In Zeiten des Abschwungs bezahlt der Staat die Verbraucher dafür, dass sie kaufen gehen. Konsum wird zur Bürgerpflicht - wie Wählen und Schneeschippen. Eine Polemik.

Langsam schiebt die Schrottpresse den schönen Mittelklassewagen zusammen, einmal längs, einmal quer. Hinten kommt ein Paket Stahl heraus, gut eine Tonne schwer, bereit zum Abtransport in den Schmelzofen. Ob's beim nächsten Mal wohl wieder ein Opel wird?

Die meisten Autos, die dieser Tage in die Pressen deutscher Schrottverwerter sinken, hätten gut noch ein paar Jahre auf der Straße dienen können, nicht nur als Sammeltaxi in Sierra Leone oder bei einer Miliz im Kongo, sondern ganz friedlich in Wuppertal oder Wandsbek. Seit der deutschen Einheit ist das Durchschnittsalter unserer Autoflotte von 6,3 auf 8,5 Jahre gestiegen - trotzdem sterben auf der Straße immer weniger Leute. Jahr für Jahr sinkt die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland, mittlerweile sind es weniger als 5000 jährlich. Lächerlich wenig, verglichen mit den Folgetoten fetter Weihnachtsgänse, von Alkohol- oder Nikotinmissbrauch.

Weil man das Sicherheitsargument leicht hätte entlarven können, wurde die "Abwrackprämie" von 2500 Euro je Altauto von der Bundesregierung offiziell als "Umweltprämie" deklariert: Die "Richtlinie zur Förderung des Absatzes von Personenkraftwagen", wie sie auch heißt, soll demnach die Umwelt entlasten. Dabei ist die Umweltprämie für die Umwelt genauso nützlich wie saurer Regen für den Wald: Die Verschrottung eines gerade mal neun Jahre alten Autos und der Erwerb eines neuen belasten Böden, Wasser und Klima - berechnet man Material- und Energieverbrauch für den Bau der Fahrzeuge - weit mehr als die schlechteren Abgaswerte des Altautos. Aber wer liest abends schon die Ökobilanz von Alt- und Neuwagen, wenn Deutschland im Fernsehen den Superstar sucht?

Die Abwrackprämie ist ein Hilferuf an die moderne Konsumwelt, eine Flucht nach vorn. Wenn die Menschen partout nichts Neues kaufen wollen, weil sie es nicht brauchen, dann muss man sie eben dafür bezahlen. So wird die Markt- zur Jahrmarktswirtschaft. In diesem Sinne diskutierten Ökonomen Ende vergangenen Jahres auch angeregt über die Verteilung von "Konsumschecks" an die deutschen Steuerzahler - einmalige Rückzahlungen von jeweils einigen Hundert Euro, um das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln. Die Fans der Sonderausschüttung setzten sich bei der Bundesregierung nicht durch. Hätten sie es getan, wären unter den deutschen Weihnachtsbäumen womöglich noch viel mehr Krawatten, Duftwässerchen oder Pralinenschachteln gelandet - finanziert aus Steuergeld, für das man auch Straßen, Schulen oder Kinderkrippen bauen kann.

Für die strapazierte Wirtschaft ist die Abwrackprämie auf den ersten Blick natürlich ein Riesenerfolg, nicht nur für Matthias Wissmann, den Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie. Mit Begeisterung flaggen nun im ganzen Land Einzelhändler für ihre Restposten "Abwrackprämien" aus; dafür sammeln sie von ihren Kunden alte Schuhe und Socken ein, alte Kühlschränke, Kameras oder Reisekoffer, uralte Handys von 2008 oder Computer, die so groß sind, dass man sie tatsächlich noch in einer Tasche tragen muss. Auch in der rumänischen Walachei freut man sich über die staatlich geförderte Massenverschrottung in Deutschland: Der Hersteller Dacia, eine Tochter des Renault-Konzerns, kommt mit der Produktion seines Billigautos "Logan" für den deutschen Markt kaum mehr nach, die Wartezeit beträgt Monate.

In dieser doch recht turbulenten Phase unserer Wirtschaft geht es längst nicht mehr um Rationalität oder um einfache Gleichungen von Angebot und Nachfrage. Es geht um ein gutes Gefühl: "Wir kommen da wieder raus" - das ist die frohe Botschaft aus Berlin -, "wir von der Regierung helfen euch, wenn ihr uns auch helft und fleißig einkauft." So werden aus alten Autos neue, und aus alten Ideen ebenfalls. Zum Beispiel aus der Vorstellung, dass der Staat es schon richten wird. Wer erinnert sich noch an den freien Markt?

