Landwirte drohen mit Lieferstopp. Markenverband berichtet von rüden Methoden der Einzelhändler. Es geht um Macht und Marktanteile.

Hamburg. Das hat es in Deutschland schon seit Jahren nicht mehr gegeben: Allein seit dem 3. November 2008 hat der Lebensmitteleinzelhandel fünfmal in Folge die Preise für einen Teil seiner Produkte gesenkt. Allen voran die Discounter: So teilten Aldi, Lidl und Penny gestern in großen Zeitungsanzeigen weitere Kürzungen mit - etwa für Hähnchenbrust (Penny, 29 Prozent), Syrah-Rotwein (Lidl, 27 Prozent) oder Südamerikanische Rindersteaks (Aldi, minus zehn Prozent). Seit Jahresbeginn haben Aldi und Lidl jeweils hundert Produkte reduziert.

Die Gründe für den seit Wochen anhaltenden Preiskampf in der Branche liegen auf der Hand: Die Discounter wollen die Verbraucher dazu ermuntern, auch in Zeiten der Finanzmarktkrise fröhlich einzukaufen - und sie wollen verhindern, dass Edeka, der deutsche Marktführer im Lebensmitteleinzelhandel, seine Position weiter ausbauen kann. Denn mit der kürzlich erfolgten Übernahme des Discounters Plus (2300 Filialen) von der Tengelmann-Gruppe verstärkt Edeka seine Bemühungen in der Discountschiene, einem Terrain, das bisher ausschließlich die traditionellen Billigheimer wie Lidl, Aldi und Co. für sich beanspruchten. Verstärkt wird die Bedrohung durch die Tatsache, dass Edeka auch den Discountfilialisten Netto besitzt. Der war bislang mit 1500 Betrieben vergleichsweise klein und damit von den Großen der Branche weniger beachtet gewesen. Doch gemeinsam mit den Plus-Filialen kommt Netto auf 3800 Betriebe und wird damit der drittgrößte Discounter in Deutschland.

Während sich die Verbraucher über sinkende Preise als Folge des Kampfes um Marktanteile freuen können, sind die Leidtragenden die Hersteller von Lebensmitteln und die Landwirte, die darauf angewiesen sind, dass der Handel seine Produkte zahlreich und ansprechend in den Verkaufsregalen präsentiert. Die Bauern sind alarmiert. Vor allem der Preis für Milch hat sich seit Sommer halbiert. 20 Cent bekommen die Milchbauern mancherorts nur noch für den Liter. Im vergangenen Sommer hatten sie gestreikt, um einen Preis von 40 Cent durchzudrücken. Auch jetzt erwägen sie wieder Maßnahmen. Romuald Schaber vom Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter drohte für die kommenden Wochen einen Lieferstopp an, falls sich die Lage an der Preisfront aus Sicht der Erzeuger nicht wieder entspannt.

"Wenn das so weitergeht, sind Insolvenzen nicht mehr auszuschließen", sagte Ilka Houben vom Markenverband, der die Hersteller vertritt, dem Abendblatt. Vor allem Mittelständler, die dem Preisdruck wenig entgegensetzen können, könnte es treffen. Die guten alten Zeiten, als sich die Händler einmal im Jahr mit ihren Lieferanten trafen, um Preise und sonstige Konditionen zu verhandeln, sind längst vorbei. "Heute können sich die Hersteller nicht mehr darauf verlassen, dass das, was in den Jahresgesprächen vereinbart wurde, auch wirklich gilt", so Houben. Um die Forderungen der Hersteller zu unterwandern, seien die Händler sehr fantasievoll. "Da werden Werbungskostenzuschüsse verlangt, damit das Produkt des Herstellers auch im Werbeprospekt oder in der Zeitungsanzeige erscheint", so die Verbandssprecherin. Zudem würden Händler ohne Vorwarnung die Zahlungsfristen verlängern, also nicht nach zwei, sondern erst nach vier Wochen die Rechnung bezahlen. "Das kommt einem zinslosen Lieferantenkredit gleich", so Houben, die genauso wie Verbraucherschützer davor warnt, dass zu niedrige Lebensmittelpreise zulasten der Qualität gehen. Zudem würde die Vielfalt verloren gehen, wenn die Hersteller aufgrund von Preisdiktaten des Handels bestimmte Produkte nicht mehr produzieren könnten.

Und genau dies, so fürchten Verbraucherschützer, bemerkt der Kunde nicht. Die niedrigen Preise sind willkommen, weil sich die Menschen in Krisenzeiten zum Trost gern etwas gönnen. Wer sich den Restaurantbesuch nicht mehr leisten mag, bleibt zu Hause - und genießt die Vorräte, hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) herausgefunden. Frei nach dem Motto: "Wenn schon kein neuer Kühlschrank drin ist, soll der alte wenigstens gut gefüllt sein." Der Lebensmittelhandel profitiert davon.