“Eine tolle Zeit, manchmal verrückt, immer aufregend“: So blickt Bahnchef Hartmut Mehdorn auf seine zehn Dienstjahre als Bahnchef zurück. Kurz vor seinem Rücktrittsangebot hatte er eine Unternehmensbilanz für 2008 mit Milliardengewinn präsentiert. Die Reaktionen auf seinen Rücktritt sind vielfältig.

Berlin. Der Datenskandal bei der Deutschen Bahn spricht gegen Hartmut Mehdorn. Die Zahlen, die er unmittelbar vor seiner Rücktrittserklärung präsentierte, sprechen aber für ihn: Der Konzern habe ein operatives Ergebnis vor Steuern von 2,5 Milliarden und nach Steuern von 1,3 Milliarden Euro erzielt, teilte die Bahn am Montag mit. Damit wurde allerdings das Ergebnis des Vorjahres (1,7 Milliarden) um 23 Prozent verfehlt.

Während der Schienenpersonenverkehr stabile Erträge lieferte und die Zahl der Reisenden um etwa 3,5 Prozent stieg, schlug die Krise beim Güterverkehr besonders im letzten Quartal voll zu. Das schlug sich in negativen Zahlen für das Gesamtjahr nieder: Schenker Logistics machte 40 Millionen, Schenker Rail 50 Millionen Minus. Hier seien etwa 5000 Menschen von Kurzarbeit betroffen; die Zahl werde in diesem Jahr voraussichtlich auf bis zu 8000 steigen.

Der Umsatz des Konzerns stieg den Angaben zufolge 2008 um 6,8 Prozent auf 33,5 Milliarden Euro. Bereinigt um die Zuwächse des vergangenen Jahres, die für etwa eine Milliarde Umsatz stehen, stieg der Konzernumsatz um 3,7 Prozent.

Rücktrittserklärung wegen Datenskandal

Nachdem er diese Zahlen in der Bilanzpressekonferenz präsentiert hatte, erklärte Hartmut Mehdorn seinen Rücktritt. Er habe dem Aufsichtsrat die Auflösung seines Vertrages angeboten, sagte der 66-Jährige vor den Journalisten. Bereits seit Wochen hatte es Forderungen aus Politik und Wirtschaft gegeben, Mehdorn an der Konzernspitze abzulösen - diese hatte aber stets erklärt, ein Rücktritt sei für ihn kein Thema.

Die Deutsche Bahn hatte zu Beginn des Jahres zunächst eingestanden, mehrfach umfassend die Daten ihrer Mitarbeiter mit denen von Lieferaten abgeglichen zu haben. Am Freitag erklärten die Bahn-Ermittler, E-Mails der Bahn-Mitarbeiter seien darauf geprüft worden, ob sie an Journalisten und Bahn-kritische Verkehrsexperten gerichtet waren. Zudem gestand der Konzern am Samstag ein, während der Streiks im Jahr 2007 E-Mails der Lokomotivführergewerkschaft GDL gelöscht zu haben.

Die Reaktionen auf Mehdorns Rücktritt sind vielfältig - das sagen die Politiker:

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) : "Ich habe das Rücktrittsangebot von Bahnchef Hartmut Mehdorn mit großem Respekt zur Kenntnis genommen. Der SPD-Politiker dankte am Mehdorn dafür, dass er in den vergangenen Jahren die Bahn zu einem modernen Dienstleister gemacht hat. "Dies ist eine enorme Leistung gewesen."

Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) : "Für die harte Sanierungsarbeit der letzten Jahre gebührt Herrn Mehdorn nachhaltige Anerkennung."

Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) : "Wir sollten jetzt nicht wegreden, was in mehr als zehn Jahren geschehen ist. Das sind Entwicklungen, die sich nicht nur in den Bilanzen zum Ausdruck bringen, sondern auch in der Qualität der Personenbeförderung, die viele ja auch nutzen."

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla : "Mehdorn hat in den vergangenen Jahren Enormes für die Deutsche Bahn geleistet." Der Bahnchef habe die Aktiengesellschaft umgebaut und damit die Voraussetzung geschaffen, dass es zu einem Börsengang oder mindestens zur einer Privatisierung komme. "Hierfür danken wir ihm ausdrücklich."