Vor vielen Jahren gab es in der Europäischen Union gewaltige Butterberge und Milchseen, wurde subventioniertes Obst und Gemüse zu Tausenden Tonnen auf Müllhalden oder ins Meer gekippt. Irgendwann reifte die Erkenntnis, dass an diesem System etwas faul ist, und es wurde beseitigt. Jetzt bauen wir Autos auf Halde, sie stehen in den Häfen auf riesigen Parkplätzen. Man kann sie weder einfrieren noch in der Nordsee verklappen. Vielleicht gibt es deshalb schon bald keine Alternative mehr zur Abwrackprämie für ganze Autofabriken. Denn, so kalkuliert man in der Branche, weltweit können im Jahr 66 Millionen Autos produziert, aber nur 50 Millionen verkauft werden.

Die besondere Ironie an dieser Wirtschaftskrise ist, dass die Folgen von Konsumwahn mit der Ankurbelung des Konsums bekämpft werden. Auf den ersten Blick erscheint das wie eine Therapie gegen Schlangenbisse - um das rettende Serum herzustellen, brauchte man als Grundstoff das tödliche Gift. Das Gift der Marktwirtschaft sind niedrige Zinsen für den Konsum. 20 Jahre lang wurde Alan Greenspan in den Vereinigten Staaten als Superheld gefeiert. Er machte als Chef der Zentralbank Federal Reserve das Geld so billig, dass sich alle alles Mögliche kauften, vor allem aber das, was sie zumeist gar nicht bezahlen konnten, zum Beispiel Häuser. Dann brach die Weltwirtschaft zusammen, und nun wird sie notbeatmet - mit billigem Geld rund um die Welt. Es ist schon sexy, einen Kredit für "null Prozent Zinsen" zu bekommen, sich dafür ein Auto, eine Schrankwand, eine Kreissäge oder einen Mega-Flachbildschirm zu kaufen. Gerade erst war die "Geiz ist geil"-Welle ausgestanden, da rollt die Schockwelle der Rezession. Nun wird alles noch billiger, vor allem die Kredite. Billiges Geld ist so sexy wie eine Xanthippe, die man sich abends an der Bar hübsch trinkt. Der Kater kommt gewiss.

Es sieht jedoch so aus, als kämen wir um den Kater nicht herum, denn Konsum ist heute mehr denn je eine Bürgerpflicht, eine Bringschuld wie der Gang zur Wahlurne oder Schneeschippen auf dem Bürgersteig. Konsum ist die letzte Schanze vor dem Fall der Festung - sie muss halten, wenn der Export längst implodiert ist.

Der Bürger ist heute zugleich immer auch "Verbraucher", aus Sicht der Politik und der Wirtschaft ist er es vor allen Dingen, und deshalb wird der Verbraucher umfassend betreut: Das "Verbraucherschutzministerium" wacht darüber, dass der Konsum rund läuft, hoch spezialisierte Institute untersuchen unablässig "Konsumklima", "Konsumzurückhaltung", "Konsumneigungen". Der Bürger kennt seine Pflichten, weshalb für die Ankurbelung des Konsums das Grundgesetz bislang nicht geändert werden musste. Das könnte aber notwendig werden, wenn die Konsumneigungen ernsthaft nachlassen würden. Alle Parteien müssten dann an einem Strang ziehen. Aber das tun sie, wenn es um die Ankurbelung des Konsums geht, sowieso jeden Tag.

Konsum hält nicht nur unsere eigene Gesellschaft auf den Beinen, sie bringt auch andere nach oben, so lernen wir es täglich: Nun haben auch die Chinesen und die Vietnamesen, die für uns produzieren, ihre eigenen Supermärkte und Plastiktüten. Genau wie wir leben sie inzwischen länger, bekommen mehr Fernsehprogramme, lassen sich öfter scheiden und fahren demnächst im Schnitt 2,3-mal jährlich in Urlaub. Zum Schnäppchenpreis.

Was wäre unsere Wirtschaft in diesen Tagen ohne die Krise? Was für ein Jahr würde das werden, was für eines wäre das vergangene gewesen? Die gleiche Monotonie wie immer. Zwei bis drei Prozent Wachstum, zwei bis drei Prozent Inflation, die Binnenkonjunktur am Dümpeln, Valentinstag, Ostern, Geburtstag, Weihnachten, und schon geht es wieder von vorn los. Ein Jahr wie alle anderen auch, Konsum um des Konsums willen oder weil der Sonnabendnachmittag sonst wieder viel zu lang wird.

Was für eine Befreiung bringt da die Weltwirtschaftskrise! Sie bringt Action an die Ladenkasse, Dramatik auf die Homepage von Ebay. Der Staat verstaatlicht die Schulden der Banken, er streut Milliarden unters Volk, und Konsum bekommt endlich wieder einen Sinn. Wir retten nicht nur unsere Laune, sondern auch noch unser Land. Allen, die auf die Wall Street fluchen, sei gesagt: Den "Bangstern", die uns das eingebrockt haben, schulden wir mehr als nur Dank. Wir schulden ihnen Erhellung.