Der Schweinemarkt ist nach Ansichten des Bauernverbandes zusammengebrochen. Niedersachsen streitet derweil mit Ilse Aigner.

Rendsburg. Laut Bauernverband ist der Schweinemarkt in Schleswig-Holstein zusammengebrochen, da viele Betriebe ihre Tiere nicht mehr verkaufen könnten. Das sagte Stephan Gersteuer, Generalsekretär des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes über die aktuelle Lage. Das betreffe nicht nur die Betriebe, die aus Sicherheitsgründen vorübergehend gesperrt sind, sondern praktisch alle.

Auf einer Mitgliederversammlung an diesem Dienstag in Rendsburg will der Verband betroffene Bauern juristisch beraten, wie Schadensersatzforderungen durchgesetzt werden könnten. Außerdem solle über die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Klagevertretung informiert werden. Gersteuer betonte, dass in Schleswig-Holstein kein belastetes Fleisch festgestellt worden sei. Selbst bei den belasteten Futtermitteln sei davon auszugehen, dass die Dioxin-Grenzwerte nicht überschritten wurden, sondern lediglich bei Futterfett als einem beigemischten Bestandteil fertiger Futtermittel. Dies dürfte es aber betroffenen Bauern noch schwerer machen, Geld zu bekommen: "Es ist juristisch schwierig, ob der Verdacht einer Futtermittel-Belastung ausreicht für einen schadenersatzpflichtigen Sachmangel", sagte Gersteuer.

Trotz des Insolvenzantrages des Futterfett-Herstellers Harles und Jentzsch in Uetersen (Kreis Pinneberg) bestehe aber die Chance, Regressansprüche durchzusetzen. Das Versicherungsvertragsgesetz sehe vor, das die Ansprüche aus einer Haftpflichtversicherung nicht in die Insolvenzmasse fallen, sondern den Anspruchsberechtigten erhalten bleiben. Sollte es sich aber herausstellen, dass kriminelle Handlungen vorliegen, wäre dies wiederum in Frage gestellt, sagte der Generalsekretär des Bauernverbandes. Ansprechpartner für Regressforderungen seien zudem zunächst die Futtermittelhersteller. (dpa)

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Ilse Aigner und Niedersachsen im Streit

Der Dioxin-Verdacht gegen einen weiteren Futtermittelhersteller in Niedersachsen hat zum offenen Streit zwischen Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner und der schwarz-gelben Landesregierung in Hannover geführt. Aigner warf dem Land am Wochenende schwere Versäumnisse vor, forderte Ministerpräsident David McAllister (CDU) zum Durchgreifen auf und verlangte personelle Konsequenzen. Bei einem Besuch im niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz in Oldenburg am Freitagabend sei ihr der neue Verdacht gegen den Futtermittelhersteller in Damme (Landkreis Vechta) verschwiegen worden. „Das ist ein Skandal im Skandal“, sagte die CSU-Politikerin.

Der designierte niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann und Ministerpräsident David McAllister (beide CDU) wiesen die Vorwürfe zurück. „Einfach auf Zuruf der Bundesministerin werde ich garantiert keinen politischen Beamten, der derzeit das Krisenmanagement in Niedersachsen leitet, an die Luft zu setzen“, sagte Lindemann. Der künftige Minister will nach seinem Amtsantritt genau prüfen, „ob Fehler gemacht worden sind und dann über eventuell notwendige Veränderungen entscheiden“. Er schloss personelle Konsequenzen nicht aus. „Für das niedersächsische Personal ist Niedersachsen zuständig und nicht der Bund“, betonte er aber.

Auch Ministerpräsident McAllister reagierte mit Unverständnis auf die Kritik aus Berlin. „Jetzt geht es darum, dass wir in der Sache vorankommen. Dafür müssen die Verantwortlichen von Bund und Ländern weiterhin vertrauensvoll zusammenarbeiten“, sagte er. Das Thema sei viel zu ernst für parteipolitische Spielereien und auch für gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen den Ebenen.

Ähnlich äußerte sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle bei einer Rede auf einer FDP-Veranstaltung in Hannover: „Ein Schwarzer-Peter-Spiel ist hier völlig fehl am Platze“, sagte er. Die Bürger erwarteten, dass die staatlichen Stellen ihre Aufgaben erfüllten und sich nicht gegenseitig die Verantwortung zuschöben.

Als Konsequenz aus dem Skandal forderte Aigner für den Bund mehr Kompetenzen bei der Futtermittelkontrolle. „Gegenwärtig verbietet es mir das Grundgesetz, die Kontrollpraxis zu kontrollieren“, sagte sie. Sie wolle es jedoch nicht länger hinnehmen, dass „der Bund politisch haftbar gemacht“ werde, sobald es in einem Bundesland zum Skandal komme.

Trotz des heftigen Streits zwischen Bund und Ländern über den Umgang mit dem Dioxin-Skandal rechne sie mit einem gemeinsamen Vorgehen für mehr Sicherheit in der Futtermittelkette und mit Zustimmung der Länder zu ihrem Aktionsplan. Mit Blick auf die Ereignisse während ihres Niedersachsen-Besuches am Freitagabend, sagte Aigner: „Niedersachsen hat uns zugesichert, den Vorgang aufzuklären.“

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg bestätigte unterdessen ein Ermittlungsverfahren gegen den Futtermittelbetrieb in Damme. Der Betrieb hatte dioxinbelastete Fette vom Futterfetthersteller Harles und Jentzsch bezogen und soll seine Weiterlieferungen an Tierhalter nicht vollständig offengelegt haben. „Gegen Verantwortliche des Betriebes in Damme wird wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Futtermittelgesetzbuch und das Lebensmittelrecht ermittelt“, sagte die Oldenburger Staatsanwältin Carolin Castagna.

