Alles wurde mithilfe kleiner Kameras protokolliert: Liebesbeziehungen, Toilettenbesuche, Pausen...

Hamburg. Der Discounter Lidl soll seine Mitarbeiter systematisch überwacht haben. Dabei soll das Unternehmen in zahlreichen Filialen registriert haben, wann und wie häufig Beschäftigte auf die Toilette gehen, wer mit wem möglicherweise ein Liebesverhältnis hat und wer nach Ansicht der Überwacher unfähig ist oder einfach nur "introvertiert und naiv wirkt". Protokolliert wurde auf Hunderten Seiten auch, ob Beschäftigte tätowiert waren oder ob sie GEZ-Gebühren zahlen - alles mithilfe kleiner Kameras, die auch in Pausenräumen installiert waren. Das schreibt der "Stern" und beruft sich auf Lidl-Protokolle.

Durch die Enthüllungen ist der Discounter ins Visier von Datenschützern gerückt. Das Protokollieren eines Toilettenbesuchs und Ähnliches stelle einen schweren Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz dar, sagte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, dem "Stern". Das baden-württembergische Innenministerium hat nun Ermittlungen aufgenommen, da Lidl dort seinen Konzernsitz hat. Die mögliche Höchststrafe betrage 250 000 Euro, sagte eine Sprecherin.

Der Discounter räumte die Vorwürfe gestern zum Teil ein: In einzelnen Filialen seien Mitarbeiter möglicherweise mit Kameras bespitzelt worden. "Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass es dazu Aufträge gegeben hat", sagte Jürgen Kisseberth von der Lidl-Geschäftsführung. Er versicherte aber dem Abendblatt, es habe für Mitarbeiter "keine Konsequenzen aus den Ergebnissen gegeben". Zwei Detekteien hätten den Auftrag gehabt, in 219 Filialen in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein dort vermehrt vorkommende Diebstähle aufzudecken. In Hamburg sei ihm kein betroffenes Geschäft bekannt, so Kisseberth. Ulrich Meinecke von der Gewerkschaft Ver.di kritisierte, dass nur eine einzige der 45 Lidl-Filialen in Hamburg einen Betriebsrat besitze, und wies darauf hin, dass Ver.di im "Schwarzbuch Lidl" schon einmal ähnliche Machenschaften aufgedeckt habe. Grundsätzlich sei die Überwachung von Mitarbeitern an der Kasse aber in etlichen Handelsketten auch in Hamburg üblich, sagte Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Rainer Wend, verurteilte Lidl scharf: "Das ist ja schon krank", sagte er dem "Stern" und sprach von einer "menschenverachtenden Anmaßung".&160;