Das Erfolgsmodell von einst steckt in einer tiefen Krise. Die veralteten Konzepte von Hertie, Horten, Kaufhalle und Co.locken heute kaum noch Kunden. Vor allem kleinere Städte und Gemeinden leiden unter dem Niedergang der Ketten.

Hamburg. Am Ende war es wieder eine Heuschrecke. Das macht die komplizierte Sache einfacher, gerade in dieser krisenhaften Zeit. "Ja", sagte der Insolvenzverwalter Biner Bähr gestern bei einer Pressekonferenz in Essen auf die Frage, ob der britische Investor Dawnay Day "eine schreckliche Heuschrecke" sei. "Normalerweise nehme ich das Wort nicht in den Mund", sagte Bähr, "aber diesmal ausnahmsweise: Ja."

Bähr ist dabei, das Traditionsunternehmen Hertie abzuwickeln. Genau genommen versucht er es zu retten, aber die Chancen dafür schwinden mit jedem Tag. 19 von 73 Hertie-Kaufhäusern werden, als eine Art letzte Hilfe, demnächst geschlossen. 650 von 3400 Mitarbeitern verlieren ihren Arbeitsplatz. Auch die Filiale in Langenhorn wird es treffen (siehe Reportage unten). Der Tod in Etappen ist Teil eines langen und quälenden Niedergangs der einst so glanzvollen Warenhauskette. Deren frühere Perle, das Alsterhaus, begeistert noch heute die Kunden, doch der Konsumtempel am Jungfernstieg gehört schon längst nicht mehr zu Hertie, sondern zu Karstadt, heute Teil des Arcandor-Konzerns.

Der Heuschrecken-Alarm bei Hertie übertönt, dass die Ursachen für den drohenden Untergang des Unternehmens weit komplizierter sind. "Die allgemeine Krise der Gattung Kaufhaus spielt bei Hertie natürlich mit hinein", sagt Manuel Jahn vom Marktforschungsinstitut GfK Geomarketing in Hamburg. Diese Krise bedeutet, dass die Umsätze der traditionellen Warenhäuser und die Zahl ihrer Standorte Jahr für Jahr schrumpfen. Das Konzept "alles unter einem Dach" ist bei vielen Kunden zwar auch noch gefragt. Heute aber geht man nicht mehr einkaufen, sondern shoppen, und das soll sich anfühlen wie ein kleiner Abenteuerurlaub und nicht wie die Inventur in Großtantes Kleiderschrank. "Ein Konzept aus den 50er-Jahren", sagt Stefan Genth, Geschäftsführer beim Verband des deutschen Einzelhandels, "kann man heute nicht mehr weiterführen." Das Wirtschaftswunder der frühen Bundesrepublik ist endgültig vorbei, für die früheren Warenhausmarken Kaufhalle und Horten schon lange, für Hertie wohl demnächst und vielleicht auch bald für Karstadt.

Denn das richtige Verhältnis von "Breite" und "Tiefe" quält nicht nur Schüler im Geometrieunterricht, sondern vor allem die Manager des Einzelhandels. Soll das Sortiment im Kaufhaus möglichst breit sein, alle wichtigen Artikel auf überschaubarem Raum feilbieten wie auf einem Basar? Oder will der Kunde von heute nicht viel mehr Tiefe, eine große Auswahl von Markenartikeln an einem Ort, zum Beispiel bei Textilien? Berieselt man seine Kundschaft lieber mit "musac", wie der monotone Dauerfluss von Kaufhausschlagern früher genannt wurde? Oder stimuliert man gerade die jüngere Kundschaft am Kleiderständer nicht viel besser mit schwerer Artillerie aus dem vollen Techno-Rohr? "Der Aufstieg von spezialisierten Handelsketten und -marken wie Esprit, S. Oliver oder auch H&M hängt unmittelbar mit dem Niedergang der Kaufhäuser zusammen", sagt Manuel Jahn von GfK Geomarketing. "Deutschland hat heute den am stärksten differenzierten Einzelhandelsmarkt in Europa - und den mit der härtesten Konkurrenz."

Immer schneller verändern sich die Trends nicht nur bei den Produkten, sondern auch in der Art ihrer Präsentation. Wenn es das Management versäumt, darauf zu reagieren - so wie in den vergangenen Jahren in vielen Hertie- wie auch Karstadt-Kaufhäusern -, ähneln die Häuser am Ende eher den HO-Filialen der DDR als fröhlichen Einkaufsmeilen. Die Kunden sind verwöhnter denn je; sie zu locken erfordert weit mehr, als schicke Regale heimelig auszuleuchten. "Wo heute in der Ottenser Hauptstraße die Ladenpassage Mercado steht, stand früher ein Hertie-Kaufhaus", sagt Ulf Kalkmann, Geschäftsführer bei den Fachverbänden des Hamburger Einzelhandels. "Dieser Standort wurde geradezu idealtypisch weiterentwickelt. Das heutige Einkaufszentrum greift mit seiner Mischung aus Läden und Marktständen die kulturellen Eigenheiten des Viertels, dessen ,Multikulti-Charakter', genau auf. Diese Vielfalt im Einzelhandel wird weiter zu-, die Zahl der Warenhäuser weiter abnehmen."