Linksfraktionschef Gregor Gysi : "Das Rücktrittsangebot von Mehdorn war überfällig. Der Schaden, den der uneinsichtige Bahnchef angerichtet hat, ist riesig; das Image der Bahn für lange Zeit ramponiert."

Grüne-Fraktionschef Fritz Kuhn : "Dieser Rücktritt ist überfällig. Leider hat die Bundesregierung wertvolle Zeit für einen personellen Neuanfang verloren. Der mögliche Nachfolger darf nicht aus dem System Mehdorn kommen."

Bahnchef Hartmut Mehdorn selbst: Lesen Sie auf der nächsten Seite Mehdorns Rücktrittserklärung im Wortlaut.

Folgende Erklärung hat Mehdorn im Anschluss an die Bilanzpressekonferenz verlesen:

"Meine Damen und Herren,

lassen sie mich an dieser Stelle auch noch einige Sätze zu den Vorgängen sagen, die im Zusammenhang mit unserem Kampf gegen Korruption und andere Wirtschaftsdelikte stehen.

Wie Sie wissen, hat es am Freitag im Aufsichtsrat einen Zwischenbericht der unabhängigen Ermittler in dieser Sache gegeben. Dabei ist für uns deutlich gewordne, dass nach dem Stand der Ermittlungen keine strafrechtlich relevanten Fehlhandlungen der DB AG oder einer ihrer Mitarbeiter festgestellt worden sind.

Es handelt sich hier nicht um einen Datenskandal, sondern um eine Kampagne zur Veränderung der Unternehmensführung und der Unternehmenspolitik. Dies zeigt allein die Entwicklung des sogenannten Skandals.

Im Zusammenhang mit den Datenscreenings gibt es keine Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten von DB-Mitarbeitern oder Organen. Dies haben die Sonderermittler des Aufsichtsrats in der Sitzung vom 27. März mehrfach betont.

Wenn überhaupt, kann es hier im Einzelfall zu bloßen Ordnungswidrigkeiten gekommen sein. Gegen gesetzliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ist ebenfalls nicht verstoßen worden. Auch soweit die Einbindung von externen Ermittlern in die Korruptionsbekämpfung der DB in Rede steht, liegen nach derzeitigem Kenntnisstand keine Nachweise für rechtswidriges Verhalten von DB-Mitarbeitern vor."

Das nunmehr unterstellte unbefugte Ausspähen von E-Mails hat es bei der DB nicht gegeben. Das automatische Protokollieren von E-Mail-Adress- und Betreffzeilen sowie die Missbrauchskontrolle erfolgten nach den mit den Arbeitnehmervertretern in der aktuellen Konzern-Betriebsvereinbarung vereinbarten Grundsätzen. Nach derzeitigem Kenntnisstand gab es auch hierbei keine Rechtsverstöße.

Wie auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG als auch die Sonderermittler des Aufsichtsrats in der Sitzung am vergangenen Freitag betont haben, sind die Sachverhaltsaufklärungen zu diesem Punkt noch ganz am Anfang. Eine abschließende rechtliche Würdigung ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Wer dennoch bereits von der Verwirklichung von Straftatbeständen spricht, nimmt eine unzulässige Vorverurteilung vor."

Dies gilt ebenso für das behauptete Abfangen einer E-Mail der GDL während der Streikmaßnahmen im Oktober 2007. Wie sich bei näherer Betragung des Sachverhalts ersehen lässt, kam es hier aus technischen Gründen zu einem Zusammenbruch des E-Mail-Systems der DB. Grund war das Zusammentreffen zweier Massen-E-Mails, von denen eine die besagte E-Mail der GDL war. Die Nichtzustellung dieser E-Mail erfolgte zu recht aus Gründen der Sicherheit des EDV-Betriebsablaufs.

Zudem war die Nutzung des E-Mail-Systems zu Arbeitskampfzwecken durch die GDL rechtlich nicht zulässig. Nach Behebung des technischen Fehlers war die DB deshalb auch nicht zur nachträglichen Zustellung der GDL-E-Mail verpflichtet. Auch in diesem Einzelfall ist daher kein rechtswidriges Verhalten von DB-Mitarbeitern festzustellen.

