In Niedersachen spricht Landwirtschaftsminister Lindemann von “kriminellem Handeln“, Schleswig-Holstein nennt das “Spekulation“.

Hannover. Gepanschtes Tierfutter mit dioxinhaltigen Fetten – das gibt es nach Vermutung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums bereits weitaus länger als seit März 2010. Der Dioxin-Skandal sei letztendlich wohl eine Panne beim illegalen und systematischen Vermischen technischer Fette mit Futterfetten, sagte Ministeriumssprecher Gert Hahne am Mittwoch und bestätigte einen Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Das ist die Logik, die dahinter steckt.“ Anders lasse es sich nicht erklären, dass die Firma Harles und Jentzsch ihre Fette jeweils so lange beprobt habe, bis die Dioxin-Grenzwerte unterschritten wurden. Dies erkläre wiederum, dass bei 2500 Proben von Tierfutter in Niedersachsen im Laufe des Jahres 2010 zunächst auch keine Grenzwertüberschreitungen entdeckt wurden.

Der Verdacht einer langen Praxis liege zudem nahe, weil die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Lieferanten der technischen Fette in Emden und dem schleswig-holsteinischen Auslöser des Dioxin-Skandals bereits seit längerem bestehen. Der am Mittwoch vereidigte neue niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) sprach in einer Regierungserklärung von „kriminellem Handeln“ bei der Panscherei. Die Notwendigkeit eines umfassenden Strukturwandels in der Landwirtschaft liefere der Skandal allerdings nicht. Eine nostalgische Verklärung traditioneller Produktionsweisen diene weder der Landwirtschaft noch dem Verbraucher. Frühere Agrarskandale hätten auch Bio-Betriebe betroffen. Unverzichtbar seien funktionierende Qualitätsmanagementsysteme und staatliche Kontrolle.

Diesem Verdacht geht auch die Staatsanwaltschaft Itzehoe nach. Sie ermittelt gegen Verantwortliche von Harles und Jentzsch. Unklarheit gab es zunächst darüber, seit wann für belastete und unbedenkliche Komponenten ein Vermischungsverbot besteht – seit sieben Jahren, stellte das Ministerium in Kiel am Mittwoch klar. Eine EU-Richtlinie vom 17. Dezember 2003 untersage es, „unerwünschte Stoffe“ so weit in Futtermittel einzubringen oder zu verdünnen, bis die zulässigen Höchstwerte erreicht sind.

Auf Panscherei mit dioxinhaltigen Fetten in Tierfutter schon weit vor März 2010 hat das Agrarministerium in Kiel keine Hinweise. „Wir haben keine Erkenntnisse, die eine solche Aussage bestätigen könnten“, sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert am Mittwoch in einer Reaktion auf die Vermutungen des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. „Da bewegen wir uns im Bereich der Spekulation“, sagte Seyfert.

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Labor verwechselt Proben - Pflichten für Hersteller verschärft

Als Konsequenz aus dem Dioxin-Skandal haben sich die Agrar- und Verbraucherminister von Bund und Ländern auf schärfere Versicherungspflichten für die Futtermittelhersteller geeinigt. Die Bremer Verbraucherschutzsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) kündigte am Dienstag nach einer Minister-Sonderkonferenz eine umfassende Haftpflicht für die Futterhersteller an, „die unabhängig von dem Umfang des Schadens greift“. Es gehe um einen stärkeren Schutz für betroffene Landwirte, so Rosenkötter. Zudem sollen die Verbraucher künftig auf der bundesweiten Plattform www.lebensmittelwarnung.de über möglicherweise gefährdete Produkte zentral informiert werden. Bund und Länder hätten sich auf einen gemeinsamen Aktionsplan mit 14 Punkten verständigt.

Nach der Konferenz mit Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) sagte Mecklenburg-Vorpommerns Minister Till Backhaus (SPD), es sei die grundsätzliche Einführung einer Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe beschlossen worden, die Futter für Fleisch-, Milch- und Eierlieferanten herstellen. Der Vorschlag Aigners, nur eine Zulassungspflicht für fettverarbeitende Betriebe einzuführen, „sei zu kurz gegriffen“ gewesen. Die Minister hätten damit den Vorschlag von Backhaus unterstützt.

Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsministerin Juliane Rumpf (CDU) zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis der Konferenz. „Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt“, sagte Rumpf nach dem Treffen. Rumpf nannte die strengeren Zulassungspflichten für Unternehmen, die Positivliste für Stoffe, die für die Futtermittelherstellung zulässig sind, die Vorgaben für betriebliche Eigenkontrollen sowie die Meldepflicht für Hersteller und Labore. „Wir konnten unsere schleswig-holsteinischen Vorstellungen und Forderungen im Verhandlungsergebnis erfreulich weitgehend unterbringen und sind heute einen wichtigen Schritt vorwärts gekommen hin zu einem verbesserten Verbraucherschutz in Deutschland“, resümierte Rumpf.

