Ungarn steht die Staatspleite ins Haus – doch die Politik Orbans lässt EU und IWF zögern. Fragen und Antworten rund um den Kreditpoker.
Brüssel/Frankfurt. Ungarn braucht dringend frisches Geld. Doch die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) zögern, dem Land Kredite zu geben. Denn der rechts-nationalistische Ministerpräsident Viktor Orban geht auf Konfrontationskurs zu den Helfern. Das wollen sich Brüssel und der Währungsfonds nicht bieten lassen – zumal dies ein verheerendes Signal nach Irland, Griechenland und Portugal senden würde.
Wann könnte es zu einer Pleite Ungarns kommen?
Zu einer Pleite kommt es wahrscheinlich, wenn sich Ungarn mit IWF und EU nicht auf ein Kreditabkommen einigen kann. Allerdings nicht sofort. Die Ungarische Nationalbank (MNB) hat nach eigenen Angaben Devisenreserven in Höhe von 37,8 Milliarden Euro. Eine Zeitlang - Experten sprechen von einigen Monaten – könnte sich Ungarn über den Zugriff auf diesen „Schatz“ finanzieren.
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Wie gefährlich ist dieses politische Tauziehen um ökonomische Hilfen für Deutschland und die Eurozone?
Ungarn ist wirtschaftlich ein eher unbedeutendes Land in Europa: Es erwirtschaftet nach Angaben der Berenberg Bank 0,8 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts – und damit weniger als Griechenland, das für 1,8 Prozent verantwortlich zeichnet. Auch als Importeur europäischer Waren spielt das Land kaum eine Rolle: Es bezieht zwar die Hälfte seiner Einfuhren aus EU-Ländern und beinahe ein Fünftel allein aus Deutschland. Damit gehen aber nur 1,3 Prozent der deutschen Ausfuhren in das osteuropäische Land. „Ungarn ist nicht groß genug, um den Rest des Kontinents ernsthaft ins Straucheln zu bringen“, betont Berenberg-Volkswirt Christian Schulz.
Was unterscheidet die Krise in Ungarn von der in Griechenland?
Griechenland gehört zu den 17 Ländern mit Euro-Währung, Ungarn nicht. Deshalb hat die Krise keine unmittelbare Auswirkungen auf den Euro. Ungarn wäre daher kein Fall für den Euro-Rettungsschirm EFSF. Das bedeutet aber nicht, dass die EU das Land alleine lassen würde.
Mit welchen Hilfen kann Ungarn rechnen?
Für die Nicht-Euro-Länder gibt es in der EU einen sogenannten „Notfallfonds“. Dieser Fonds wurde in der Finanzkrise 2008 erstmals von Ungarn in Anspruch genommen. Auch Lettland und Rumänien erhielten Geld aus diesem Topf. 2008 stellten EU und IWF 20 Milliarden Euro für Ungarn zur Verfügung, von denen dann etwa 15 Milliarden Euro abgerufen wurden. Der EU-Notfallfonds wurde 2009 verdoppelt und hat nun ein Volumen von 50 Milliarden Euro. Geld für Ungarn wäre also da.
Ist die EU zur Hilfe für Ungarn bereit?
Grundsätzlich ja. Was in Ungarn passiert, hat Auswirkungen auf den Rest der EU. Vor allem im Euro-Land Österreich ist die Sorge groß, die in Ungarn stark engagierten Banken könnten in den Sog einer Ungarn-Pleite gerissen werden. Die Zinsen für österreichische Staatsanleihen sind zuletzt stark gestiegen. In geringerem Umfang sind auch Institute aus Italien, Deutschland oder Frankreich in Ungarn engagiert. Eine Staatspleite könnte die Finanzbranche in neue Turbulenzen stürzen, warnt Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud: „Die Banken haben schon genug Probleme.“
Warum zögert die EU?
Wenn Ungarn Finanzhilfen bekommt, dann gemeinsam von EU und IWF. Beide sind aber besorgt über die Verfassungsänderungen der rechts-konservativen Regierung von Viktor Orban vom Dezember. Sie fürchten unter anderem, dass die ungarische Zentralbank nicht mehr unabhängig von der Regierung Entscheidungen treffen kann. Diese Unabhängigkeit ist aber im EU-Vertrag vorgeschrieben. Deswegen droht Ungarn auch ein Vertragsverletzungsverfahren bei der EU. Brüssel und der IWF wollen Budapest kein Geld geben, solange die Regierung den Kurs der Zentralbank bestimmen könnte. Sie dürften auch deshalb hart bleiben, weil sie an Ungarn ein Exempel statuieren können: Hilfe gibt es wie im Falle Griechenlands, Portugals und Irlands nur, wenn das Empfängerland im Gegenzug schwierige Reformen einleitet.
Kann Budapest seine Währung einfach abwerten oder Geld drucken?
Theoretisch hat Ungarn diese Möglichkeiten – anders als Euroländer wie Griechenland. Allerdings ächzt das Land bereits unter hohen Auslandsschulden: Diese zu bedienen würde noch schwieriger, wenn der Forint an Außenwert verliert. „Eine Abwertung kommt als Wunderwaffe nicht infrage“, betont Traud. Würde die Zentralbank hingegen die Notenpresse anwerfen, um mit frischem Geld Schulden zu begleichen, würde das den Druck auf die Preise weiter erhöhen. „Die Inflation ist in Ungarn schon ein Problem“, sagt Traud: „Es funktioniert offensichtlich nicht, die Schulden wegzuinflationieren.“
Welche Folgen hätte eine Pleite an den Finanzmärkten?
Noch sind an den internationalen Aktienmärkten kaum Auswirkungen zu spüren. Ungarn sei zu klein und eben kein Mitglied des Euroraums, heißt es bei Händlern. Andere Themen würden (noch) die Musik an den Börsen machen. Allerdings sind die Märkte nervös, die Stimmung könnte im Falle einer Pleite schnell drehen, glaubt Schulz: „Jedes kleine negative Ereignis kann Marktturbulenzen auslösen.“ (dpa/abendblatt.de)