Viele deutsche Topmanager - und solche, die sich dafür hielten - haben sich in den vergangenen Jahren bei dem Versuch übernommen, angeschlagene Handelsketten zu sanieren. Zuletzt scheiterte Anfang Dezember Thomas Middelhoff als Chef von Arcandor. Das Unternehmen, unter dessen Dach heute Karstadt firmiert, ist nach wie vor schwer angeschlagen und gehört mittlerweile zum Teil der Frankfurter Bank Sal. Oppenheim. Die erhoffte Trendwende hat Middelhoff nicht geschafft, weder durch straffe Rationalisierung noch mit dem Verkauf etlicher Warenhäuser. Immerhin machte er bei seinen Bemühungen eine bessere Figur als sein Vorgänger Wolfgang Urban, der gegen die Krise bei Karstadt unter anderem mit der Übernahme einer Kette von Fitnessstudios ankämpfte.

Zwar glänzen Tophäuser wie Karstadt in der Mönckebergstraße oder auch das Alsterhaus heute mit hochwertigen Sortimenten und fantasievoller Präsentation. Aber mit jedem Kilometer weg von den Zentren wohlhabender Städte wie Hamburg, Frankfurt oder München sinkt die Attraktion der Filialen. Das Karstadt-Kaufhaus an der Eimsbütteler Osterstraße scheint Lichtjahre von dem in der Mönckebergstraße entfernt. "Schlimm ist der Niedergang der Kaufhäuser vor allem für kleinere Städte oder Gemeinden, in denen die Filialen oft das Zentrum des innerstädtischen Einzelhandels bilden", sagt Ulf Kalkmann. "Werden sie geschlossen, leiden meist auch die kleineren Läden drum herum erheblich, weil die Kunden wegbleiben."

Karstadt wird im Zeichen dieser latenten Krise am Ende womöglich vom Konkurrenten Kaufhof übernommen werden, einem Tochterunternehmen des international agierenden Metro-Konzerns. Middelhoffs Weggang macht diese Lösung wahrscheinlicher. Metro-Chef Eckhard Cordes hatte den Arbeitnehmern von Kaufhof versprochen, das Unternehmen nicht an Karstadt unter der Führung von Middelhoff zu verkaufen. Aber auch eine Fusion wird das Problem am Kaufhausmarkt nach Einschätzung von Manuel Jahn von GfK Geomarketing nicht lösen: "Es entstünde ein neuer Handelsriese, der durch seine Größe zwar Vorteile hätte. Aber die Kaufhäuser würden dadurch im Vergleich zu anderen Ladenformen nicht unbedingt attraktiver werden."

Auch der drohende Untergang von Hertie ist letztlich nichts anderes als ein jahrelang verschleppter Virus aus der schweren Krise der Kaufhäuser in Deutschland. Schon im vergangenen Jahr musste Hertie Insolvenz anmelden, ruiniert von seinem Eigentümer, der britischen "Heuschrecke" Dawnay Day - geschwächt aber schon in den Jahren zuvor, als die 73 Kaufhäuser noch zu Karstadt gehörten.

Bislang ist unklar, warum Dawnay Day aus einzelnen Hertie-Filialen bis zu 20 Prozent des Umsatzes an Miete herauspresst. Marktüblich sind fünf Prozent. "20 Prozent sind von keinem Kaufhaus der Welt zu erwirtschaften", sagte gestern in Essen der Insolvenzverwalter Biner Bähr. Die Erklärung eines Marktkenners, der nicht genannt werden will, leuchtet allerdings ein: "KarstadtQuelle - heute Arcandor - hat seine 73 kleineren Filialen 2005 an Dawnay verkauft und sie auf diesem Weg quasi entsorgt. Man kann nicht sagen, dass die Briten den deutschen Kaufhausmarkt gut kannten, aber billiges Geld für die Übernahme war damals ja da." Nun nehme Dawnay alles mit, was noch mitzunehmen sei.

Bis spätestens Ende Februar muss Bähr einen neuen Investor finden. Das dürfte ihm schwerfallen, solange Dawnay die Mieten nicht senkt. Wenn Bährs Überzeugungskraft bei seinen geplanten Gesprächsterminen in London versagt, stirbt Hertie seinen zweiten Tod. Schon 1993, als Karstadt das Unternehmen schluckte, verschwand dessen Name weitgehend vom Markt. Dann durchwanderte Hertie den Verdauungstrakt von Karstadt und landete schließlich bei den Briten, die den alten Namen wiederbelebten. Doch dieser Traditionsname zieht in Zeiten von Hochglanz-Passagen und schrillen Trendläden längst nicht mehr.