Unterdessen hat ein privates Labor in Kiel bestätigt, im Zuge des Dioxin-Futtermittelskandals die Ergebnisse zweier Proben aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein falsch zugeordnet zu haben. Bei der Verwechslung habe es sich um menschliches Versagen gehandelt, sagte der Geschäftsführer der international agierenden Labor-Unternehmensgruppe Agrolab, Paul Wimmer, am Dienstag in Kiel. So sei eine mit Dioxin sehr hoch belastete Probe aus Niedersachsen irrtümlich als unbelastet ausgewiesen worden.

Als der Fehler bekanntwurde, ließ Niedersachsen hundert landwirtschaftliche Betriebe nachträglich sperren. Die fälschlicherweise als hochbelastet klassifizierte Probe aus Schleswig-Holstein sei den Behörden zunächst nur unter Vorbehalt gemeldet worden, so dass die Verwechslung der Probenergebnisse im Norden keine Folgen gehabt habe, sagte Wimmer.

Der Fehler sei am 8. Januar passiert und durch interne Kontrollen des Labors am 11. Januar erkannt worden. Die landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt LUFA habe noch am selben Tag die falschen Angaben zurückgezogen, sagte Wimmer. Eine zweite und dritte Kontrolluntersuchung habe die extrem hohe Dioxin-Belastung in der niedersächsischen Futterfettprobe bestätigt.

Unterdessen waren nach Ministeriumsangaben in Niedersachsen weiterhin 879 Betriebe gesperrt. Von den zuständigen Kontrolleuren seien mittlerweile bereits mehrere hunderttausend Eier vernichtet worden, sagte Gert Hahne, Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums in Hannover. Dagegen wurde von den betroffenen Schweinen im Landkreis Verden noch keines geschlachtet. „Da kein Seuchenfall vorliegt, stehen die Tiere nach wie vor in ihrem Stall“, sagte ein Sprecher des Landkreises.

Die Sperrung von neun Schweinemastbetrieben in der Region Hannover wegen Dioxin-Verdachts ist aufgehoben. Damit ist dort kein Hof mehr gesperrt. Zugleich bestätigte sich der Verdacht bei Eiern, die die Behörden aus Geschäften und lebensmittelverarbeitenden Betrieben zurückgezogen hatten. Die Analysen des Lebensmittelinstituts Oldenburg hätten in zwei Proben eine erhöhte Belastung mit Dioxin ergeben, teilte die Region am Dienstag mit. Die Eier waren Ende 2010 von einem gesperrtenHof im Kreis Cloppenburg an zehn Geschäfte und Betriebe im und um Hannover gegangen.

Angesichts des Dioxin-Skandals fordern die Grünen in Niedersachsen ein Reinheitsgebot für Tierfutter. „Die Fleischtheke darf nicht zur Sondermülldeponie für hochtoxische Industrieabfälle werden“, sagte der agrarpolitische Sprecher der Landtagsgrünen, Christian Meyer, während einer Protestaktion vor dem Agrarministerium in Hannover. „Niedersachsen ist vom Agrarland Nummer 1 zum Skandalland Nummer 1 in Deutschland geworden“, betonte auch Grünen-Landeschefin Anja Piel.

Vom designierten Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU), der am Mittwoch im Landtag in Hannover vereidigt werden soll, erwarten aber nicht nur die Grünen schärfere Kontrollen und mehr Transparenz für die Verbraucher. Auch Linke und FDP forderten stärkere Kontrollen. „Dazu gehört, die Kürzungen beim Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zurückzunehmen“, sagte die agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Marianne König.

Um das Vertrauen der Verbraucher und den Schutz zu verbessern, forderten sowohl die FDP als auch das Landvolk Niedersachsen zusätzliche Richtlinien für den Umgang mit Tierfutter. Darin werden unter anderem die Zusammenlegung der Dioxin-Datenbanken des Umweltbundesamtes und des Bundesamtes für Verbraucherschutz sowie ein Verfütterungsverbot für unkontrollierte Tiernahrung gefordert. Das Landvolk fordert zudem Bürgschaften für unverschuldet in Not geratene Betriebe.

Derweil ist in Mecklenburg-Vorpommern wegen des Dioxinskandals nur noch ein Agrarbetrieb gesperrt. Wie das Agrarministerium am Dienstag mitteilte, ist die Sperre für den Schweinemäster aufgehoben, der Ferkel aus einem Betrieb in Thüringen bekommen hatte. Dort bestand der Verdacht auf Dioxin im Futter.Die Untersuchung von Fleischproben habe jedoch Dioxin weit unter dem Grenzwert ergeben. Die Ferkel aus dem Betrieb dürfen weiter gemästet werden. Gesperrt ist jetzt noch ein Puten-Betrieb. Die Futterproben hätten keine Dioxinbelastung ergeben, nun stehe noch das Ergebnis einer Fleisch-Untersuchung aus, sagte eine Sprecherin.

(dpa)