Der Vorstand der DB AG hat, wie ich immer wieder gesagt habe, zu keinem Zeitpunkt derartige Datenabgleiche, E-Mail-Untersuchungen, Aufträge an Detekteien oder Verstöße gegen geltendes Recht veranlasst und auch nicht davon gewusst. Das alles, davon bin ich überzeugt, wird die laufende Untersuchung der Sonderermittler auch bestätigen."

Leider hat sich die aktuelle Diskussion jedoch längst von den Fakten abgekoppelt. Das Muster kehrt immer wieder: Zunächst waren es die Datenabgleiche. Die Empörung war groß, obwohl durch die Ermittler bisher nichts strafrechtlich Relevantes gefunden worden ist.

Selbst ob es sich überhaupt um Ordnungswidrigkeiten handelt, ist zwischen Juristen heftig umstritten. Nach den Datenabgleichen erzeugten Aufträge an die Firma Network große Aufregung. Auch hier gibt es nach intensiven Untersuchungen bisher keine Hinweise, dass DB-Mitarbeiter gegen Strafrecht verstoßen haben.

Vorverurteilungen, Verdächtigungen und Spekulationen haben ein Ausmaß angenommen, die selbst für mich - der einiges gewohnt ist - schwer erträglich sind. In einer solch aufgeheizten Atmosphäre ist eine faire Erörterung dieser - teils sehr komplexen rechtlichen Fragen - nicht mehr möglich. Selbstverständlich trage ich als Vorstandsvorsitzender die Gesamtverantwortung für das, was in der Deutschen Bahn passiert oder eben nicht geschieht. Und zwar unabhängig davon, ob ich es gewusst habe oder nicht.

Dieser Verantwortung will ich mich nicht entziehen. Das habe ich noch nie in meinem Berufsleben gemacht. Auch wenn ich mir persönlich nichts Unrechtes vorzuwerfen habe und mit mir im Reinen bin, so gilt es nun zuallererst, diese schlimmen, ja zerstörerischen Debatten für die Bahn zu beenden. Sie schaden nicht nur dem Unternehmen, sondern auch dem Wirtschaftsstandort, ja dem ganzen Land."

Meine Damen und Herren,

wir befinden uns derzeit am Beginn einer schweren, weltweiten Wirtschaftskrise, die auch für die DB AG und ihre Mitarbeiter gravierende Auswirkungen haben wird. Sie haben dies an den Trends für 2009, die ich Ihnen soeben vorgestellt habe, bereits sehen können.

Es ist für mich sehr bedrückend, dass sich Eigentümer, Mitarbeiter und Management jetzt nicht mit aller Kraft auf die Lösung der sich daraus ergebenden Probleme konzentrieren können. Unsere Arbeit der letzten Jahre hat bewiesen, dass dieser Vorstand das Unternehmen und sein Geschäft versteht und deshalb gerade jetzt zur Gestaltung und Zukunftssicherung in schwierigen Zeiten gefragt ist.

Sie wissen, wir erleben die schlimmste Rezession in der Nachkriegsgeschichte. Keine Frage, ein Führungswechsel ist in solch schwieriger Lage nicht ohne zusätzliches Risiko. Aber das - meine Damen und Herren - müssen andere verantworten. Ich habe dem Aufsichtsratsvorsitzenden daher die Auflösung meines Vertrages angeboten. Ich werde mit ihm die Einzelheiten noch in dieser Woche besprechen. Ich gehe davon aus, dass der Aufsichtsratsvorsitzende noch vor der Sommerpause einen Nachfolger präsentieren wird."

Gestatten Sie mir abschließend noch einige persönliche Anmerkungen: Meine fast zehn Jahre bei der Bahn waren eine tolle Zeit. Manchmal ein wenig verrückt. Immer aufregend. Vor allem die Zusammenarbeit mit den Menschen hat mich stets angetrieben. Wir Bahner haben in dieser Zeit gemeinsam unheimlich viel erreicht. Das hätte uns Ende 1999, als ich zur DB kam, wirklich niemand zugetraut. Darauf blicke ich mit Dankbarkeit und auch einem gewissen Stolz zurück. Ich danken Ihnen, dass Sie mir zugehört haben."