem Jahr voraussichtlich leicht ansteigen. Dies wird sich aber auf dem Niveau der allgemeinen Preissteigerung bewegen.