Im Zuge der Ermittlungen seien zwei Objekte in Damme und jeweils ein Objekt Sulingen und Steinfeld durchsucht worden. Es handele sich in allen Fällen um Gebäude des Unternehmens, sagte Castagna weiter. Bei den Durchsuchungen seien Firmenunterlagen und Proben von Futtermitteln beschlagnahmt worden. Die Auswertung der Unterlagen und die Analyse der Proben werde einige Zeit in Anspruch nehmen.

Nach dem neuen Dioxin-Verdacht gegen den Mischfutterhersteller in Damme waren 934 Höfe gesperrt worden. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Hannover sind unter anderem 110 Legehennenbetriebe, 403 Schweinemastbetriebe und 248 Ferkelmastbetriebe betroffen. Von der Firma in Damme gingen auch Lieferungen nach Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bayern.

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Nach anhaltender Kritik an ihrem Krisenmanagement im Dioxin-Skandal ist Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) mit einem Aktionsplan in die Offensive gegangen. In zehn Punkten werden darin schärfere Kontrollen von Futtermittelproduzenten und höhere Sicherheitsstandards gefordert. So will die Ministerin ein "Frühwarnsystem" installieren, um Probleme mit der Lebensmittelsicherheit zu erkennen. Amtliche Kontrollen sollen transparenter und besser werden. Sobald entdeckt werde, dass Lebensmittel mit Umweltgift belastet seien, müsse dies verpflichtend auch veröffentlicht werden.

Zweieinhalb Wochen nach der Entdeckung von dioxinverseuchtem Tierfutter kündigte Aigner zudem eine Verpflichtung für private Labore an, Grenzwertüberschreitungen den Behörden zu melden. In der Europäischen Union will Aigner schließlich eine sogenannte Positivliste durchsetzen, in der die Mittel aufgeführt sind, die bei der Futterherstellung verwendet werden dürfen. Auch will die Ministerin durch neue Vorschriften festlegen, dass Futterfette und Futterfettsäuren nicht mehr in solchen Anlagen hergestellt werden dürfen, die gleichzeitig Stoffe für die technische Industrie produzieren. Die als Verursacher des aktuellen Dioxin-Skandals geltende Firma Harles und Jentzsch im schleswig-holsteinischen Uetersen soll mit Dioxin belastete technische Mischfettsäure zu Futterfett verarbeitet zu haben.

Vor ihrem nun veröffentlichen Aktionsplan war Aigner massiv unter Druck geraten. Vor allem wurde ihr vorgeworfen, zu langsam und unangemessen auf die Verseuchung von Eiern und Fleisch reagiert zu haben. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte Aigner als "völlig überfordert" bezeichnet, Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hatte sogar den Rücktritt der Ministerin gefordert. Die Verbraucherorganisation Foodwatch nannte die Bundesregierung einen "Dienstleister der Futtermittelindustrie". Aigner sagte, in ihrem Haus wurden "alle Schritte eingeleitet, die wir einleiten konnten". Einen Rücktritt lehne sie deshalb ab. "Vielleicht hätte ich noch mehr kommunizieren müssen nach außen", räumte sie jedoch ein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab ihrer Verbraucherschutzministerin Rückendeckung. Sie habe als treibende Kraft und in richtiger Reihenfolge gehandelt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Bei der Vorstellung ihres Zehn-Punkte-Plans sagte Aigner: "Abseits der schrillen Töne der vergangenen Tage sind die meisten meiner Vorschläge auch bei der Opposition auf Zustimmung gestoßen." Zwar hatten zuvor die SPD-geführten Länder einen eigenen Katalog für sichere Futtermittel präsentiert, dennoch muss Aigner auf deren Zustimmung hoffen. Weil sie ihren Zehn-Punkte-Plan per Verordnung oder Gesetz umsetzen will, ist sie auf den Bundesrat angewiesen.

Hamburgs Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU), in dessen Ressort auch der Verbraucherschutz fällt, sieht wirkungsvolle Maßnahmen in Aigners Aktionsplan, um die Konsequenzen aus dem Lebensmittelskandal zu ziehen. "Diese stärken in erster Linie den Verbraucherschutz, ohne jedoch die Unternehmen vor unüberwindbare Schwierigkeiten zu stellen", sagte Wersich dem Abendblatt.

Von SPD und Grünen gingen die Attacken auf Aigner jedoch weiter. Künast nannte den Aktionsplan "schwammig". Die Vorschläge hätte "auch die Futtermittelwirtschaft selbst schreiben können", kritisierte die frühere Bundesverbraucherschutzministerin. Künast forderte, Aigner müsse sich endlich für eine Positivliste einsetzen. Diese soll vorschreiben, welche Stoffe bei der Tierfütterung eingesetzt werden dürfen. Aigner halte jedoch immer dagegen, dies sei nur auf EU-Ebene machbar, beklagte Künast. Dabei sei eine Positivliste nur durchzusetzen, "wenn Deutschland vorangeht". Die Lebensmittelexpertin der SPD-Fraktion, Kerstin Tack, wertete den Maßnahmenkatalog als ungenügend. Es fehlten unter anderem eine Senkung der Grenzwerte, ein Informantenschutz und die verpflichtende Prüfung jeder Futtermittel-Charge.

Aigner will ihren Plan am 18. Januar mit den Verbraucherschutzministern der Länder erörtern. Mit Blick auf diesen Termin sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), es gelte nun, "nicht nur zu reden und anzukündigen". Der Sprecher der Verbraucherorganisation Foodwatch, Martin Rücker, warnte: "Es darf dieses Mal keine Kompromisse mit der Futtermittellobby geben und keine weitreichenden Ausnahmen, die die Testpflicht löchrig machen."